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Kiews Weg nach Europa

Strategische Leitlinien für die Integration einer demokratischen Ukraine in die EU.

Ein Artikel von Iris Kempe

Der Artikel ist in einer gekürzten Fassung am 03.02.2005 in der Wochenzeitung DIE ZEIT erschienen.

PDF-Download: Englische Version des Artikels

03.02.2005 · DIE ZEIT



Kiew im Januar. Hoch auf dem Monument des Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, weht eine orange Fahne. Sie ist Zeugin des Sieges der Demokratie in der Ukraine. Getragen von den Massen der Straße haben Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko mit der Forderung nach freien und fairen Wahlen die bisherigen Amtsinhaber entmachtet. Nach einem Jahrzehnt der Abhängigkeit von Moskau hat die Bevölkerung ihren Präsident erstmals nach demokratischen Standards gewählt. Freie und faire Wahlen allein vermögen aber noch keine Demokratie zu etablieren.

Juschtschenko hat eine schwierige Aufgabe vor sich: Er muss die ukrainische Gesellschaft versöhnen. Demokratisch unterstützt, muss er in kürzester Zeit wirtschaftliche Erfolge erzielen. Meilensteine dazu sind die Bekämpfung der Korruption ebenso wie die Entflechtung der wirtschaftlichen und politischen Macht. Damit die Ukraine den steinigen Weg zu einer demokratischen Zukunft durchhalten kann, benötigt sie neben Reformwille und Konsequenz eine Vision von ihrer künftigen Entwicklung sowie eine internationale Einbindung.

Der Kreml ist bei der Gestaltung des postsowjetischen Raumes gescheitert. Die Bevölkerung in der Ukraine hat sich gegen die undemokratische Bevormundung aus Moskau gewehrt. Die Demonstranten mit orangenen Mützen, Schals uns Spruchbändern wollen nach Westen. Juschtschenkos hat den EU Beitritt zum Ziel der ukrainischen Reformen erklärt und hofft nun auf positive Signale aus Brüssel.

Im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich die Europäische Union in Osteuropa zu einem attraktiven und in der Konsequenz sehr erfolgreichen Reformbegleiter entwickelt. Brüssel setzte auf das Erfolgrezept von Erweiterung verbunden mit der gleichzeitigen Vertiefung der europäischen Integration. Vom friedlichen Sieg der Demokratie in der Ukraine wurde der Westen dagegen überrascht. Immerhin: In den vergangenen Wochen haben westliche Akteure durch behutsames Handeln und Schlichtungsversuche vieles richtig gemacht. Als richtungsweisendes Signal hat die Europäische Union einen „Zehn-Punkte-Plan" zur Unterstützung der Ukraine vorgestellt. Damit will die EU dem Land den Status einer Marktwirtschaft zuerkennen und den Weg in die Welthandelsorganisation ebnen. Geplant ist mit Kiew enger in der Außen- und Sicherheitspolitik zu kooperieren sowie die Visabestimmungen zu erleichtern.

Damit hat Brüssel zwar den momentanen Handlungsdruck erkannt. Allerdings stellt der Plan nicht den von Juschtschenko angestrebten Beitritt in Aussicht. Soll die Ukraine ihren neuen Platz in Europa finden, dann sind neue Integrationsangebote der Europäischen Union aber bitter notwendig. Die EU täte gut daran, ihrem Nachbarn zusätzliche Möglichkeiten der Anbindung zu eröffnen. Das derzeitige Nein zu einem EU-Beitritt ist zu einem Ja zur Assoziierung umzuwandeln. Aus Washington werden bereits erste Signale für einen NATO-Beitritt der Ukraine gegeben. Der Grad der Einbindung in die europäischen und atlantischen Strukturen muss aber auch künftig von dem Verlauf der ukrainischen Reformen abhängen.

Nicht nur für Kiew, sondern auch für die Europäische Union hätte ein Weg nach Europa weitreichende Konsequenzen. Die EU würde dadurch einen weiteren Schritt hin zu einem gesamteuropäischen Akteur unternehmen. Auf diesem Weg würde sie auch eine Reihe von Fragen beantworten, die mittelfristig auf die Agenda rücken. Wie schließt die EU die Lücke zwischen ihren Zusagen gegenüber der Türkei und dem Gebot ihrer eigenen Akzeptanz und Handlungsfähigkeit? Wie kann sie die Beziehungen zu den Staaten und Krisenherden des Balkans erfolgreich umsetzen? Wie können sich langfristig die Staaten des Schwarzmeerraumes, Georgien, Armenien, Kirgisien oder Belarus ein Weg zur Demokratie bahnen?

Um diese Herausforderungen richtungsweisend gestalten zu können, sind die Architekten Europas in den Denkfabriken und Planungsstäben gefragt. Aufgabe ist es, einen umsetzungsfähigen Bauplan für ein Europa der mehreren Ebenen zu entwickeln. Künftig geht es darum, einerseits die Handlungsfähigkeit der EU nicht durch eine räumliche Überdehnung zu gefährden, andererseits aber auch Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent garantieren zu können. Dabei kann über Assoziierungen mit unterschiedlicher Dichte ebenso nachgedacht werden wie über Teilmitgliedschaften in einzelnen Bereichen der europäischen Zusammenarbeit. Der Schengen-Raum oder der Europäische Wirtschaftsraum sind bereits heute Bespiele dafür, dass nicht alle EU-Mitgliedstaaten in sämtlichen Integrationsbereichen zusammenarbeiten müssen.

Es ist also das Gebot der Stunde, mit der Vermittlung einer Perspektive der europäischen Zusammenarbeit in der Ukraine ein Zeichen zu setzen und damit die Gestaltung des Wandels zu unterstützen. Welche Rolle die Ukraine künftig tatsächlich in der EU spielen kann, hängt zum einen von den Reformfortschritten im Land ab, zum anderen aber auch von der Weiterentwicklung der europäischen Integration. Von der um Demokratie ringenden Bevölkerung der Ukraine geht demnach auch ein Impuls für die EU aus. Durch den Druck von außen ist die Union dazu aufgefordert ihre Rolle als künftiger gesamteuropäischer Akteur anzunehmen und zu stärken. Denn in Kiew geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage der Verwirklichung zentraler europäischer Werte.


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