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Die Überwindung der Angst?

Die Präsidentschaftswahlen in Belarus

29.03.2006 · Position von Andreas Heindl



Belarus erlebt gegenwärtig ein ungeahntes Maß an politischer Mobilisierung. Dennoch kam es nicht zu einer "Regenbogenrevolution" nach georgischem oder ukrainischem Vorbild. Im Gegenteil, das Lukaschenka-Regime geht mit aller Härte gegen die friedlichen Kundgebungen der Opposition vor. Mehrere hundert Protestierende wurden verhaftet und zu Haftstrafen verurteilt; zahlreiche Demonstranten wurden bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften verletzt. Eine demokratische Wende scheint in Belarus damit nicht bevorzustehen.

Dennoch bleiben die Proteste ein eindruckvolles Zeichen dafür, dass sich immer mehr Menschen in Belarus der letzten Diktatur in Europa entgegenstellen. Seit Mitte der neunziger Jahre konnte die demokratische Alternative zum Lukaschenka-Regime keinen derartigen Mobilisierungserfolg mehr verbuchen. Bereits am Wahlabend versammelten sich trotz massiver Drohungen durch das autoritäre Regime mehrere tausend Anhänger der Opposition, um gegen den Verlauf und das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen zu protestieren. Und selbst nach den gewaltsamen Aktionen der Staatsmacht gegen die Regimekritiker versammelten sich auch eine Woche nach der Wahl mehr als zehntausend Demonstranten zu friedlichen Protesten und forderten eine Wiederholung der Wahl unter freien und fairen Bedingungen. Weitere Kundgebungen sind geplant.

Wahlergebnis und internationale Bewertung

Laut der offiziellen Angaben der belarussischen Wahlbehörden konnte sich der amtierende Präsident Aleksandr Lukaschenka mit einer Mehrheit von etwa 83 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von etwa 90 Prozent gegen seine Herausforderer durchsetzen. Der Präsidentschaftskandidat der vereinigten demokratischen Kräfte Belarus', Aleksandr Milinkewitsch, konnte demnach nur etwa 6 Prozent der Stimmen auf sich versammeln. Auch der zweite Kandidat der demokratischen Opposition, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei Belarus', Aleksandr Kosulin, konnte weniger als 3 Prozent für sich verbuchen.

International wird das Ergebnis der Wahlen unterschiedlich bewertet. Während die Wahlbeobachter der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) keine Verstöße gegen internationale Standards feststellen konnten, erheben die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie die Europäische Union und die USA schwere Vorwürfe gegen den Wahlgang. So kritisieren die westlichen Akteure nicht nur die Arbeit der Wahlkommission sowie die gravierenden Einschnitte in die Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sondern auch die Repressionen gegen die demokratische Opposition und das Klima der Einschüchterung im Vorfeld sowie während der Wahlen.

Mobilisierung der demokratischen Opposition

Auch wenn die Demonstrationen bisher nicht die Dimension und die Durchschlagskraft der demokratischen Revolutionen in Georgien, in der Ukraine oder in Kirgisien erreichen, so wird doch eine bemerkenswerte Veränderung und ein nicht zu unterschätzender Erfolg der Opposition sichtbar: die Angst, gegen das Regime zu protestieren und sich für demokratische Grundrechte stark zu machen, scheint überwunden zu sein. Ein unmittelbarer demokratischer Umbruch infolge der Proteste und eine Dynamisierung der Situation in Belarus erscheinen gegenwärtig dennoch nicht sehr wahrscheinlich. Die Demonstrationen sind – trotz des für Belarus erstaunlichen Mobilisierungspotentials – (noch) keine breit angelegte, einheitliche Massenbewegung. Die Opposition konnte bisher die kritische Masse für einen demokratischen Umbruch nicht erreichen. Es zeigt sich, dass sich das autoritäre Regime nach wie vor auf die Wirksamkeit der Repressionsmechanismen der staatlichen Apparate vertrauen kann. Zudem erfreut sich Lukaschenka in vielen Teilen der belarussischen Gesellschaft großer Zustimmung.

Unter diesen Bedingungen scheint eine rasche Demokratisierung in Belarus kaum denkbar. Es könnte sich langfristig jedoch herausstellen, dass sich die demokratische Opposition von der Brutalität der Staatsmacht nicht länger einschüchtern lässt, dass sich die Proteste allmählich zu einer Massenbewegung entwickeln und dass der letzte Diktator in Europa einen dramatischen Autoritäts- und Popularitätsverlust erleidet. Die Effekte der Präsidentschaftswahlen und der darauf folgenden, anhaltenden Proteste sollen daher nicht unterschätzt werden. Auch wenn die Demonstrationen nicht zu einem unmittelbaren demokratischen Umsturz führen, so deuten diese doch auf ein nachhaltiges Erstarken der Zivilgesellschaft und die mögliche Überwindung der Schwäche der Opposition hin. Damit würde sich ein schleichender Autoritätszerfall des Lukaschenka-Regimes verbinden, der die Demokratisierung des Landes befeuern kann.

Die Tatsache, dass Wahlen in Belarus abgehalten wurden, dass diese durch eine ebenfalls umstrittene Verfassungsänderung aus dem Jahre 2004 flankiert werden mussten, die Lukaschenka eine weitere Amtszeit ermöglichen sollte, und dass Regimekritiker zugelassen wurden, um die pseudodemokratische Fassade zu wahren, können als Indiz für den innen- wie außenpolitischen Legitimationsdruck des Regimes gewertet werden. Zugleich ist es der Opposition gelungen, ein bisher nicht gekanntes Maß an Geschlossenheit zu demonstrieren. Auch wenn nach dem Wahlgang Friktionen zwischen den beiden Kandidaten der demokratischen Alternative zum Lukaschenka-Regime, Milinkewitsch und Kosulin, sichtbar werden, konnte sie dadurch an Profil und Sichtbarkeit gewinnen. Programmatisch orientiert sich die Opposition an einer Demokratisierung des Landes, an der Liberalisierung der Wirtschaftspolitik sowie an der Öffnung hin zur Europäischen Union.

Die Europäische Union und Belarus

Bisher kennzeichnet die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus einerseits die Isolierung der Regierung in Minsk durch die westlichen Akteure sowie andererseits die Selbstisolierung des Lukaschenka-Regimes. Diese doppelte Isolierung wirkt vielfach auch als Abschottung von Reformalternativen und verhindert demokratische sowie marktwirtschaftliche Reformansätze.

Die Maßnahmen der Europäischen Union konzentrieren sich sowohl auf die Verhängung von Sanktionen gegenüber Mitgliedern des autokratischen Apparates – etwa in Form von Reisebeschränkungen – als auch auf die scharfe Verurteilung von Verletzungen der Grund- und Menschenrechte. So hatte das Europäische Parlament in einer Resolution im März 2005 das Regime in Minsk als diktatorisch und Lukaschenka selbst als Diktator bezeichnet. Auf die jüngsten Präsidentschaftswahlen reagierten die Institutionen der Europäischen Union ebenfalls mit der Verurteilung der Abstimmung und forderten die Einhaltung demokratischer Standards sowie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Zudem verschärfte die EU nochmals die Sanktionen gegenüber den Mitgliedern des Regimes.

Die EU und Belarus verbindet kein vertraglicher Rahmen – etwa in Form des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens – wie dies mit anderen Nachbarstaaten der Fall ist. Zudem erhält Belarus keine Option im Kontext der Europäischen Nachbarschaftspolitik, solange das Land autoritär regiert wird. Die EU-Politik gegenüber Belarus ist daher vielfach als passiv und reaktiv zu kennzeichnen. Seit dem Beitritt der mittelosteuropäischen Staaten ist jedoch eine deutliche Sensibilisierung der europäischen Institutionen für die Lage in Belarus zu beobachten – insbesondere durch Initiativen aus Polen, Litauen und der Slowakei. Inzwischen wurden die bestehenden Maßnahmen zur Unterstützung der Zivilgesellschaft durch die Einrichtung von Radioprogrammen ergänzt, die durch die EU bzw. durch die polnische Regierung finanziert und nach Belarus ausgestrahlt werden. Dadurch soll es ermöglicht werden, den Menschen im Land Informationen abseits der staatlichen Propaganda zu vermitteln und auf diese Weise die demokratischen Alternativen zu unterstützen.

Die Gestaltung der Beziehungen zu Belarus

Jenseits demokratischer Appelle und der Unterstützung einzelner Maßnahmen im Bereich von Demokratie und Good Governance fehlt dem Westen eine kohärente Strategie, die über die Sanktionen gegen das Regime hinausgehen und auf eine Zusammenarbeit mit Belarus zielen, so dass eine Anbindung an die Institutionen und Standards der Europäischen Union denkbar wird. Insgesamt ist ein mehrschichtiger Ansatz der Europäischen Union gegenüber Belarus erforderlich.

Zunächst sollten die bestehenden Sanktionsmechanismen gegen das Regime in Minsk verschärft werden, um so den internationalen Druck zu erhöhen – wie etwa durch das Einfrieren von Auslandskonten von Mitgliedern des Regimes. Die Sanktionsmaßnahmen müssen jedoch so gewählt werden, dass sie die belarussische Gesellschaft selbst nicht negativ treffen. Vielmehr müssen die Bemühungen um eine Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die technische Hilfe gestärkt werden. Darüber hinaus muss die Opposition in Belarus durch die EU in vielfältiger Weise unterstützt werden. Zunächst gilt es, die internationale Aufmerksamkeit als Schutz der Opposition gegen die Übergriffe der staatlichen Gewalt dauerhaft aufrecht zu erhalten sowie der demokratischen Alternative zu Lukaschenka dadurch mehr politisches Gewicht zu verleihen. Zusätzlich ist aber auch die Sichtbarkeit der Opposition in Belarus selbst und die Bereitstellung von Informationen jenseits der weitgehend gleichgeschalteten staatlichen Medien von großer Bedeutung. Die bestehenden Radioprogramme bieten sich dabei als Instrument an. Einen entscheidenden Punkt stellt jedoch die langfristige Strategie der Europäischen Union gegenüber Belarus dar. Die inhaltliche Ausrichtung, die Orientierung an den europäischen Werten und Normen von Marktwirtschaft und Demokratie sowie die Reformargumente der Opposition benötigen eine entsprechende Unterfütterung durch eine klare und eindeutige Perspektive aus Brüssel hinsichtlich der Anbindung an die europäischen Institutionen. Die Beziehungen zu Belarus sollten dabei am Entwicklungstand demokratischer Reformen ausgerichtet werden.

Weiterführende Informationen

Sowohl die Frage der Transformation als auch die Frage nach der Annäherung des Landes an die Europäische Union sind Bestandteil der Risikoberichterstattung und Strategieentwicklung am C·A·P.

Bertelsmann Foundation: Bertelsmann Transformation Index. Country Report Belarus.

Kempe, Iris, van Meurs, Wim: Prospects and Risks Beyond EU Enlargement, C·A·P-Working Paper, Novemver 2002.

Kempe, Iris: Weißrussland und Europa. Chancen und Grenzen der Zusammanarbeit in direkter Nachbarschaft. In: Ost-West Europäische Perspektiven, Jg. 5, 2/2004, S. 95-105.

Haiduk, Kiryl: Assessing the Political and Economic Situation in Belarus: An Awkward Partner Beyond the Enlarged European Union? In: Kempe, Iris (Hg.): Prospects and Risks Beyond EU Enlargement. Eastern Europe: Challenges of a Pan-European Policy. Opladen 2003, S. 107-132.

Minsker Memorandum für demokratische Kommunalwahlen, 25. Februar 2003.

OSCE/ODIHR Election Observation Mission: Statement of preliminary findings and conclusions on the presidential election in Belarus, 19 March 2006.

OSCE/ODIHR Election Observation Mission: Final Report on the Parliamentary Elections in Belarus, 17 October 2004.


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