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Deutschlands Unternehmer – Politisch heimatlos

Mit Statements von Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Den Wahlsieg der Wunschkoalition aus CDU und FDP haben die deutschen Unternehmer noch gefeiert. Doch längst ist die Enttäuschung groß. Vor allem die Liberalen sind für die Macher des Mittelstands und deutscher Familienunternehmen ein Totalausfall. Die Unternehmer fühlen sich allein gelassen – es herrscht Ratlosigkeit und Wut.

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28.06.2010 · Handelsblatt



BERLIN/DÜSSELDORF. Das war ein Ergebnis ganz nach dem Geschmack der Unternehmer: „Die Wahl stärkt den Investitionsstandort Deutschland“, jubelte Karl-Heinz Streibich, der Vorstandsvorsitzende der Software AG. Auch Martin Herrenknecht, Chef des gleichnamigen Maschinenbauunternehmens, schlug den hohen Ton an: „Eine schwarz-gelbe Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel ist eine sehr gute Ausgangsbasis, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen.“

Diese Zeiten der Harmonie zwischen Unternehmertum und Bundesregierung sind vorbei. Die Firmenchefs und ihre leitenden Angestellten sind nicht nur enttäuscht, sie sind wütend. „Die in Berlin“ ist zum Synonym für einen Frust geworden, der tiefer wurzelt, als es die Umfragen vermuten lassen. Die FDP ist zwar seither schon von 15 Prozent auf fünf Prozent in der Wählergunst abgestürzt. Aber der Vertrauensverlust geht weit darüber hinaus.

Einer wichtigen gesellschaftlichen Gruppe ist die politische Heimat abhanden gekommen. Wenn derzeit Unternehmer miteinander sprechen, kocht der Unmut über die Zustände in der Politik schnell hoch – man fühlt sich unverstanden und unerhört. So war es kürzlich beim „Tag des deutschen Familienunternehmens“ im Berliner Hotel Adlon, auf dem, so ein Teilnehmer, „ohnmächtige Wut“ auf die Politik zum Ausdruck kam.

Auslöser war ein Vortrag von Brun-Hagen Hennerkes, der in Stuttgart eine auf die Anliegen von Familienunternehmen spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei betreibt und eine Stiftung für diese Zielgruppe ins Leben gerufen hat. Als Vorstand der Stiftung „Familienunternehmen“ warf er den Politikern vor, sich bei ihren Entscheidungen nur an der Großindustrie zu orientieren – wenn denn überhaupt wirtschaftliche Kategorien eine Rolle spielten.

Besonders der Schlingerkurs der Regierung verärgert die Unternehmer: „Wir erwarten, dass die Regierungsparteien das Heft in die Hand nehmen und nicht nur taktieren. Das macht die Leute wahnsinnig“, sagt Ulrich Dietz, Vorstandsvorsitzender der GFT Technologies AG in Stuttgart, der an der Tagung teilgenommen hat, – genauso wie Peter Kulitz, geschäftsführender Gesellschafter der ESTA Apparatebau GmbH und Präsident der IHK in Ulm. Nach dessen Beobachtung sind „die Koalitionspolitiker mit der Lage überfordert, orientierungslos, sie agieren nicht, sie reagieren nur. Das ist Hilflosigkeit, mit dem Willen an der Macht zu bleiben.“

Der Unmut über die Politik macht sich dabei zunehmend auch an Personen fest. Heinrich Weiss, Vorsitzender der Geschäftsführung der SMS Group in Düsseldorf, ist schlecht auf die Liberalen zu sprechen: „Die meisten Unternehmer haben die FDP unterstützt und auf die Wiederbelebung der Sozialen Marktwirtschaft gehofft, nach den unseligen Kompromissen der Großen Koalition. Jetzt ist die Enttäuschung riesengroß. Besonders über die Person, die bei der FDP an der Spitze steht.“

Weiss, ehemaliger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), fordert personelle Konsequenzen: „Da ist ein sofortiger Wechsel notwendig, damit bis zur nächsten Wahl eine neue Führung aufgebaut werden kann.“

Die Enttäuschung beschränkt sich nicht auf die FDP. Die Politiker der CSU etwa sind für Friedrich Görtz, Mitinhaber des gleichnamigen Schuh-Unternehmens, „die Halbsozialisten in Bayern“. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU würde ja wohl, so der erzürnte Hamburger, am liebsten schon wieder die Steuern erhöhen.

Neben der Unzufriedenheit darüber, welches Bild die Regierung bietet – „katastrophal“, sagt der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Banken, Manfred Weber, – scheint beim Gespräch mit mittelständischen Unternehmern immer wieder durch, dass sie sich im Vergleich zu Großunternehmen wie Stiefkinder behandelt sehen. Es verärgert sie, wie schnell die Politik immer wieder bereit ist, bekannten Konzernen zur Hilfe zu eilen. Sie dagegen müssen um Kredite buhlen.

„An die Großindustrie wie die Automobilbauer wird viel Geld verteilt. Bei Opel war die Politik dann fast beleidigt, dass die ihr Geld nicht mehr nehmen wollten“, sagt Jürgen Heraeus, Aufsichtsratsvorsitzender der Heraeus Holding in Hanau. Heinrich Weiss sieht das genauso: „Die Regierenden reden überwiegend mit Managern aus Großkonzernen, die in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis zum Staat stehen – sei es wegen Staatsaufträgen oder wegen Subventionen. Deshalb kommen von dort selten kritische Reaktionen“, zürnt er. Ganz generell beklagt sich Ingrid Hofmann, Chefin der großen Zeitarbeitsfirma I.K.Hofmann in Nürnberg: „Ich habe das Gefühl, dass wir Unternehmer zwar immer parat stehen müssen, um einen Großteil der Lasten zu tragen, uns aber ansonsten wenig Wertschätzung zuteil wird.“

Axel Schmidt, der das Institut für Mittelstandsökonomie an der Universität Trier leitet und viel mit Unternehmern zusammenkommt, meint denn auch, dass sich der Unmut der mittelständischen Unternehmer nicht an Einzelheiten festmacht. Vielmehr gebe es hier das Gefühl, dass die Politik grundsätzlich in eine falsche Richtung laufe: „In den eigentümergeführten Unternehmen werden bestimmte Werte im Sinne der Gründerväter hochgehalten wie etwa Verlässlichkeit, Berechenbarkeit oder Einfachheit. Von der Wunschkoalition haben sie eine Politik in dieser Richtung erwartet. Doch nun nehmen sie das Gegenteil wahr.“

Diese Missstimmung ist der Politik natürlich nicht verborgen geblieben. Sie versucht, über die Verbände an die Unternehmer heranzukommen. Die frühere Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer ASU, jetzt „Die Familienunternehmer“, hatte in diesem Monat bereits die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP und Grünen bei einer Sitzung des Präsidiums zu Gast. Präsident Patrick Adenauer gibt sich denn auch diplomatisch: „Politiker müssen durch Unternehmer ermutigt werden, weil noch längst nicht alle Möglichkeiten für eine wachstumsorientierte Politik und mehr Arbeitsplätze in Deutschland ausgereizt sind.“

Thomas Selter, der das Familienunternehmen Gustav Selter im sauerländischen Altena führt, bevorzugt die deutliche Sprache: „Wir brauchen eine geistig-moralische Wende unter den Politikern. Oder jemand beweist mir, dass das derzeitige politische Handeln richtig ist und nicht das unternehmerische. Dann mache ich sofort Schulden bis zum Erbrechen.“

Auch Selter ist bei den „Familienunternehmern“ aktiv, genau wie früher Michael Fuchs, ein Unternehmer aus Koblenz. Heute ist Fuchs Vize-Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion und wehrt sich gegen die Kritik aus dem eigenen Lager: „Offenbar haben da einige vergessen, dass die Bundesregierung Bürger und Unternehmen zu Beginn des Jahres um 22 Mrd. Euro entlastet hat.“ Die Wirtschaft habe auch von etlichen steuerlichen Änderungen bei der Erbschaftsteuer und Absetzbarkeit von geringwertigen Wirtschaftsgütern erheblich profitiert. „Die Vorwürfe der Manager sind vor diesem Hintergrund ziemlich ungerecht“, findet Fuchs, der zudem Vorsitzender des Parlamentkreises Mittelstand der Unions-Fraktion ist.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) reagiert weniger pikiert: „Als Minister, dem der Mittelstand besonders am Herzen liegt, nehme ich die Bedenken sehr ernst. Die Kritik motiviert mich zusätzlich, weiter für die notwendigen Reformen und einen klaren ordnungspolitischen Kurs zu kämpfen“, sagte er am Sonntag.

Brüderle verweist darauf, seine Entscheidung im Fall Opel sei „übrigens kein Beleg für die Bereitschaft der Politik, Großunternehmen schnell zu Hilfe zu eilen“. Und in der Tat: Der Minister blieb standhaft – auch als die Kanzlerin bereits wieder die Staatskasse für einen Großkonzern öffnen wollte.

Auch Paul Friedhoff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagfraktion und selbst Unternehmer, erinnert an steuerliche Erleichterungen für Familien und Unternehmen von rund 24 Mrd. Euro. Mittelständler profitierten von den verbesserten Abschreibungsbedingungen bei geringwertigen Wirtschaftsgütern. Es gibt keine

Dass es damit getan ist, bezweifelt Werner Weidenfeld, Professor für politische Wissenschaft an der Universität München. Er sieht die beredten Unternehmerklagen über die Politik als Teil einer „politisch-kulturellen Erosion in der Republik“. Es gebe derzeit keine „großen gesellschaftlichen Botschaften“ mehr, für die man eintreten oder gegen die man kämpfen könnte. „Es gibt heute keine Auseinandersetzung mehr wie die um das Für und Wider der Mitbestimmung. Das ist alles weg.“ Heute beschränke sich der politische Streit auf Prozentsätze der Krankenkassenbeiträge. Selbst die Regierungserklärungen des seinerzeit als sehr pragmatisch geltenden Helmut Schmidt und die Reden eines Otto Graf Lambsdorff lesen sich im Vergleich zu den technokratischen Detailkatalogen von heute wie weltphilosophische Darlegungen.

Der Politikwissenschaftler schließt nicht aus, das die Unzufriedenheit eine neue Partei hervorbringt. Wenn Parteien Fehler machten, so Weidenfeld, dann entstünden Bewegungen wie die Freien Wähler, die im Bayerischen Landtag sitzen, die Piratenpartei oder die Tea-Party-Bewegung in den USA. „Das würde ich in Deutschland nicht ausschließen“, meint der Wissenschaftler: „Warum soll so etwas immer nur links passieren?“


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