8. Die Türkei und die EU

8.1. Chronologie der EU-Beitrittsverhandlungen


Die türkische Fahne während des EU-Gipfels 2004 in Brüssel, auf dem über die Rahmenbedingungen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entschieden wurde. Foto: Europäische Kommission

Die Anbindung der Türkei an die Europäische Union beginnt mit dem Assoziierungsantrag an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Juli 1959. Am 12. September 1963 trat das Assoziierungsabkommen – das Ankara-Abkommen – in Kraft. Dieses sah drei Phase der Annäherung vor: fünf Jahre Vorbereitungszeit, maximal zwölf Jahre Übergangsphase mit dem Ziel einer Zollunion und eine Schlussphase, die die Möglichkeit einer Vollmitgliedschaft der Türkei in die damalige EWG eröffnete. 1970 wurde im Ankara-Protokoll, einem Zusatzprotokoll des Ankara-Abkommens, der Abbau der Zollschranken zwischen der EU und der Türkei beschlossen.

Doch die innenpolitischen Krisen und Militärputsche der Türkei brachten die Annäherung an die EWG ins Stocken. Zwar versicherten die Militärs 1960, 1971 sowie 1980 stets die Vertragstreue mit der EWG. Doch die Zusage der Generäle konnte die Verärgerung und das Misstrauen in der EWG gegenüber der starken politischen Stellung des Militärs in der Türkei nicht besänftigen, sodass die EG nach dem dritten Militärputsch die Beziehungen zur Türkei einfror. Im Jahr 1982, noch während der dritten Militärregierung, wurde auch das Ankara-Abkommen ausgesetzt.

Auf Grund dieser Verzögerungen konnte die türkische Regierung erst 1987 unter Turgut Özal (1983-1989) einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft stellen. Zwar wurde 1988 das Ankara-Abkommen wieder in Kraft gesetzt, doch im Dezember des darauf folgenden Jahres vertagte die EG-Kommission ihre Entscheidung über den Beitrittsantrag der Türkei auf unbestimmte Zeit. Grund für die Ablehnung des Antrags waren Zweifel der EG an der wirtschaftlichen und politischen Stabilität des Landes und die damalige Lage im Zypern-Konflikt. Dennoch betonte die Kommission, die Zusammenarbeit mit der Türkei weiterführen zu wollen.

Im Jahr 1993 wurde durch die Verträge von Maastricht aus der Europäischen Gemeinschaft die Europäische Union. Im gleichen Jahr bestimmte der EU-Ministerrat die Kopenhagener Kriterien für zukünftige EU-Beitrittskandidaten, die auch für die Türkei gelten sollten. Die Kopenhagener Kriterien erfordern von den Kandidaten Reformanstrengungen in drei wesentlichen Bereichen: zum einen verlangt das politische Kriterium eine institutionelle Stabilität des Beitrittskandidaten und in diesem Zusammenhang eine demokratische und rechtstaatliche Grundordnung sowie die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte sowie des Minderheitenschutzes. Das wirtschaftliche Kriterium setzt eine funktionsfähige Marktwirtschaft voraus, die dem Wettbewerb des EU-Binnenmarktes gewachsen ist. Das Acquis-Kriterium erfordert schließlich die Fähigkeit, den gesamten Rechtsbestand der EU, den so genannten „Acquis communautaire“, zu übernehmen. Doch die Grundvoraussetzung für den EU-Beitritt eines Landes besteht darin, dass die EU selbst fähig ist, neue Mitglieder aufzunehmen.

Die Einführung der Kopenhagener Kriterien beziehungsweise deren Anwendung auf den Beitritt der Türkei führte zu Verstimmungen. Denn die Türkei machte geltend, sie habe bereits vor Jahren ihren Mitgliedsantrag eingereicht und falle deshalb nicht mehr unter die neuen Beitrittsbestimmungen. Trotz dieser Reaktion von türkischer Seite ließ sich die EU nicht umstimmen, sodass die Kopenhagener Kriterien somit auch für die Türkei gelten.

Am 6. März 1995 unterzeichneten die Regierung Ciller (1993-1995) und die EU ein Abkommen über die Einführung einer Zollunion zwischen der Türkei und den Ländern der EU, das am 1. Januar 1996 in Kraft trat. Seit diesem Tag gilt in der Türkei das europäische Zollrecht, an das das Land seine Handelsbeziehungen mit Drittländern anpassen muss. Die Zollunion sieht jedoch keinerlei politische Mitspracherechte in Brüssel vor.

Am 12./13. Dezember 1997 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU in Luxemburg, dass die Türkei für einen Beitritt in Frage käme, erkannten ihr jedoch keinen offiziellen Kandidatenstatus zu. Dafür ernannte die Union elf osteuropäische Länder zu Beitrittskandidaten. Aus Enttäuschung über diese Entscheidung nahm die Türkei unter der Regierung Yilmaz (1997-1998) im darauf folgenden Jahr am EU-Gipfel in London nicht teil und fror die Beziehung zur EU zunächst ein.

Der Gipfel von Helsinki am 10./11. Dezember 1999 sprach der Türkei schließlich den Status als Beitrittskandidat zu, knüpfte diesen jedoch an folgende Bedingungen: Beilegung des Zypernkonflikts bis 2004 und Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, vor allem im Bereich der Menschenrechte. Der EU-Gipfel von Nizza vom 4.-7. Dezember 2000 brachte einen Vertrag über die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hervor, der die Lösung der Zypernfrage, die Einführung anderer Sprachen außer dem Türkischen an Schulen sowie die Beschränkung des Einflusses des Nationalen Sicherheitsrats verlangte.

Unter der Regierung Ecevit (1999-2000) begann im Jahr 2001 eine große Reformwelle. Am 19. März 2001 wurde das „Nationale Reformpaket“ verabschiedet, im Zuge dessen die Verfassung zu Gunsten demokratischer Reformen geändert, die Todesstrafe abgeschafft und ein weiteres 12-Punkte-Reformpaket verabschiedet wurde. Im Jahr 2002 bescheinigte die EU-Kommission der Türkei zwar Fortschritte, forderte aber weitere Anstrengungen bei der Angleichung an die EU. Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission aus dem Jahr 2004 empfahl die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen unter strikten Auflagen, woraufhin der Europäische Rat am 17. Dezember 2004 den Weg für die Beitrittsverhandlungen frei gab. Am 4. Oktober 2005 eröffnete der Europäische Rat die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie mit Kroatien. Dabei wurde betont, dass es sich bei den Beitrittsverhandlungen um einen „ergebnisoffenen Prozess“ handle, an dessen Ende nicht unweigerlich die EU-Mitgliedschaft der Türkei stehe.

Der Jahresbericht des Erweiterungskommissars im Jahr 2005 lobte wiederum die politischen und wirtschaftlichen Fortschritte der Türkei, mahnte aber besonders die Lage der Menschenrechte, den Minderheitenschutz und die Pressefreiheit in der Türkei an. Einen scharfen Ton schlug der vierte Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom 8. November 2006 an. Darin kritisierte die Kommission die mangelnden Fortschritte im Reformprozess sowie die starre Haltung der Türkei im Hinblick auf die Unterzeichnung des Ankara-Protokolls deutlich. Deshalb empfahl die Kommission, die Beitrittsverhandlungen in acht der 35 Verhandlungskapitel auszusetzen.

Dieser Fortschrittsbericht löste unter den EU-Mitgliedern Kontroversen über das weitere Vorgehen aus. Letztendlich kam der Europäische Rat der Empfehlung der Kommission nach und beschloss die Aussetzung einzelner Teile der Beitrittsverhandlung. Betroffen sind die Kapitel freier Warenverkehr, Dienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Landwirtschaft sowie ländliche Entwicklung, Fischerei, Transport, Zollunion und Auswärtige Beziehungen. Die Kommission betonte jedoch, dass die Aussetzung der Verhandlungen nicht endgültig sei, sondern lediglich der Verlangsamung des Prozesses diene. Bislang wurden acht der 35 Verhandlungskapitel (Unternehmens- und Industriepolitik, Statistiken, Finanzpolitik, transeuropäische Netze, Verbraucher- und Gesundheitsschutz, Unternehmensrecht, Schutz geistigen Eigentums) eröffnet. Nur das Kapitel „Wissenschaft und Forschung“ ist bereits abgeschlossen.

Der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission, der am 6. November 2007 veröffentlicht wurde, fiel im Ton milder aus als der des Jahres 2006, auch wenn es darin heißt: „Die Türkei muss den politischen Reformen neuen Schwung verleihen.“ Versäumnisse werden vor allem im Bereich der Meinungsfreiheit, des Minderheitenschutzes und der Rechte von Frauen und Kindern bemängelt.

Links

EU-Seite zur Türkei

Bundeszentrale für politische Bildung

Freedom House

C·A·P-Position: Ein Schritt vor und einer zurück - Der Reformkurs der Türkei

ZEI EU-Turkey Monitor

Der Zypernkonflikt >