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Kreml hält dem Westen den Kosovo-Spiegel vor

Russland-Expertin warnt die EU vor einem Konfrontationskurs gegenüber Moskau

Das Gespräch mit Mirela Isic führte Barbara Nazarewska.

28.08.2008 · Münchner Merkur



München - Trotz massiver Kritik verteidigt Russland die Anerkennung der abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien. Wie jedoch ist der Konflikt völkerrechtlich zu beurteilen? Fest steht, dass nun auch der Westen auf Konfrontationskurs geht - vorerst also keine Entspannung in der Georgien-Krise.

Wer hat Recht: Georgien oder Russland?

Im Prinzip Georgien. Südossetien und Abchasien sind völkerrechtlich Teile Georgiens. Sie hatten sich zwar 1992 von Georgien losgesagt, aber ihre Unabhängigkeit ist international nie anerkannt worden. Daher steht die "territoriale Integrität" - also die Unverletzlichkeit des Hoheitsgebietes - über dem "Selbstbestimmungsrecht".

Russland hat mit der Anerkennung rechtswidrig gehandelt - unter dem Deckmäntelchen, es wolle die russische Minderheit in Georgien schützen?

Es ist tatsächlich so, dass rund 90 Prozent der Bevölkerung in Südossetien und etwa zwei Drittel der Menschen in Abchasien einen russischen Pass haben. Das hat einen Grund: Nachdem sich die Provinzen von Georgien losgesagt hatten, stellte Russland Pässe aus, damit die Betroffenen ein international anerkanntes Dokument besitzen. - und platzierte vermeintliche Friedenstruppen.

Präsident Medwedew warf Georgien nach dessen Militäroffensive Völkermord an der russischen Minderheit vor ...

Die Anerkennung der abtrünnigen Gebiete war nur eine Frage der Zeit. Es ist Kalkül - Russland müsste sonst seine Truppen abziehen, da deren Stationierung gegen den Sechs-Punkte-Plan zwischen Georgien und Russland verstößt: Demnach müsste Tiflis der Stationierung zustimmen.

Sie sagen, es geht Präsident Medwedew um eine Demonstration von Macht, weil er sich vom Westen in die Enge getrieben fühlt.

Durch seine Militäraktion in Georgien versucht Russland dem Westen den "Kosovo-Spiegel" vorzuhalten: Die Unabhängigkeit des Kosovo wurde seinerzeit ohne Rücksprache mit Russland anerkannt, das war für das Land eine massive Provokation. Zweifelsohne war die Situation im Kosovo anders als in den abtrünnigen Gebieten Georgiens; die albanische Minderheit wurde dort von Serbien systematisch unterdrückt, das grenzte faktisch an Völkermord. Aber Russland geht es vor allem um die Tatsache, übergangen worden zu sein. Es ist eine Art Retour-Kutsche, deshalb auch die jüngste Reaktion auf das US-Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien.

Medwedew drohte in diesem Zusammenhang mit Militär-Aktionen. Wie weit geht Russland noch?

Die Befürchtungen, Russland könnte weitere Staaten destabilisieren - zum Beispiel die Ukraine oder Moldawien - sind berechtigt: Russland hat nach dem Zerfall der Sowjetunion ein Drittel seines Staatsgebiets und rund 25 Prozent seiner Rohstoffvorkommen verloren. Es will wieder zurück auf die Bühne der globalen Verteilungskämpfe. Die EU muss jetzt Enschlossenheit zeigen - jedoch mehr Diplomatie und weniger Konfrontation.

Ihr Vorschlag?

Es muss möglichst schnell ein völkerrechtlicher Konsens ausgearbeitet werden. Denn es besteht die Gefahr, dass auch andernsorts - etwa in Tschetschenien - separatistische Bewegungen aufflammen. Ein großer Schritt wäre es, eine oberste Instanz zu finden, die in der Georgien-Krise schlichtet. Das kann der Internationale Gerichtshof sein, aber auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, also die OSZE - sozusagen als Schiedsgericht.

Und welcher Konsens kommt dabei heraus?

Realistisch betrachtet wird es wahrscheinlich auf den Status quo hinauslaufen; Südossetien und Abchasien bleiben Teile Georgiens. Sie erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine Unabhängigkeit. Die Gebiete sind weder politisch, noch wirtschaftlich stabil. Sie haben keine eigenständige Staatsregierung, sondern nur stark separatistische Tendenzen. Auch kann nicht die Rede sein von einem klar definierten Territorium.

Der Status quo wird Russland nicht besänftigen.

Aber eine diplomatische Vorgehensweise. Europa muss  Russland die Angst nehmen, dass es übergangen wird - schon im eigenen Interesse, es gibt schließlich wirtschaftlich Abhängigkeiten. Mit paar Telefonaten nach Moskau ist das nicht getan. Auch die Nato muss konsequent reagieren und Georgien, wie ursprünglich angedacht, vorerst nicht aufnehmen. Allerdings muss sie die Tür offenhalten, sonst ist Georgien Russland ausgeliefert.


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