"Die Türkei wird es schwer haben"
Interview mit Janis Emmanouilidis zu den anstehenden Beitrittsverhandlungen der EU mit Ankara
30.09.2005 · Der Tagesspiegel
Emmanouilidis: Österreich will erreichen, dass eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei bereits jetzt in den offiziellen EU-Dokumenten erwähnt wird damit wäre diese Position politisch präsenter. Auf die Art und Weise, wie die Kommission verhandeln wird, hätte das aber keinen Einfluss.
Tagesspiegel: Es spricht nicht gerade für die EU, dass auf den letzten Drücker noch über den Verhandlungsrahmen gestritten wird.
Emmanouilidis: Der EU-Beitritt der Türkei ist eine hochsensible politische Frage. Es ist eher typisch für die EU, dass bei solchen komplexen Angelegenheiten erst in letzter Sekunde entschieden wird. Das hat auch damit zu tun, dass es gewisse Verbindungen zu anderen Themen gibt. Österreich zum Beispiel möchte erreichen, dass auch mit Kroatien über einen Beitritt verhandelt wird.
Tagesspiegel: Ist die türkische Regierung gut beraten, wenn sie jetzt mit ihrem Fernbleiben beim Beginn der Verhandlungen droht?
Emmanouilidis: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Die Türkei verfolgt diese Politik schon seit einiger Zeit. Sie hat der Europäischen Union auch in früheren Situationen gedroht. Das bringt aber die Befürworter des Beitritts in den Mitgliedstaaten in eine schwierige Situation. Auf der anderen Seite hat die Türkei damit in der Vergangenheit oft das erreicht, was sie wollte.
Tagesspiegel: Wie werden die Verhandlungen ab nächster Woche konkret ablaufen?
Emmanouilidis: Der Rechtsbestand der EU wird in Kapitel unterteilt und diese werden einzeln verhandelt bis alle abgeschlossen sind. Es gibt aber Unterschiede zu den bisherigen Beitrittsverhandlungen: Es sind Mechanismen vorgesehen, mit denen sichergestellt werden soll, dass das Recht nicht nur auf dem Papier geändert wird, sondern es auch zu Veränderungen in der realen Politik kommt. Wenn das nicht der Fall ist, können die Verhandlungen unterbrochen oder verzögert werden. Die Türkei wird es schwer haben.
Tagesspiegel: Könnte es sein, dass die Türkei von sich aus irgendwann die Gespräche abbricht?
Emmanouilidis: Es gibt in der Türkei tatsächlich immer mehr kritische Stimmen. Zum Beispiel wurden bestimmte Änderungen im türkischen Strafrecht in der Vergangenheit als Einmischung kritisiert. Die Türkei ist ein selbstbewusster, großer Staat. Es wird ihr in vielen Fällen schwer fallen, Souveränität an Brüssel abzugeben.
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