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Rechtsextremismus und Medien

Wirkungen reflektieren, Stereotype vermeiden

Erstveröffentlichung dieses Beitrags in Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 42/2005).

16.10.2005 · Position von Britta Schellenberg



Einleitung

Der politische Diskurs zum Thema Rechtsextremismus, die öffentliche und private Einschätzung des Gefahrenpotenzials und schließlich der Umgang mit dem Rechtsextremismus werden maßgeblich durch die Medien geprägt. Gleichzeitig können Themensetzung und -gestaltung nicht unabhängig von öffentlichen und politischen Diskursen verstanden werden. Medienmacher kommen nicht umhin - als Rezipienten und in der Gestaltung von Beiträgen, die sich an Personen in einem spezifisch gesellschaftlichen Umfeld richten - Meinungen und Bilder vom Rechtsextremismus aufzugreifen und zu vermitteln. Die Frage, inwieweit die Medien dem Phänomen Rechtsextremismus gerecht werden, ist daher auch eine gesellschaftliche Frage.

Eine Analyse der Berichterstattung über Rechtsextremismus schließt nicht nur den Blick auf die Qualität der journalistischen Arbeit ein, die sich im Spannungsfeld zwischen Chronistenpflicht und Aufklärung bewegt. Es ist auch zu fragen, wie verschiedene Rezipientengruppen bestimmte Sendungen wahrnehmen und verarbeiten. Neben den Wirkungen einzelner Sendungen ist - mit einem breiteren Blick auf die Entwicklungen in der Berichterstattung über mehrere Jahre hinweg - zu untersuchen, wie präzise die Medien die Ereignislage zum Rechtsextremismus und dessen aktuellen Charakter (etwa Anzahl und Schwere der Gewalttaten oder Verbreitung rechtsextremer Einstellungsmuster) abbilden und inwiefern es ihnen gelingt, ein adäquates Bild des Gefahrenpotenzials zu zeichnen. Ist die Darstellung oder Konstruktion des Rechtsextremismus in den Medien realitätsgetreu? Inwieweit wird das Thema durch die Intensität und die Inhalte der Berichterstattung dramatisiert oder verharmlost? Wird Rechtsextremismus als mediengerechtes Phänomen gestaltet, und kann das Phänomen als Medienstory eine Eigendynamik entwickeln? Wie kann das verhindert werden?[1]

Nach diesen unterschiedlichen Blicken auf das Thema Rechtsextremismus in den Medien ist in einem zweiten Schritt abzuwägen, wie die Berichterstattung gestaltet sein muss, damit sie ein realitätsnahes Bild des Rechtsextremismus bietet und sowohl die Ereignislage nachzeichnet als auch für verschiedene Rezipientengruppen aufklärende Wirkung entfaltet.

Die Herausforderungen einer kompetenten Berichterstattung über Rechtsextremismus bedeuten eine schwierige Gratwanderung für die Verantwortlichen: Journalisten befinden sich in einem vielfältigen Dilemma, zwischen Chronistenpflicht und möglicher kontraproduktiver Wirkung, zwischen politischer Positionierung (oftmals der persönliche Anspruch, die eigene Abneigung gegen Rechtsextremismus auszudrücken), Aufklärerrolle und Zuschauerzahlen. Es wird auf der einen Seite Distanz zum Gegenstand des Berichts verlangt, zum anderen kann ein Beitrag zum Rechtsextremismus nicht ohne eine eigene Positionierung auskommen. Zu dieser problematischen Ausgangsposition gehört auch, dass der Journalist auf allgemeine medienspezifische Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen muss: So ist in den vergangenen Jahren ein Rückgang der politischen Berichterstattung zugunsten einer zunehmenden Orientierung an Personen, Emotionen, Unterhaltung sowie "starken" Bildern ("Emotainment") festzustellen. Zudem werden die Nachrichtenfaktoren Negativismus, Konflikthaftigkeit, Kontroverse, Aggression und Schaden von Zuschauern bevorzugt aufgenommen.[2] Auch hier müssen Journalisten eine Gratwanderung zwischen Rücksichtnahme auf eben diese Rahmenbedingungen und einer realitätsgetreuen und sachgerechten Darstellung vollziehen.

Kontinuierlichkeit

Spätestens seit den frühen neunziger Jahren steht der Rechtsextremismus in Deutschland auf der Tagesordnung (im Jahr 2004 kam es zu 776 rechtsextrem, fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierten Gewalttaten).[3] Das Wählerpotenzial von rechtsextremen Parteien ist keineswegs gering.[4] Vor allem fremdenfeindliche Einstellungen sind in der Bevölkerung verbreitet und haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen.[5] Tatsächlich ist Rechtsextremismus ein sowohl latentes als auch manifestes Phänomen, wenngleich rechtsextreme Parteien bei Wahlen auf Bundesebene im Vergleich etwa zu Belgien oder Frankreich bislang relativ erfolglos geblieben sind. In Deutschland zeigt sich Rechtsextremismus gegenwärtig vor allem durch häufige und teilweise schwere Gewalttaten, im jugendkulturellen Bereich und in der Alltagskultur - vor allem in ländlichen Gegenden Ostdeutschlands - und prägt den öffentlichen Diskurs, etwa zu Themen wie Integration und Globalisierung. Genauso wenig, wie es sich um ein plötzlich aufgetauchtes, neues Problem handelt, ist zu erwarten, dass der Rechtsextremismus in den nächsten Jahren plötzlich verschwinden könnte. Im Gegenteil: Der Problemhaushalt der Gesellschaft, ökonomische und soziale Verunsicherung, Zukunftsängste gepaart mit Mentalitätsbeständen in der Bevölkerung könnten den Rechtsextremen eher verstärkten Zuspruch einbringen.

Differenziertheit und Konstanz sind keine Vokabeln, die den medialen und politischen Umgang mit Rechtsextremismus in den vergangenen Jahrzehnten beschreiben. Während die Ereignislage konstant ist oder bezüglich bestimmter Syndrome des Rechtsextremismus sogar zunehmend bedrohlich wird, ist bislang weder in den Medien noch in der Politik eine zielbewusste und das Phänomen in seinen Facetten umspannende Strategie erkennbar. Eine intensive Berichterstattung über Rechtsextremismus und eine politische und öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema existieren durchaus. Es handelt sich aber meist um eher nervöse und hektische Momente, die das Thema kurzfristig in den Medien hochschnellen lassen. Abseits von diesen Höhepunkten in der Berichterstattung wird das gleichwohl vorhandene Problem nicht oder nur selten thematisiert.[6]

Seit der deutschen Vereinigung hat es drei intensive Phasen der Thematisierung gegeben, die von längeren "Sendepausen" unterbrochen wurden: 1992/93 beginnend mit dem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen; 1998 in Reaktion auf das Wahlergebnis der DVU, die mit 12,9 Prozent der Stimmen erstmals in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzog; im Sommer 2000 ausgelöst durch Brandanschläge auf einen S-Bahnhof in Düsseldorf und die Synagoge in Lübeck sowie den Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau.

Diese Schlüsselereignisse haben jeweils zu lauten Medienechos geführt.[7] Mit der Studie "Rechtsextremismus und Fernsehen",[8] die ein Teil des Projektes "Strategien gegen Rechtsextremismus" von der Bertelsmann Stiftung und dem Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.) war,[9] wurde die Berichterstattung der Jahre 2000 und 2001 analysiert. Erste Handlungsempfehlungen konnten ausgesprochen werden.[10] In diesem Zeitraum waren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen insgesamt 4688 Sendebeiträge oder 354 Programmstunden dieser Thematik gewidmet, das entspricht durchschnittlich knapp 30 Minuten pro Tag. Betrachtet man allerdings die Entwicklung der Anzahl und Länge der Beiträge wochenweise,[11] so zeigt sich, dass vor dem Höhepunkt im Spätsommer 2000 (über 225 Beiträge pro Woche) die Berichterstattung über das Thema minimal war (teilweise unter fünf Beiträgen bzw. Erwähnungen pro Woche). Ein ähnlicher Tiefstand wurde erst Ende 2001 wieder erreicht.[12] Genau genommen handelt es sich nicht um eine wellenförmige Berichterstattung, sondern um ein plötzliches Hochschnellen des Interesses am Thema, infolge dessen es dann zu einem langsamen Zurückgehen der Berichterstattung kommt.

Die Ereignislage und das allgemeine Bedrohungspotenzial des Rechtsextremismus sind nicht allein ausschlaggebend für die Intensität der Berichterstattung. Damit Rechtsextremismus zur Story oder einfach nur zur Nachricht wird, bedarf es besonderer medialer, politischer oder öffentlicher Zusatzreize. Erst ein Zusammenspiel von herausragenden rechtsextremen Ereignissen (etwa außergewöhnlich grausame Gewalttaten oder beachtliche Wahlgewinne), ein - zufälliges - Klima politischer Offenheit für dessen Thematisierung und individuelles journalistisches Engagement bringt den Rechtsextremismus in die Medien und damit in das Problembewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Um die Kontinuität der Berichterstattung zu stärken, ist es sinnvoll, die Spezialisierung von Journalisten zu fördern, das Fachwissen zu gesellschaftspolitischen Zusammenhängen (Demokratie und Menschenrechte, Erosion des Wertekonsenses) in Redaktionen zu vertiefen sowie den Zeitdruck abzubauen, um so eine sorgfältige Recherche zu ermöglichen.

Auseinandersetzung statt Ausgrenzung

Obwohl die thematischen Wellenbewegungen eine gewisse Regelmäßigkeit aufweisen, und trotz vielfältiger Studien zum Thema Rechtsextremismus in Deutschland sind die unmittelbaren Reaktionen auch nach Wahlerfolgen von Rechtsextremen in Medien und Politik höchst problematisch. Ein sorgfältig und langfristig durchdachter, kontinuierlicher Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus findet nach wie vor nicht statt. Die Wahlerfolge der NPD in Sachsen (9,2 Prozent) und der DVU in Brandenburg (6,1 Prozent) haben zu heftigen Reaktionen in Medien und Politik geführt. Ob die erneute, starke öffentliche Wahrnehmung des Themas tatsächlich ein verstärktes Engagement gegen Rechtsextremismus auszulösen vermag, muss sich noch zeigen.

Dem Einzug der NPD und der DVU in den Sächsischen bzw. Brandenburger Landtag standen die meisten Journalisten offenbar völlig unvorbereitet gegenüber. Viele erlagen sogar der Versuchung, Politikern von NPD oder DVU, die im Fernsehen auftraten, das Wort abzuschneiden oder sie verbal auszugrenzen. In Gesprächsführung und Redeverhalten verfolgten die Journalisten eine moralisch überhöhte Ausgrenzungsstrategie, die eine fundierte politische Auseinandersetzung verhinderte und den Rechtsextremen zugleich das Einnehmen einer Opferrolle ermöglichte. Ähnlich verhielten sich auch die Politiker sämtlicher demokratischer Parteien, die nach dem Wahlerfolg der sächsischen NPD im Studio von ARD und ZDF anwesend waren: Sie verließen aus Protest das Studio, als der stellvertretende Parteivorsitzende (und spätere Fraktionsvorsitzende) der NPD, Holger Apfel, zu Wort kam. Der Fernsehzuschauer blieb mit verunsichert wirkenden, der Situation nicht gewachsenen Moderatoren und dem rechtsextremen Politiker allein zurück. Eine kompetente Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema fand nicht statt. Die Medien sind in dieser Situation weder ihrer Aufklärer- noch ihrer Chronistenrolle nachgekommen.

Über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit muss kompetent aufgeklärt werden, ohne dabei auszugrenzen. Nicht hilfreich, sondern eher bestätigend für Rechtsextreme ist es, wenn eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht zugelassen wird. Um aufklärend zu wirken, muss man sich mit Rechtsextremen auseinandersetzen, antidemokratische Entwicklungen thematisieren und problematisieren. Voraussetzung für öffentliche Gespräche mit Rechtsextremen ist allerdings, sich mit den Argumentationsstrategien und Perspektiven der jeweiligen Parteien differenziert und kritisch auseinanderzusetzen oder zumindest kompetente Gesprächspartner einzuladen. Für eine inhaltlich angemessene Auseinandersetzung mit Rechtsextremen und Rechtsextremismus in den Medien, ist es daher unerlässlich, regelmäßig gezielte Schulungen im Bereich des politischen Journalismus durchzuführen.

Wirkungen reflektieren, Stereotype vermeiden

Die Berichterstattung über den Rechtsextremismus, so zeigt die Studie der ARD/ZDF-Medienkommission, wird von verschiedenen Rezipientengruppen (Rechtsaffine, Rechtsambivalente und Rechtsdistanzierte) unterschiedlich aufgenommen: Die Reaktionen reichen von ausländerfeindlicher Wut über Angst vor rechtsextremer Gewalt bis hin zu Ohnmachtsgefühlen. Die Rezeptionsanalysen machen deutlich, dass es für Redakteure und Journalisten wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass jeder journalistische Beitrag auf unterschiedliche Gruppen verschiedene Wirkungen entfalten kann. Diese unterschiedlichen Rezeptionsmöglichkeiten sollten im Vorfeld reflektiert werden. Ebenfalls im Vorfeld ist zu fragen, welches Beitragsformat für die Darstellung des Themas am ehesten geeignet ist: Geht es eher um einen ereignisbetonten Bericht, in dem das Geschehen anhand von Personen und Einzelhandlungen präsentiert werden soll? Oder ist es sinnvoller, die Ereignisse in einen abstrakteren Zusammenhang zu stellen, um über allgemeine Bedingungen und Folgen von Rechtsextremismus berichten zu können?[13]

Die Rezipientenanalysen und die tiefenhermeneutische Analyse der ARD/ZDF-Studie haben zudem, ähnlich wie die intensiven Gespräche zwischen Journalisten und Psychologen in Weinheim,[14] gezeigt, dass es durchaus bedeutsam sein kann, Information und Emotion miteinander zu verbinden. Beim Rechtsextremismus, insbesondere bei rechtsextremer Gewalt handelt es sich um ein hoch emotionales Thema. Eine moderate Emotionalisierung kann eine Identifikation des Rezipienten mit den Opfern ermöglichen und dazu anregen, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Allerdings dürfen die Rezipienten nicht von dem Beitrag "emotional überwältigt" werden. Die tiefenhermeneutischen Analysen der ARD/ZDF-Studie konnten verdeutlichen, dass Fernsehjournalisten ihre Emotionen während der Auseinandersetzung mit dem Thema bzw. den Ereignissen reflektieren sollten, um ihre eigene Position nicht unbewusst in den Beiträgen auszudrücken. Damit keine Ohnmachtsgefühle bei den Rezipienten entstehen, sollten Journalisten bei der Beitragsgestaltung versuchen, den Rezipienten das Gefühl zu vermitteln, selbst handlungsfähig zu bleiben oder werden zu können. Dies kann durch positive Identifikationsangebote erreicht werden.[15]

Die Inhaltsanalysen der ARD/ZDF-Studie haben gezeigt, dass insbesondere in den kurzen Beitragsformen der Nachrichten und Magazine häufig mit Stereotypen gearbeitet wird, die das Thema Rechtsextremismus unzulässig verkürzen. Beispielsweise wird Rechtsextremismus durch stereotype Bilder im Hintergrund (wie Springerstiefel oder Glatzen) oder Schlüsselbegriffe ("Nazis") aufgerufen, ohne eine Erklärung des Phänomens zu bieten. Allerdings kommt es auch vor, dass schablonenhaftes und verkürzendes Bildmaterial parallel zu sehr differenzierten Erklärungen ausgestrahlt wird und somit die Aussagen der Beiträge unterläuft.[16] Durch dramatisierende Bilder und Töne können Berichte überfrachtet werden und zu einer einseitigen Wahrnehmung des Rechtsextremismus führen. Durch übermäßige Effekte laufen die Beiträge zudem Gefahr, Angst zu wecken und Ohnmachtsgefühle auszulösen. Die Arbeit mit authentischen Bildern bzw. ein behutsamer Umgang mit Archivbildern, die stets als solche gekennzeichnet werden sollten, ist außerordentlich wichtig. Dort, wo die Visualisierung keinen aussagekräftigen Einblick bietet, sondern dem Beitrag nur zusätzliche Dramatik verleiht und aus sachlichen Gründen nicht sinnvoll ist, sollte eher ganz darauf verzichtet werden.

Wer über Rechtsextremismus berichtet, muss sich darüber bewusst sein, dass die Berichte dazu führen können, dass Rezipienten an Äußerungen und Taten von Rechtsextremisten Gefallen finden oder diese nachahmen. Verschiedene Studien konnten einen Anstieg rechtsextremer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Übergriffe nach herausragenden Gewalttaten, denen starke mediale Aufmerksamkeit geschenkt wurde, beobachten und einen Zusammenhang bestätigen (etwa im Zuge der bereits erwähnten Anschläge in Rostock-Lichtenhagen 1992).[17] Insbesondere Bilder haben eine große Suggestionskraft. Dass der Reiz zur Nachahmung von bislang nicht selbst praktizierten Handlungsschemata, der Reiz also, etwas Neues auszuprobieren, besonders stark von visuell dargestellten Szenen ausgeht, ist schon vielfach in Folge von Gewalttaten belegt worden.[18] Einen Zusammenhang sehen auch die Autoren einer Untersuchungen zum Mord an einem Jugendlichen in Potzlow (Brandenburg): Die rechtsextremen Täter, die ihr Opfer brutal quälten und schließlich ermordeten, erinnerten sich, kurz vor der Tat den Film American History X gesehen zu haben.[19] In diesem Film werden ausführlich Gewaltakte gezeigt, unter anderem der von Skinheads ausgeführte "Bordsteinkick" gegen einen schwarzen Autodieb. Eine visuelle Nachstellung der Gewalttaten oder das Einbringen authentischen Bildmaterials ist hier nicht hilfreich. Stattdessen sollte der Stellenwert der Ereignisse und Taten sachgerecht eingeordnet und die Ursachen von Gewalt sowie ihre Folgen analysiert werden. Hierzu zählt auch, dass Opfer rechtsextremer Gewalt zu Wort kommen.

Um die Wirkung eigener Beiträge besser einschätzen zu können, ist es notwendig, von stereotyper Visualisierung und nicht hinterfragten Originaltönen abzusehen, Abbildungen oder Nachstellungen von Gewalttaten zu vermeiden, Journalisten zu schulen und Feindbilder, Stereotype und Ängste zu reflektieren. Rechtsextreme Täter werden vielfach zu häufig ausschließlich als prügelnde Skinheads dargestellt, die nichts im Kopf haben und eine verwerfliche Gesinnung pflegen. Weitgehend vernachlässigt bleibt hingegen der gesellschaftlich akzeptierte und etablierte Rechtsextremismus, der so genannte "Rechtsextremismus im Nadelstreifen" und der Alltagsrassismus. Mit einer Berichterstattung, die stärker bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitete Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit oder auch Antisemitismus in den Blick nimmt, könnte es gelingen, die Zuschauer besser für die Formen des latenten Rechtsextremismus zu sensibilisieren.[20]

Eine ausgewogene und das Phänomen "Rechtsextremismus" umspannende Berichterstattung muss facettenreich sein und auch argumentationsfähige Repräsentanten der Szene in den Blick nehmen. Unterschiedliche Typen Rechtsextremer zu betrachten, trägt nicht nur zu einer realitätsgetreueren Darstellung bei, sondern ist auch wichtig, um den generell vorhandenen Manipulationsverdacht gegenüber dem Medium, den - wie die Rezeptionsanalysen ergaben - Rechtsextreme erheben, aufzubrechen. Bei der Täterdarstellung ist aber ebenso darauf zu achten, das Thema Rechtsextremismus nicht zu entpolitisieren.

Die Chronistenpflicht des Journalisten wie auch eine sachgerechte Darstellung des Rechtsextremismus gebietet es, mehrere Perspektiven auszuleuchten. Dabei sollten auch Sichtweisen von Rechtsextremen oder ihnen nahe stehenden Personen gezeigt und hinterfragt werden. Indem mehrere Perspektiven eingebracht werden, wird die Darstellung vielfältiger und breiter. So kann es interessant sein, die Perspektive der Opfer, die der Täter, die von Politikern und Experten oder auch die des sozialen wie politischen Umfelds zu betrachten. Das ermöglicht den Zuschauern, sich selbst eine Meinung zu bilden. Differenzierte Argumentationen können mitunter sogar die Möglichkeit bieten, Betroffenheit und Nachdenklichkeit auch bei rechtsextrem orientierten Zuschauern auszulösen. Allerdings ist es wichtig, dass Journalisten die eingenommenen Perspektiven kritisch reflektieren. Rechtsextremen und fremdenfeindlichen Äußerungen muss dezidiert widersprochen werden, da eine nichtkommentierte Darstellung von den Rezipienten als Beipflichtung und Bestätigung rechtsextremer Ansichten wahrgenommen werden könnte.

Migration und Ausländer thematisieren

Die Rezeptionsanalysen, die innerhalb der ARD/ZDF-Untersuchung vorgenommen wurden, bestätigen, dass Zuschauer, die sich der "rechten Mitte" mit "gesundem Nationalstolz" zugehörig fühlten, bei den Themen Ausländer, Migration und Fremdenfeindlichkeit stark emotional reagieren. Dabei warfen sie den öffentlich-rechtlichen Sendern vielfach eine Verharmlosung der "Ausländerproblematik" vor oder begrüßten negative Stellungnahmen über Migranten, beispielsweise in Interviews.[21] Neben den bereits oben erwähnten Befunden zur aktuellen Bedeutung von Fremdenfeindlichkeit ist es eine besondere Herausforderung für die Medien, Ressentiments gegenüber Migranten bzw. generelle Fremdenfeindlichkeit nicht weiter zu fördern, sondern ihnen entgegenzutreten.[22]

Der gemeinsame Lebensalltag von Einheimischen und Zugewanderten wird immer noch zu wenig als etwas Selbstverständliches dargestellt. Migranten sind in den modernen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts aber etwas Alltägliches und Normales. Daher sollten sie nicht vorwiegend als Kriminelle oder Auslöser von Konflikten gezeigt werden, wie das überdurchschnittlich häufig der Fall ist,[23] sondern als "normale", in Deutschland lebende Bürger. Auffällig ist, dass fremd erscheinende Gruppen in der Berichterstattung - verglichen mit ihrem statistischen Anteil an der Bevölkerung - deutlich überrepräsentiert sind. Sie werden zugleich besonders häufig negativ bewertet. Für das "Ausländerproblem" wird vielfach das Handeln und Verhalten der Migranten selbst verantwortlich gemacht, etwa durch bestimmte Verhaltenszuordnungen und Marginalisierungen.[24]

Besondere Umsicht ist im Zusammenhang mit der Darstellung von ausländischen Gruppierungen geboten. Untersuchungen zu Berichterstattung und Rezeption zum Beispiel von "Kurden und Extremismus" haben ergeben, dass unter bestimmten Gruppen die Gewaltbereitschaft der Rezipienten gegenüber Ausländern/Migranten wächst.[25] Unter Umständen kann die in den Medien verwendete (Bild-)Sprache negativen Einfluss auf die Zuschauer ausüben und unerwünschte Handlungsstrategien fördern. So sollten zum Beispiel Wörter wie "Asylantenflut" nicht verwendet werden, da solche Metaphern Bedrohungsängste hervorrufen oder gar potenzieren könnten.[26] In diesem Sinne sollten auch fragwürdige Politikeräußerungen problematisiert werden.

Anstelle einer negativen Diskussion des Themenkomplexes Migration und Ausländer ist es wichtig, dass Migranten und Ausländer zu Subjekten in der Berichterstattung werden. Informationen über die Kultur und Herkunftsländer der Migranten ebenso wie über die "Normalität" des Lebens von Migranten und Ausländern in Deutschland können dazu beitragen. Es reicht nicht, vereinzelt alltägliche, normale und damit verstärkt positive Facetten von Zuwanderung darzustellen. Notwendig ist es, ein Konzept bzw. ein Leitbild für die Medien zu entwickeln, das Einwanderung und Einwanderer grundsätzlich anerkennt, akzeptiert und begrüßt.[27] In diesem Kontext ist es wichtig, das Thema Fremdenfeindlichkeit als zentral für Strategien gegen Rechtsextremismus zu betrachten und entsprechend sensibel damit umzugehen.

Ausblick

Ein verbesserter Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus in den Medien ist möglich. Dafür sind kontinuierliche Berichterstattung, kompetente, Ausgrenzung vermeidende Auseinandersetzung, differenzierte Darstellung und die Reflexion möglicher Rezeptionsweisen vor der Gestaltung eines Beitrags notwendig. Besonderes Augenmerk sollte den Themen "Migration" und "Ausländer" geschenkt werden.

Probleme bei der Thematisierung des Rechtsextremismus sind originär in den Medien verankert. Die Gründe dafür liegen im Visualisierungs-, Dramatisierungs- und Quotendruck, in der mangelnden Ausleuchtung von Hintergründen und am Übergewicht an ereignisorientierter und tagespolitischer Berichterstattung. Diese Entwicklungen müssen reflektiert werden, um Einschränkungen bei der Qualität zu vermeiden. Die Medien sind kein abgeschlossenes System für sich, sie interagieren nicht nur, sondern sie sind Teil eines breiten öffentlichen Diskurses, der problematische Stereotypisierungen und Ausgrenzungsstrategien in sich birgt. Diese Strukturen gilt es zu analysieren, um unsere demokratische Gesellschaft aktiv zu gestalten.

Fußnoten

  1. Vgl. Katharina Kleinen-von Königslöw/Bertram Scheufele/Frank Esser, Gewalt- und Berichterstattungswellen als Resonanzeffekte von "Düsseldorf" und "Sebnitz", in: Frank Esser/Bertram Scheufele/Hans-Bernd Brosius (Hrsg.), Fremdenfeindlichkeit als Medienthema und Medienwirkung, Wiesbaden 2002, S. 95 - 142.
  2. Vgl. Christiane Eilders, Nachrichtenfaktoren und Rezeption. Eine empirische Analyse zur Auswahl und Verarbeitung politischer Information, Opladen 1997, S. 68.
  3. Vgl. Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 2004, Berlin 2005 (Vorabfassung), S. 31 - 35.
  4. Dieses Potenzial - meist werden rund zehn Prozent genannt - wird kaum ausgeschöpft; dies hat historische Ursachen und ist auch auf die Zersplitterung und das parlamentarische Unvermögen der Rechtsextremen zurückzuführen.
  5. Vgl. Wilhelm Heitmeyer, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die theoretische Konzeption und empirische Ergebnisse aus den Jahren 2002, 2003 und 2004, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände 2004. Folge 2, Frankfurt/M. 2005, S. 13 - 36.
  6. Vgl. Hans-Jürgen Weiß/Cornelia Spallek, Fallstudien zur Fernsehberichterstattung über den Rechtsextremismus in Deutschland 1998 - 2001, Düsseldorf 2002, S. 17f.
  7. "Schlüsselereignisse" lösen "Krisenphasen" in den Medien aus; in ihnen entfaltet die Berichterstattung durchaus eskalierende Wirkung, die zu Folgetaten führen kann. Vgl. Hans-Bernd Brosius/Frank Esser, Eskalation durch Berichterstattung. Massenmedien und Fremdenfeindliche Gewalt, Opladen 1995; vgl. auch F. Esser/B. Scheufele/H.-B. Brosius (Anm. 1).
  8. Die Studie analysiert die Berichterstattung im Fernsehen - fiktionale Beiträge blieben ausgespart. Die Studie wurde von der ARD/ZDF-Medienkommission verantwortet und mit der finanziellen Unterstützung der Evangelischen und der Katholischen Kirche Deutschlands sowie der Bertelsmann Stiftung erstellt. Die Untersuchung umfasst Inhalts-, Rezeptions- und tiefenhermeneutische Analysen (Erfassung des latenten und manifesten Sinngehalts der Beiträge). Vgl. Ekkehardt Oehmichen/Imme Horn/Sylvia Mosler, Rechtsextremismus und Fernsehen, in: Bertelsmann Stiftung/Bertelsmann Forschungsgruppe Politik (Hrsg.), Strategien gegen Rechtsextremismus, Bd. 1. Ergebnisse der Recherche, Gütersloh 2005, S. 146 - 207.
  9. www.cap-lmu.de/projekte/bertelsmann/
    rechtsextremismus.php
    .
  10. Vgl. Hauke Hartmann/Britta Schellenberg, Strategien gegen Rechtsextremismus: Ergebnisse und Handlungsfelder, in: Viola B. Georgi/Hauke Hartmann/Britta Schellenberg/Michael Seberich (Hrsg.), Strategien gegen Rechtsextremismus, Bd. 2: Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis, Gütersloh 2005, S. 16 - 41 und ebd., S. 95 - 98.
  11. Mehr als drei Viertel der Berichterstattung im Untersuchungszeitraum hat nachrichtlichen bzw. ereignisbezogenen Charakter. Lediglich sechs Prozent der Beiträge bzw. 18 Prozent der Sendezeit entfallen auf eigene journalistische Thematisierungen. Entsprechend dominant sind aktualitätsbezogene Formate in der Berichterstattung: 60 Prozent sind Magazinbeiträge, 34 Prozent sind Nachrichten und nur drei Prozent Dokumentationen oder längere Berichte.
  12. Vgl. E. Oehmichen/I. Horn/S. Mosler (Anm. 8), S. 151 - 153.
  13. Vgl. Shanto Iyengar, Is Anyone Responsible? How Television Frames Political Issues, Chicago 1991.
  14. Vgl. E. Oehmichen/I. Horn/S. Mosler (Anm. 8), S. 194ff.; Beate Winkler (Hrsg.), Die Täter-Opfer-Falle. Journalisten und Psychoanalytiker im Gespräch über Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit, Weinheim 2000, S. 7 - 136.
  15. Vgl. E. Oehmichen/I. Horn/S. Mosler (Anm. 8), S. 204f.
  16. Vgl. Peter Widmann, Vortrag zu Rechtsextremismus als Thema in den Medien, Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin, 30. 3. 2005.
  17. Vgl. Thomas Ohlemacher, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus: Mediale Berichterstattung, Bevölkerungsmeinung und deren Wechselwirkung mit fremdenfeindlichen Gewalttaten, 1991 - 1997, Hannover 1998; H.-B. Brosius/F. Esser (Anm. 7).
  18. Leonard Berkowitz, The contagion of violence: An S-R mediational analysis of some effects of observed aggression, in: Nebraska Symposium on Motivation, 18 (1970), S. 95 - 135.
  19. Michael Kohlstruck/Anna Vera Münch, Der Mordfall Marius Schöberl. Arbeitspapier 1/2004, S. 37 - 40; publiziert in: Wolfram Hülsemann/Michael Kohlstruck (Hrsg.), Mobiles Beratungsteam. Einblicke. Ein Werkstattbuch, Potsdam 2004, S. 15 - 46.
  20. Vgl. E. Oehmichen/I. Horn/S. Mosler (Anm. 8), S. 203f.
  21. Vgl. ebd., S. 171f., S. 198.
  22. Vgl. Jessika ter Wal (Hrsg.), Racism and Cultural Diversity in the Mass Media - An overview of research and examples of good practice in EU Member States, 1995 - 2000, Wien 2003, S. 90 - 419; Georg Ruhrmann, TV-Nachrichtenauswahl und -wirkung der Berichterstattung über Migranten. Kurzfassung DFG-Projekt, unveröff. Arbeitspapier Juni 2004.
  23. Vgl. Siegfried Jäger, Von deutschen Einzeltätern und ausländischen Banden. Medien und Straftaten, in: Heribert Schatz u.a. (Hrsg.), Migranten und Medien, Opladen 2000, S. 207 - 216.
  24. Barbara Pfetsch und Hans- Jürgen Weiß, Die kritische Rolle der Massenmedien bei der Integration sozialer Minderheiten: Anmerkungen aus einem deutsch-israelischen Forschungsprojekt, in: H. Schatz (Anm. 24), S. 106 - 115.
  25. Betram Scheufele, Mediale Kultivierung des Fremden. Mehrstufige Klimaeffekte der Berichterstattung - Medien, Problemgruppen, öffentliche Meinung und Gewalt am Fallbeispiel "Kurden", in: F. Esser/ B.Scheufele/H.-B. Brosius (Anm. 1), S. 142 - 185.
  26. Vgl. Matthias Jung/Thomas Niehr/Karin Böke, Ausländer und Migranten im Spiegel der Presse, Wiesbaden 2000; ein diskurshistorisches Wörterbuch zur Einwanderung seit 1945 mit gesellschaftspolitischen Reflektionen und Implikationen. Vgl. auch Martin Wengeler, "Asylantenfluten" im "Einwanderungsland" Deutschland. Brisante Wörter in der Asyldiskussion, in: Sprache und Literatur, 72 (1993), S. 2 - 30.
  27. Das Themenfeld "Migration" wird immerhin verstärkt als Zukunftsthema begriffen. Allerdings spiegelt sich das bisher kaum bzw. gar nicht in der Ausbildung von Journalisten bzw. im Programm der Medien wider. Das zeigte eine am C.A.P. im Frühjahr 2004 durchgeführte Recherche, die Journalistenschulen und Rundfunkanstalten in Deutschland befragte. Pionierarbeit leistet seit einigen Jahren vor allem der WDR.

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