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Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling

Buchpräsentation mit Franz Maget und Diskussion

Das Buch zur Veranstaltung:
Franz Maget: Zehn Jahre Arabischer Frühling – und jetzt? Volk Verlag, 2020, ISBN: 978-3-86222-360-2, Klappenbroschur, 192 Seiten, mit hochwertigen Abbildungen

23.12.2020 · C·A·P



Am 17. Dezember 2010 löste die Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi im tunesischen Ort Sidi Bouzid eine länderübergreifende Welle des Protests und einen historischen Umbruch aus. Jahrzehntealte autokratische Regime kamen zu Fall, es kam zu Bürgerkriegen und Gegenrevolutionen in einigen Staaten der Region, Reformen und neue soziale Dynamiken in anderen. Seit zehn Jahren verändert „die arabische Welt" ihr Gesicht. Vor welchen großen Herausforderungen, aber auch vor welchen Chancen stehen die Menschen der Region und mit ihnen ihre europäischen Nachbarn? Welche Rolle spielt Deutschland, was können wir zum Wandel beitragen?

Diesen grundlegenden Fragen gingen Professor Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld am 15. Dezember 2020 zusammen mit seinem Gast im digitalen ‚Meetingroom' Franz Maget nach. Maget, Vizepräsident des Bayerischen Landtags a.D., wurde nach seiner politischen Karriere von 2016-2018 Mitarbeiter der Deutschen Botschaften in Kairo und Tunis und fungiert aktuell als Berater des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit für den Maghreb und Ägypten. Zum Zehnjährigen der Aufstände von 2010/11 publizierte Maget das Buch „Zehn Jahre Arabischer Frühling – und jetzt?“.


Quelle: https://maget.de

Professor Weidenfeld würdigte Magets Eintauchen in den postrevolutionären Gesellschafts- und Kulturraum und das Resultat des Buches damit, der Autor habe sich gelehrsam dazu geöffnet, die Dinge „von innen zu verkosten.“ Benedikt van den Woldenberg, wissenschaftlicher Abteilungsleiter des Deutsch Orient-Instituts Berlin, wiederum lobte als Moderator der Buchbesprechung und Fragerunde mit dem Auditorium Magets Buch als verständliche und gut lesbare Darstellung der Umbrüche der letzten zehn Jahren in der Region des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas. Dabei problematisierten Maget und weitere Teilnehmer der Veranstaltung auch viele kritische Aspekte, darunter die anhaltend zerbrechlichen politischen und sozioökonomischen Strukturen in vielen Ländern, Arbeits- und Perspektivlosigkeit vor allem der jungen Bevölkerung gegenwärtig, in Zeiten der Pandemie, die ihren prekären Lebensverhältnissen gen Europa entkommen wollen; Kriege und Konflikte, die von Mächten inner- und außerhalb der Region gelenkt und befeuert werden; ebenso wie die Rolle Europas, das, nach Ansicht Magets, dringend viel geeinter und stringenter gegenüber der Region auftreten und vor allem wirtschaftliche und demokratisch-partizipative Perspektiven für die Gesellschaften schaffen müsse, auch um ein politisches Gegenmodel gegenüber China und andere Autokratien darzustellen. Strategisches Weiterdenken sei dabei gefragt, so Professor Weidenfeld, etwa, indem die EU ein Kommissionsmitglied speziell beauftragt für den Dialog mit der südlichen europäischen Nachbarschaft und Afrika schaffen sollte.

Im zweiten, englischsprachigen Teil des Abends wurde zusammen mit tunesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des C·A·P-geführten, von der Bayerischen Staatsregierung geförderten Programms „Politikberatung und Strategieentwicklung“ ein besonderer Fokus auf Tunesien gelegt – dem einzigen Land, das aus den Revolutionen von 2010/11 als etablierte Demokratie hervorging. Der Projektleiter Ludwig Schulz stellte zunächst Erfolge der Projektarbeit im Bereich Capacity Building von Kompetenzen im Bereich wissenschaftlicher Politikberatung heraus – bislang 14 Policy Papers zu unterschiedlichen Reformthemen tunesischer Politik sowie zahlreiche Konferenzen, Workshops, Trainings und andere Maßnahmen mit Multiplikationseffekten, um Reformideen öffentlich zu verankern. Zudem informierte Moez Ali, Präsident der Union des Tunisiens Indépendents pour la Liberté (UTIL) über die aktuell kritische Lage im von Pandemie, Wirtschaftskrise und politischen Grabenkämpfen geprägten Land, dessen Hoffnungsschimmer gleichwohl die Jugend ist – „young leaders“, die sich zivilgesellschaftlich engagieren und die demokratische Transformation Tunesiens stützen.

In der Folge stellten fünf dieser „young leaders“ Ergebnisse ihrer Forschung und politikberatenden Arbeit dar: Najd Badri und Mehdi Bouhlel, beide Experten der Pharmazie, informierten über die prekäre Lage der Versorgung der tunesischen Bevölkerung mit Medikamenten und Impfstoffen, dringend zu reformierende Strukturen im Gesundheits- und Versorgungssystem und Aussichten Tunesiens, 2021 Impfstoffe zur Covid 19-Pandemiebekämpfung zu erhalten. Die Entwicklungsforscherin Nadia Nacchache berichtete über ihre Arbeit zum „mismatch“ zwischen universitärer Ausbildung und der Arbeitsmarktfähigkeit von Absolventen. Die Darstellung ihrer Forschungsergebnisse, Problemanalyse und Reformempfehungen und -anregungen veröffentlichte sie im Policy Paper C·A·Perspectives on Tunisia Nr. 2 „To Bridge the Gap between Higher Education and Employment“.

Karim Belhaj Aissa wiederum, Programmdirektor MENA Transparency bei Article 19, Politikberater und Experte für öffentliches Management erläuterte Tunesiens Entwicklung im Bereich der Zugangsrechte für öffentliche Informationen in seinem Beitrag zum Titel „Tunisia from secrecy to transparency“. Zahlreiche progressive Gesetzesvorhaben hat das Land, begleitet durch die Zivilgesellschaft und unterstützt durch internationale Initiativen, auf den Weg gebracht, Bürgerrechte zu schützen und zugleich den Staat zu öffnen und zu modernisieren. Nötig ist allerdings weiterhin ein tiefgreifender Mentalitäts- und Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung, wobei das Recht auf Informationszugang ein geeignetes Vehikel sein kann, auch etwa um Korruption vorzubeugen. Schließlich verwies Hamdi Hached, Klimaaktivist und -experte für UNDP, GIZ und Ministerien sowie Mitarbeiter des Tunesienbüros der Friedrich-Naumann-Stiftung auf sein Engagement im Rahmen des Programms, auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Tunesien und die notwendigen Reaktionen. Als Ergebnisse seiner Arbeit stehen bislang ein Policy Paper zum Thema „Natural disasters and climate change. How to manage an efficient action plan to prevent economic and social damage“, über 50 Clips der Rubrik „Wamia“ auf social media-Kanälen sowie demnächst drei Video-Dokumentationen, die die vielfältige Problematik des Klimawandels eindrücklich zum Ausdruck bringen.


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