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Die erste Generation Europäer

Die unter 25-Jährigen sind mobiler und weltoffener als die älteren Generationen.

Die Vorteile der Union nehmen die Jungen als gegeben hin, EU-Fans sind sie deshalb aber nicht.

01.01.2010 · Die Presse



Wien/LUXEMBURG. Die unter 25-Jährigen sind die Ersten in Europa, die nicht nur mit den großen EU-Erweiterungen, sondern auch mit den vier Freiheiten im Binnenmarkt aufgewachsen sind: dem freien Verkehr von Personen, Gütern, Dienstleistungen und Kapital. Das hat sich darauf ausgewirkt, wie, wo und mit wem sie leben. Keine andere Generation in der Europäischen Union ist heute so mobil, isst oder befreundet sich so international wie die der unter 25-Jährigen. Sie blicken über den Tellerrand und knüpfen auch im Ausland berufliche und private Kontakte. Das zeigt eine neue Studie des EU-Statistikamts Eurostat in Luxemburg, die Umfrageergebnisse der letzten Jahre zusammenfasst.

Auf das Europabewusstsein der Jungen wirkt sich der neue "Way of Life" in der EU allerdings kaum aus, sind sich Experten einig: Zwar würden die Jungen gern Vorteile der EU – vom Studentenaustauschprogramm "Erasmus" über die offenen Grenzen bis zur Gemeinschaftswährung Euro – nützen. Sie würden diese aber gar nicht der EU zuschreiben oder die Union deshalb besonders schätzen. Denn vieles sei für sie selbstverständlich, erklärt Manfred Zentner vom Jugendmarktforschungsinstitut "t-factory" in Wien der "Presse".

Fakt ist gemäß der neuen Eurostat-Studie, die frühere Untersuchungen in allen Mitgliedstaaten zusammenfasst:

Soziale Unterschiede

Gerade das Internet habe die Jugend "international" gemacht, erklärt Sigrid Meinhold-Henschel von der deutschen Bertelsmann-Stiftung im Gespräch mit der "Presse" – nicht nur die EU. Durch die internationalen Kontakte würden die Jungen auch eher Fremdsprachen beherrschen als Ältere. Allerdings zeige die Eurostat-Studie, dass weiterhin der soziale Status und die Bildung der Eltern Einfluss darauf haben, wie gebildet und wie international die nächste Generation ist. "Es gibt eine Tendenz zu Benachteiligungen. Die internationalen Beziehungen und die Orientierung nach Europa hängen vom Bildungshintergrund ab." Je gebildeter, desto eher verlassen Junge auch für mehrere Monate oder Jahre ihr Heimatland. Sie gehen in alte oder in neue Mitgliedstaaten im Osten. "Europäischer" werde ihre Einstellung deshalb aber nicht, meint Eva Feldmann-Wojtachnia von der Forschungsgruppe Jugend und Europa am Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) in München. Zwar seien die Jungen insgesamt positiver der EU gegenüber eingestellt als die Gesamtbevölkerung, aber auch "indifferenzierter – es ist noch nicht einmal klar, was sie eigentlich unter Europa verstehen", sagt die Forscherin. Zum einen gelte alles als selbstverständlich, was die Freizügigkeit und Mobilität betrifft, zum anderen sei das Bild diffus, was die politische Dimension "EU" betrifft.

Die Jugend sei "internationaler und europäischer, ohne sich dessen bewusst zu sein", sagt dazu Manfred Zentner von t-factory. Indem die unter 25-Jährigen viel unterwegs sind und mehr, aber auch besser Fremdsprachen sprechen, entsprächen sie zwar den Erwartungen der EU. "Bei allen Unterschieden wächst man doch zusammen." Die EU habe es aber nicht geschafft, ihre Errungenschaften der nächsten Generation als solche zu "verkaufen" und daraus Nutzen für ihre Politik und ihr Ansehen zu ziehen. "Je länger eine Altersgruppe Mitglied in der EU ist, desto weniger nimmt sie die EU wahr."

Bewusst als Vorteil wahrgenommen hat zum Beispiel die "Zwischengeneration" der 25- und 35-Jährigen das "Erasmus"-Programm – für Ältere gab es den Studentenaustausch noch nicht im großen Stil. Bei seinem Start 1987/88 zählte "Erasmus" europaweit nur 3244 Teilnehmer, im Studienjahr 2006/07 waren es fast 160.000.

Europa? Negativ!

Eher der EU zuschreiben würden Jugendliche Entwicklungen, die sie skeptisch sehen, so Zentner, der sich auf mehrere Studien bezieht. Das gelte zum Beispiel für das Bologna-System an den Universitäten, mit dem der "Bachelor" in Österreich eingeführt worden ist.

Die EU kann in Umfragen über das Europabewusstsein und ihre eigene Rolle nur schwer zulegen. Die Eurostat-Studie zeigt allerdings große Unterschiede in den einzelnen Ländern, Österreich gehört zu den europaskeptischsten. Ein wenig Hoffnung besteht für das Europaparlament: Laut Eurostat vertraut ihm inzwischen die Mehrheit der 15- bis 24-Jährigen in den 27 EU-Staaten.


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