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Lissabon in der Analyse – Der Reformvertrag der Europäischen Union

Herausgegeben von Werner Weidenfeld

Werner Weidenfeld (Hrsg.): Lissabon in der Analyse – Der Reformvertrag der Europäischen Union, Münchner Beiträge zur europäischen Einigung, Band 20, 280 S., brosch., ISBN 978-3-8329-3524-5, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2008.

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10.08.2008 · Münchner Beiträge zur europäischen Einigung



Am 13. Dezember 2007 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den "Vertrag von Lissabon". Dieser sollte ursprünglich zu Beginn des Jahres 2009 in Kraft treten. Nachdem eine Mehrheit der irischen Wähler den Vertrag in einem Referendum am 12. Juni 2008 ablehnte, ist die Zukunft der Reformen der EU jedoch wieder ungewiss. Das Vertragswerk kann nur in Kraft treten, nachdem es von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde.

Vor diesem Hintergrund untersucht Band 20 der Münchner Beiträge zur europäischen Einigung mit dem Titel "Lissabon in der Analyse – Der Reformvertrag der Europäischen Union" den aktuellen Integrationsstand der EU. In einem ersten Schritt wird die Entstehungsgeschichte des neuen Vertragswerks nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags untersucht. Die anschließenden Beiträge beleuchten die Reformergebnisse mit Blick auf die europäischen Institutionen und die nationalen Parlamente sowie die einzelnen Politikfelder (Justiz und Inneres; Wirtschaft, Währung und Haushalt; Außen- und Sicherheitspolitik; Energiepolitik). Schließlich werden die Konsequenzen des neuen Vertragswerks auf Handlungsfähigkeit, Identität und Demokratie in der EU aufgezeigt. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union arbeiten die einzelnen Beiträge heraus, warum die im Vertrag von Lissabon enthaltenen Reformen für die Sicherung von Handlungsfähigkeit und Demokratie in der EU dringend nötig sind.

"Lissabon in der Analyse – Der Reformvertrag der Europäischen Union" setzt die Kontinuität der Analysebände zu den Verträgen von Maastricht, Amsterdam, Nizza und dem Verfassungsvertrag fort, die das Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung erarbeitete.

Warum die Reformen des Vertrags von Lissabon nötig sind

Neue Potenziale nach der Krise
„Die Globalisierung hat die Nationalstaaten zu klein werden lassen, um den drängenden Herausforderungen wie internationaler Terrorismus, organisierte Kriminalität, Wettbewerbsdruck, Migration, Ressourcenknappheit und Klimawandel entgegentreten zu können. Der Vertrag von Lissabon bietet diejenigen Instrumente, die erforderlich sind, um die europäischen Kapazitäten zu bündeln und die gemeinsamen Probleme zu bewältigen. Das neue Vertragswerk ist dringend nötig, will die Union auf der internationalen Bühne nicht marginalisiert werden.“ (Werner Weidenfeld)
 
Institutionenarchitektur
„Die institutionelle Architektur der Europäischen Union erhält mit dem Vertrag von Lissabon zwar kein völlig neues Gesicht. Die Besonderheiten des europäischen Mehrebenesystems werden gewahrt, die verschiedenen Legitimationsquellen sorgfältig ausbalanciert. Doch bietet das neue Vertragswerk mit Blick auf die Handlungsfähigkeit und Demokratie in der EU deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Status Quo: Das Europäische Parlament erhält zahlreiche neue Kompetenzen, der Rat kommt leichter zu Entscheidungen, durch den permanenten Vorsitz im Europäischen Rat erhält die Politik der EU mehr Kontinuität.“ (Sarah Seeger)
 
Inneres und Justiz
„Der Vertrag von Lissabon schafft eine Konsolidierung des rechtlichen Rahmens europäischer Kooperation im Bereich der Innen- und Justizpolitik. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments verbessert die legislative Kontrolle und verbreitert die Legitimationsbasis europäischen Handelns. Die Balance zwischen Ausnahmeregelungen einerseits und der Erleichterung einer verstärkten Zusammenarbeit andererseits erlaubt es, die Dynamik des Projekts eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufrecht zu erhalten.“ (Michael Bauer)

Wirtschaft, Währung, Haushalt
„Für die Politikbereiche Wirtschaft, Währung und Haushalt bringt der Vertrag von Lissabon zahlreiche Vorteile. Generell gilt, dass sich die EU stärker denn je als politisches Gemeinwesen definiert. Der Euro wird nicht nur als Währung, sondern auch als Symbol der Europäischen Union gestärkt. Das Europäische Parlament wird darüber hinaus in vielen Politikfeldern, zum Beispiel beim klassischen Parlamentsvorbehalt des Budgetrechts, dem Rat gleichgestellt: Eine demokratische und effiziente Kontrolle wird möglich. Zudem kann die Eurogruppe ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union besser vertreten. Mit den Regelungen für die Eurogruppe wird die differenzierte Integration auf dem fortschrittlichsten Stand kodifiziert. Schließlich wird die Europäische Kommission zur Wächterin der nationalen Finanzpolitiken. Ihre Rolle in der Wirtschaftspolitik wird deutlich gestärkt.“ (Roman Maruhn)
 
Außen- und Sicherheitspolitik
„Der Vertrag von Lissabon ermöglicht im Bereich der europäischen Außenpolitik eine stärkere Identitätsbildung. Durch die Einrichtung eines diplomatischen Dienstes, mit einer Art EU-Außenminister und durch die Wahl eines Ratspräsidenten der EU kann die Kontinuität europäischer Politik auf internationaler Ebene gestärkt werden. Des Weiteren werden flexible Formen der Gruppenbildung möglich, beispielsweise durch die ständige strukturierte Zusammenarbeit, sodass die Handlungsfähigkeit der EU gewährleistet bleibt.“ (Franco Algieri und Thomas Bauer)
 
Energiepolitik
„Seit vielen Jahren bemüht sich die EU um eine konsistente Energiepolitik, für die ihr bisher die rechtliche Grundlage gefehlt hat. Mit dem neuen EU-Vertrag wird diese Lücke zumindest ansatzweise geschlossen. Versorgungssicherheit und Klimaschutz werden zu den zentralen Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten gehören. Ohne die Lissabonner Reformen wird es der EU kaum gelingen, in diesem Bereich zum Wohl aller Mitgliedstaaten als globaler Akteur in Erscheinung zu treten.“ (Florian Baumann und Jürgen Turek)
 
Nationale Parlamente
„Mit der Einbeziehung der nationalen Parlamente in den europäischen Entscheidungsprozess wird die EU demokratischer und transparenter. Sie haben die Möglichkeit, der europäischen Gesetzgebung Schranken aufzuzeigen, wenn sie meinen, das Subsidiaritätsprinzip werde verletzt. Der Verlust nationaler Gestaltungsmöglichkeiten wird damit zwar nicht rückgängig  gemacht. Aber die Chancen waren noch nie so gut, dass europäische Politik in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen und kontrolliert wird. Und die nationalen Parlamente hatten noch nie so gute Möglichkeiten, die Gesetzgebung Europas zu beeinflussen.“ (Matthias Chardon)
 
Politische Führung und Differenzierung
„Das Referendum in Irland hat gezeigt, dass die EU künftig mehr politische Führung und Flexibilität benötigt, will man den eigenen Bürgern und den internationalen Partnern greifbare Ergebnisse vorweisen. Der Vertrag von Lissabon stärkt diesen Aspekt der europäischen Integration, da er zu mehr Differenzierung und klaren politischen Verantwortlichkeiten führt. Dies fördert klare Ergebnisse und trägt zu einem positiveren Bild der EU gegenüber ihren Bürgern bei.“ (Thomas Bauer und Florian Baumann)
 
Identität
„Lissabon könnte sich als wichtiger Eckpfeiler europäischer Selbstverständigung erweisen. Zwar fehlte der Union der Mut, sich auf ein stringentes Selbstbild festzulegen. Das Spannungsfeld zwischen identitärer Erneuerung und Beharrung hat sich mit dem Reformvertrag weiter verschärft. Die laufende Diskussion um Wesen und Zukunft der Union, den die EU-Staatsspitzen nicht selbst zu entscheiden vermochten, wird weiter angeheizt. Doch sind es gerade solche Diskurse, aus denen ein europäisches Selbstbewusstsein erwachsen kann. Lissabon gibt diesen Diskursen um Europas Identität neue Impulse.“ (Michael Weigl)
 
Politisierung in der EU
„Politik muss für die Bürger sichtbar und erfahrbar zu sein, um Interesse und Partizipation zu wecken. Dazu gehört auch, eine Streitkultur entlang bekannter Muster zu etablieren. Der Vertrag von Lissabon trägt durch verschiedene Bestimmungen zu einer stärkeren Politisierung europäischer Politik bei: durch die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament, durch das europäische Bürgerbegehren, durch die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens und durch die eine stärkere Personalisierung europäischer Politik. Für die demokratische Legitimation der EU sind dies wichtige Entwicklungsschritte.“ (Sarah Seeger)


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