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Missglückter Sprung an die Spitze

Roman Maruhn bezieht bei heute.de Stellung zur Lissabon-Strategie der EU.

Von Julia Kiehne

22.03.2005 · heute.de



Brüsseler Gipfel berät über die Lissabon-Strategie

Das Ziel war hoch gesteckt: Bis 2010 wollte die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt werden. So hatte es zumindest der Europäische Rat im März 2000 in Lissabon beschlossen. Die Halbzeit-Bilanz nach fünf Jahren ist jedoch ernüchternd. Beim Brüsseler Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs soll nun das Reformvorhaben reformiert werden. Vom Sprung an die Spitze der Weltwirtschaft ist dabei keine Rede mehr.

Weniger Armut, dafür mehr sozialer Zusammenhalt und bessere Bildung; eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent und deutlich mehr erwerbstätige Frauen; der Ausbau des Binnenmarktes und Investitionen von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Forschung - die Kernideen für den anvisierten Weg an die Spitze der Weltwirtschaft klingen gut. Der Erfolg allerdings ist mäßig: Verwirklicht wurde bislang kaum etwas.

Etappenziele verfehlt

"Im Grunde genommen kläglich" sei das Halbzeit-Ergebnis der Wirtschaftsstrategie, bekannte der amtierende EU-Ratspräsident, Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, Anfang März. Er sieht den Grund dafür in der völlig mangelhaften Umsetzung durch die nationalen Regierungen.

"Gemessen an der sehr kämpferischen Deklaration aus dem Jahr 2000 ist die Lissabon-Strategie gescheitert", bilanziert auch der Politikwissenschaftler Roman Maruhn vom Centrum für angewandte Politikforschung in München. "Die Etappenziele sind nicht verwirklicht worden, positive Entwicklungen gibt es vor allem in kleinen Nationalstaaten."

"Europa hat an Boden verloren"

Eine unabhängige Sachverständigengruppe unter dem ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok hat bereits im November 2004 eine Halbzeit-Bilanz vorgelegt. Das Fazit ist ernüchternd: "Zu viele Zielvorgaben wird man weit verfehlen", heißt es in dem Kok-Bericht. "Europa hat sowohl gegenüber den USA als auch gegenüber Asien an Boden verloren." Die Experten werfen den Einzelstaaten schlechte Koordinierung und mangelnden politischen Willen vor. So steckten die EU-Staaten im Durchschnitt lediglich 1,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Forschung - statt der in Lissabon angepeilten drei Prozent. Auch das für 2005 formulierte Zwischenziel einer Beschäftigungsquote von 67 Prozent werden voraussichtlich nur sieben der 25 EU-Mitglieder erreichen.

Wagemutige Ideen

Die Halbzeit-Bilanz offenbart eines der Kernprobleme der Lissabon-Strategie: Ihre Umsetzung ist freiwillig. Ein umfangreiches und kompliziertes Berichterstattungssystem dokumentiert zwar die Fortschritte, echte Sanktionsmöglichkeiten gibt es aber nicht. Keines der Mitgliedsländer kann gezwungen werden, die formulierten Vorgaben auch tatsächlich zu erfüllen.

Die Ideen hinter der in Lissabon beschlossenen Agenda seien zwar "sehr gut" und wiesen in die "richtige Richtung", sagt Maruhn. Sie seien aber "sehr wagemutig" gewesen und das Ziel für einen Zehn-Jahres-Zeitraum "zu ambitioniert". "Die EU ist sehr heterogen strukturiert", so seine Erklärung. "Es gibt sehr marktwirtschaftliche Mitgliedstaaten, Länder mit einer sozialen Marktwirtschaft und wieder andere, die eine sehr protektionistische Tradition haben und ihre Märkte sehr wenig öffnen. Wir sind einfach noch keine gemeinsame Volkswirtschaft."

Wirtschaft im Vordergrund

"Die Ziele waren richtig, aber die Umsetzung war schlecht", urteilt auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Beschäftigung und Wachstum sind die Schlüsselthemen seiner Amtszeit, an denen er später gemessen werden wird. Barrosos Kommission möchte nun das umfangreiche Strategiepapier neu ausrichten und sich auf diese beiden Kernziele konzentrieren. Unter dem Namen "Wachstum und Beschäftigung" soll die Lissaboner Initiative neu belebt werden. Klare Verantwortlichkeiten, weniger aufwändige Berichte über die Fortschritte, weniger Bürokratie und mehr Diskussionen wünscht sich die Brüsseler Behörde. Jede Regierung soll einen "Mr. Lissabon" benennen, der für die Umsetzung der gemeinsamen Vorgaben verantwortlich ist.

Lockerung der Kriterien

Von zwei zentralen Ideen hat Barrosos Kommission sich allerdings verabschiedet: Der Sprung an die Spitze bis zum Jahr 2010 wird in dem Reformkonzept nicht mehr erwähnt, ebenso ist die Beschäftigungsquote von 70 Prozent aus dem Papier verschwunden. Dafür erwartet der Kommissionschef in den nächsten fünf Jahren sechs Millionen neue Arbeitsplätze. Während die europäischen Konservativen die Marschrichtung begrüßen, erntet Barroso von den Grünen und Sozialdemokraten Kritik. Sie fürchten die Rückkehr zu einer Politik, die Umwelt, Verbraucher und soziale Aspekte vernachlässigt. Die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs zum Reformkonzept ist trotzdem wahrscheinlich, denn eine Lockerung der Kriterien nimmt sie noch weniger in die Pflicht.

"Eine Art Reformwettbewerb"

Dennoch habe das Programm seinen Sinn, sagt der Politikwissenschaftler Maruhn. Eine gemeinsame Strategie könne nicht nur als "guter Ideengeber" fungieren, sondern auch "eine Art Reformwettbewerb" erzeugen. "Einige nationale Reformprozesse sind unter Umständen auch auf die Lissabon-Strategie zurückzuführen," glaubt er. Viel schwerer wiegt in seinen Augen die Tatsache, dass die Länder der Euro-Zone derzeit eine schlechtere Wirtschaftsdynamik aufweisen als die Resteuropäer: "Wirklich tragisch ist für das europäische Integrationsprojekt, dass die Integrationsbesten wirtschaftlich versagen", so Maruhn.


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