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Bilanz des Europäischen Rates am 16./17. Dezember 2004 in Brüssel

Zentrales Thema: Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

31.12.2004 · Position von Almut Metz



Die Tagung des Europäischen Rates am 16./17. Dezember 2004 in Brüssel stand ganz im Zeichen der Türkeifrage. Im Vorfeld des Gipfels hatte der Beschluss über eine mögliche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eine intensive Debatte innerhalb und zwischen den EU-Mitgliedstaaten ausgelöst. Zahlreiche nationale Regierungen sahen sich mit der fehlenden Zustimmung der eigenen Bevölkerung zu Verhandlungen mit der Türkei konfrontiert. Alle Facetten des Für und Wider eines Beitritts des bevölkerungsreichen Landes zur EU wurden in den Wochen vor dem Dezembergipfel eröffnet. Institutionelle und finanzielle Auswirkungen wurden ebenso diskutiert wie die religiöse und kulturelle Dimension und die Bedeutung für das Ziel einer Politischen Union. Gleichzeitig rückte die regelmäßig bemühte Frage nach den Grenzen Europas wieder in den Mittelpunkt.


Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und der niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende während der Verhandlungen in Brüssel, Foto: www.eu2004.nl.

B. Zentrale Ergebnisse

Die Schlussfolgerungen des Vorsitzes beinhalten auf rund zwanzig Seiten die Schwerpunktthemen Erweiterung / Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, Terrorismus, Finanzielle Vorausschau 2007-2013 und Auswärtige Angelegenheiten. Darüber hinaus wurden zwei Erklärungen – zur Lage in der Ukraine sowie zum Friedensprozess im Nahen Osten – angenommen.

I. Erweiterung: Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

Der Europäische Rat hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober 2005 beschlossen. Der Verhandlungsrahmen sieht explizit vor, dass "lange Übergangszeiten, Ausnahmeregelungen, spezifische Vereinbarungen oder dauerhafte Schutzklauseln" in Erwägung gezogen werden können. Die Schlussfolgerungen stellen einen klassischen europäischen Kompromiss dar. Einerseits wird unterstrichen, dass das gemeinsame Ziel der Verhandlungen der Beitritt sei, und nicht etwa eine Form "privilegierter Partnerschaft". Andererseits wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Verhandlungen ein Prozess "mit offenem Ende" seien, dessen Ausgang "sich nicht im Vorhinein garantieren" ließe.

Darüber hinaus wurde beschlossen, am 17. März 2005 auch die Verhandlungen mit Kroatien zu eröffnen - eine Zusage, die zumindest in der Öffentlichkeit vollends von der Türkeientscheidung überlagert wurde.

Schließlich wurde der Beitrittstermin für Bulgarien und Rumänien, mit denen die Verhandlungen am 14. Dezember 2004 offiziell abgeschlossen wurden, für den 1. Januar 2007 bekräftigt. Die Beitrittsverträge für beide Länder sollen fertig gestellt und im April 2005 vom Rat (Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen) unterzeichnet werden.

II. Terrorismusbekämpfung

Der Europäische Rat bekannte sich erneut zu der Entwicklung eines umfassenden und integrierten Konzeptes zum Kampf gegen den Terrorismus. Ziel sei eine Balance zwischen den notwendigen Maßnahmen auf der einen und der Wahrung von Demokratie und den Grundfreiheiten der EU-Bürger auf der anderen Seite. Hervorgehoben wurde der Zusammenhang zwischen der Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen. Der Europäische Rat beauftragte den Rat, zu diesem Themenkomplex bis Juni 2005 eine langfristige Strategie und einen Aktionsplan auszuarbeiten. Der Hohe Vertreter Javier Solana und die Kommission sollen dazu Vorschläge entwickeln.

III. Finanzielle Vorausschau 2007-2013

Erwartungsgemäß gab es keine Bewegungen im Hinblick auf die Finanzverhandlungen. Der Europäische Rat mahnte an, dass der Zeitplan eingehalten werden müsse und bis spätestens Juni 2005 eine politische Einigung zum künftigen Finanzrahmen erzielt werden sollte. Damit liegt der Ball bei der luxemburgischen Präsidentschaft – die Verhandlungen werden nicht zuletzt aufgrund der Vervielfachung der Akteure und Interessen härter als je zuvor sein.

IV. Auswärtige Angelegenheiten

Nicht nur der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, sondern auch die Passagen zum westlichen Balkan und zur EU-Nachbarschaftspolitik in den Schlussfolgerungen machen deutlich, dass die Zukunft der europäischen Integration gewiss nicht in "klein-europäischen" Strukturen liegt. So bekräftigten die Staats- und Regierungschefs, dass "die Zukunft der westlichen Balkanstaaten in der Europäischen Union" liege und begrüßten die Fortschritte der Zusammenarbeit mit den Nachbarn östlich der neuen Außengrenzen und entlang des Mittelmeeres.

Darüber hinaus bekannte sich der Europäische Rat explizit zu einer Intensivierung des strategischen Dialogs mit den USA und unterstrich die Unersetzlichkeit guter partnerschaftlicher Beziehungen: Die EU-Mitgliedstaaten bereiten sich auf den Besuch von US-Präsident George Bush Anfang 2005 vor, der am 22. Februar auch in Brüssel zu Gast sein wird.

Obgleich die Europäische Verfassung noch nicht in Kraft getreten ist, wird bereits an der Umsetzung von Teilaspekten gearbeitet – wie dem Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Diese Fortschritte wurden vom Europäischen Rat begrüßt.

C. Bewertung

Das Thema des Gipfels am 16./17. Dezember 2004 war die Türkeifrage. Alles andere kann lediglich als Pflichtübung bezeichnet werden. Der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei kam trotz aller vorangehenden Debatten in den Mitgliedstaaten nicht überraschend. Die entsprechenden Passagen zur Erweiterung in den Schlussfolgerungen enthalten jedoch eine Reihe von Notbremsen. Diese zeigen vor allem eines: Die EU ist sich ihrer selbst nicht sicher. Eine Union, die noch auf der Suche nach ihrer politischen Identität ist, kann offenbar nicht anders, als sich in der Türkeifrage zögerlich-lavierend zu verhalten.

Beunruhigend ist, dass die Frage nach der Identität der EU nun gerade entlang der hoch emotionalen Frage des Beitritts der Türkei in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Dadurch bekommt diese notwendige Debatte einen schalen Beigeschmack: Den des Getrieben-Seins von den eigenen Zusagen, den der Abgrenzung zwischen "uns" und "denen".

Dabei stünde ein Thema brandaktuell auf der Tagesordnung, entlang dessen sich das Wesen der Union nicht in Abgrenzung zu ihren Nichtmitgliedern, sondern schlicht aus sich selbst heraus diskutieren ließe: Die Europäische Verfassung, die seit November 2004 die nationalen Ratifizierungsverfahren durchläuft. Die EU aber leistet sich mit den Diskussionen um den Türkei-Beitritt wieder einmal eine Stellvertreterdebatte – mit ungewissem Ausgang.

D. Links


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