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Buchpräsentation „Deutsche Kontraste 1990-2010“

Veranstaltung im Münchner Maximilianeum in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Manuela Glaab / Werner Weidenfeld / Michael Weigl (Hrsg.): Deutsche Kontraste. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur, Frankfurt am Main: Campus-Verlag, 2010.

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28.10.2010 · Forschungsgruppe Deutschland



Wo steht Deutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall? Ist zusammengewachsen, was zusammen gehört? – Das besondere Ambiente des Historischen Lesesaals des Münchner Maximilianeums bot den geeigneten Rahmen, solche Fragen im Rahmen der Buchpräsentation „Deutsche Kontraste. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur“ am 20. Oktober zu erörtern. Eingeladen hatten die Herausgeber Dr. Manuela Glaab, Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld und Dr. Michael Weigl, die den Konzeptband in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und unter Beteiligung von 25 Autorinnen und Autoren verwirklichten. Als Gäste auf dem Podium begrüßten sie mit Prof. Dr. Stephan Bierling, Prof. Dr. Andreas Blätte und Prof. Dr. Ulrich Eith drei Autoren des Bandes, die Schlaglichter auf ihre Analysen warfen und so Impulse zur Diskussion gaben.


Michael Weigl, Manuela Glaab, Barbara Stamm und Werner Weidenfeld

Schirmherrin der Veranstaltung war die Präsidentin des Bayerischen Landtags, Barbara Stamm, die in ihrem Grußwort den Bogen von der Maueröffnung bis heute spannte. Eindrucksvoll führte sie vor Augen, wie sie 1989/90 – damals Staatssekretärin im bayerischen Sozial- und Gesundheitsministerium und Landtagsabgeordnete – den Umbruch selbst in ihrer Heimat Unterfranken hautnah miterlebte; wie im Besonderen Nordbayern dieses welthistorische Ereignis intensiv wahrnahm. Als Antwort auf die Frage, in welcher Verfassung das vereinte Deutschland nunmehr heute sei, griff sie ein Ergebnis der Publikation „Deutsche Kontraste“ heraus: „Deutschland wächst mehr und mehr zusammen – nur langsamer, als vor zwanzig Jahren gedacht.“

Um der Vielschichtigkeit des Einigungsprozesses Rechnung zu tragen, bedient sich das Buch „Deutsche Kontraste“ dem Bild der Kontraste, ausgedrückt in Begriffspaaren wie „Arm versus Reich“, „Religiosität versus Konfessionslosigkeit“ oder „Zentralismus versus föderale Vielfalt“. Die Kontraste-Analogie aus der Optik ist, so Herausgeberin Manuela Glaab, besonders geeignet, um „Schwarz-Weiߓ-Darstellungen der neuen und alten Länder zu vermeiden und durch Schattierungen zu berücksichtigen. Wie unterschiedlich deutsche Kontraste 20 Jahre nach dem Mauerfall sein können, demonstrierte die anschließende Podiumsdiskussion unter Moderation von Werner Weidenfeld.

Ulrich Eith hinterfragte für sein Begriffspaar „Politische Lagerbildung versus fluider Wettbewerb“ vermeintliche „Wahrheiten“, die über das Parteiensystem verbreitet sind. Der viel rezipierten Auflösungsperspektive bezüglich Wählerverhalten stellte er entgegen, dass altes Lagerdenken für das vereinte Deutschland von 2010 aktueller denn je sei. Zwar sei hier im Hinblick auf die Sonderrolle der Linkspartei als „Interessenvertreterin“ der neuen Länder ein regionaler Ost-West-Kontrast zu sehen. Jedoch trete dieser gegenüber inhaltlichen Kontrasten des Parteiensystems in den Hintergrund.

Andreas Blätte betonte im Zuge seiner Ausführungen zum Kontrastpaar „Deutsche versus Zuwanderung“, dass die Geschichte der Integration auch eine Geschichte der Deutschen Einheit sei, die für die neuen Länder ganz andere Bedingungen geschaffen habe als für die alten. Es sei bemerkenswert, dass die Länder im Westen sich untereinander sehr heterogen bezüglich der Sozialstruktur und Zusammensetzung von Zuwanderern und Einstellungen verhielten, während die ostdeutschen Bundesländer sich auffällig ähnelten. Eine starre Grenze zwischen Ost und West könne daher nur bedingt ausgemacht werden, der Migrantenanteil von 9,3 Prozent in Schleswig-Holstein beispielsweise mehr der Situation von Sachsen (4,6 Prozent) als von Berlin-West (24,3 Prozent Prozent) entspreche. Besonderen Handlungsbedarf identifizierte der Autor in diesem Politikfeld hinsichtlich Bildung, fremdenfeindlicher Gewalt und der Arbeitsmarktintegration von Migranten.

Unter den Begriffen „Sonderweg versus Normalisierung“ warf Stephan Bierling Schlaglichter auf die Außenpolitik des vereinten Deutschlands. Ihm zufolge ließen sich hier zwar durchaus aktuell gültige regionale Kontraste zwischen Ost und West feststellen, stärker aber seien temporale Kontraste zwischen der Zeit vor und der nach 1990. Während deutsche Außenpolitik vor 1990 durch die NATO-Beschränkung der Bundeswehr und eine pazifistische Orientierung der westdeutschen Bevölkerung gekennzeichnet gewesen sei, sei danach der Ruf der internationalen Gemeinschaft zur Verantwortungsübernahme in Auslandseinsätzen in den Vordergrund getreten. Im Hinblick auf diese Einsätze sei ein regionaler Akzent, dass die Bürger der neuen Länder Umfragen zufolge noch skeptischer sind als die der alten – und damit stärker die Sonderrolle Deutschlands in der internationalen Politik betonen.

Michael Weigl schloss die Podiumsdiskussion mit Fragen zum Geschichtsbewusstsein der vereinten Deutschen in Ost und West. In seinen Ausführungen zu „Erinnerung versus Neuanfang“ bezog er sich unter anderem auf die Beschäftigung mit der doppelten deutschen Diktaturerfahrung. Dabei sei durchaus beobachtbar, dass im Osten die Erinnerung an den Mauerfall qua eigener Betroffenheit im Vordergrund stehe, während bei den Einstellungen der Bevölkerung im Westen die Erinnerung an den Nationalsozialismus traditionell die entscheidende sei. Unterschiede seien aber nicht zu überschätzen: Insbesondere die Strukturen der Erinnerungskultur wiesen zahlreiche Ähnlichkeiten auf. Tatsächlich, und diese Feststellung bildete ein Fazit der Veranstaltung, gebe es ein deutliches Aufeinander-Zugehen von Ost und West – in der gegenseitigen Wahrnehmung allerdings sei das Trennende häufig noch vordergründig.


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