3. Politisches System

3.1. Das Staatsoberhaupt

Das Staatsoberhaupt der türkischen Republik ist der Präsident. Er ist „Hüter der Verfassung“ und vertritt die „Einheit der türkischen Nation“. Zudem beaufsichtigt er „die Anwendung der Verfassung und die ordentliche und harmonische Tätigkeit der Staatsorgane“. Neben dem Ministerrat repräsentiert der Präsident das zweite Organ der Exekutive.

Bislang wurde der Präsident mit einer Zweidrittelmehrheit von der Türkischen Großen Nationalversammlung gewählt. Allerdings benötigte der Vorschlag eines „zivilen“ beziehungsweise nicht-parlamentarischen Kandidaten eine Unterstützung von einem Fünftel der Mitglieder des Parlaments. Künftig wird das Staatsoberhaupt allerdings direkt gewählt werden. Eine entsprechende Verfassungsänderung war nach einer Initiative der Regierungspartei AKP in einem Referendum von der Bevölkerung am 21. Oktober 2007 gebilligt worden.

Zudem muss dieser Kandidat die Voraussetzungen für die Wahl zum Parlamentsabgeordneten erfüllen. Darüber hinaus muss der Präsidenten ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen und das vierzigste Lebensjahr vollendet haben. Die Amtszeit des Präsidenten beträgt sieben Jahre, wobei eine Wiederwahl nicht möglich ist. Um die Neutralität des Präsidenten als Spitze des Staates und des traditionell säkularen Amtes zu wahren, fordert die Verfassung vom Präsidenten, nach seiner Wahl aus seiner Partei auszutreten und sein Parlamentsmandat niederzulegen.

Die Aufgaben und Kompetenzen des türkischen Präsidenten sind sehr umfassend und finden sich neben dem exekutiven auch im legislativen Bereich: Zum einen ernennt er den Ministerpräsidenten und auf dessen Vorschlag auch die Minister. Zudem kann er das Parlament auflösen, wenn der Ministerrat darin nicht mehr über das nötige Vertrauen verfügt. Wenn nötig, übernimmt der Präsident auch den Vorsitz im Ministerrat, jedoch mit eingeschränkten Befugnissen. Außerdem verfügt er über ein suspensives Veto gegenüber Gesetzvorhaben und kann somit Gesetzesvorlagen auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen und gegebenenfalls ablehnen. Diese Befugnis ist jedoch nur aufschiebend und kann nur mittels einer „Anfechtungsklage“ vor dem Verfassungsgericht durchgesetzt werden.

Auch im militärischen Bereich verfügt der türkische Präsident über weit reichende Befugnisse. Er ist der Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte und ernennt den Generalstabschef. Ferner entscheidet er mit der Zustimmung des Parlaments über Auslandseinsätze der türkischen Streitkräfte. Darüber hinaus übernimmt er den Vorsitz im Nationalen Sicherheitsrat und ratifiziert völkerrechtliche Verträge. Des Weiteren ernennt der Präsident der türkischen Republik drei der elf Verfassungsrichter

Der Präsident kann auf Vorschlag von einem Drittel und mit dem Beschluss von drei Vierteln der Parlamentsmitglieder des Vaterlandsverrats beschuldigt und damit seines Amtes enthoben werden.


Staatspräsident Abdullah Gül und seine Frau Hayrünnisa Gül.

Seit August 2007 kleidet Abdullah Gül, ehemaliger Außenminister, Stellvertreter von Ministerpräsident Erdogan in der AKP sowie deren sowie Mitgründer, das Amt des türkischen Präsidenten. Gül gilt als Gefolgsmann Erdogans, dem er nach dem Wahlsieg der AKP im Jahr 2002 das Amt des Regierungschefs bis zur Aufhebung von Erdogans Politikverbot freihielt. Nach den heftigen Protesten vor allem von Seiten des Militärs und der kemalistischen Eliten gegen die Pläne Erdogans, selbst für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, trat Gül zur Wahl an. Doch auch Gül war kein unumstrittener Kandidat, seine Wahl wurde von der CHP boykottiert, was zu vorgezogenen Neuwahlen im Parlament führte. Abdullah Gül wurde schließlich am 28. August 2007 im dritten Wahlgang zum 11. Staatspräsidenten der türkischen Republik gewählt.

Die Umstrittenheit Güls liegt an seinem religiösen Hintergrund, in dem viele eine Bedrohung des traditionell säkularen Amts des Präsidenten sehen. Besonders die Vertreter des Kemalismus befürchteten eine schleichende. Wie Erdogan war Gül Mitglied der heute verbotenen radikalen islamistischen „Heilspartei“ und deren Nachfolgeorganisationen, der „Wohlfahrtspartei“ und der „Tugendpartei“. Nach deren Verbot orientiert sich Gül jedoch neu, beteiligte sich gemeinsam mit dem heutigen Ministerpräsidenten Erdogan bei der Gründung der AKP und unterstützte deren pro-europäischen, demokratischen Kurs.

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