Wirtschaftliches Wachstum, Demographie und Terrorismus
fore/sight-Impulskonferenz in München
18.01.2005 · Forschungsgruppe Zukunftsfragen
Die Teilnehmer der 2. fore/sight-Impulskonferenz
Kreative Ökonomie
Dr. Warnfried Dettling, Publizist und Dr. Heike Grimm, Universität Erfurt und Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena, lieferten den Aufschlag zur zweiten Impulskonferenz, zum Thema "Kultur entscheidet über wirtschaftlichen Erfolg." Vor dem Hintergrund gegenwärtiger ökonomischer Schieflagen in Deutschland forderten beide Referenten die politischen Entscheidungsträger auf, über neue Wachstumskonzepte nachzudenken. Während die Weltwirtschaft im Jahre 2005 um ca. 5 % anwachsen wird, rechnen Analysten für Deutschland gerade mit knapp über 1 %. Vor dem Hintergrund schwacher Wachstumszahlen, steigender Arbeitslosigkeit und der Ausdünnung sozialer Netze sind, laut Emnid-Umfrage vom Januar 2005, 85 % der Deutschen über ihre persönlichen Perspektiven und materielle Existenz beunruhigt landesweit werden Rufe nach neuen Wachstumskonzepten lauter. Warum gelingt es dem unangefochtenen Exportweltmeister Deutschland nicht, seinen eigenen Standort attraktiv zu gestalten? Vereinzelte Reformschritte der Regierung in der Arbeitsmarktpolitik (s. Hartz IV) mögen zwar im Ansatz als wachstumsförderlich verstanden werden, gehen aber nicht weit genug und gehen am Kernproblem vorbei. Was fehlt, ist ein ganzheitlicher strategischer Ansatz, um den Weg für stabiles und nachhaltiges Wachstum zu ebnen. Es dürfe, so Grundtenor der Referenten, keine Fixierung der Reformdebatte auf ausschließlich ökonomische und Arbeitsmarkt bedingte Faktoren erfolgen.
Die Antwort auf das Kernproblem sahen Dettling und Grimm in der gezielten Förderung von kreativem Humankapital. Seit langem sind sich Ökonomen darüber einig, dass die Ausschöpfung von kreativem Humankapital als Stellschraube für den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen wahrgenommen werden muss. Denn Kreativität, wenn ausgeschöpft und in Produktivität und Innovationen umgemünzt, generiert wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze. Gerade in hoch industrialisierten Ländern wie Deutschland, wo der Fertigungsbereich nur noch eine kleine Rolle einnimmt, hat Innovation einen besonders hohen ökonomischen Stellenwert. Dettling weist den Weg nach vorn: "Für Deutschland ist das Zeitalter der quantitativen [produktionsorientierten] Steigerung vorbei. Es geht nun vor allem um die qualitative Verbesserung der bereits bestehenden Strukturen." Der Schlüssel zum Erfolg liege hier in der maximalen Ausschöpfung von Kreativität und der Förderung kreativer Köpfe. Im Zentrum stehen also einzelne Menschen, für die der Staat und die Gesellschaft innovationsfreundliche Rahmenbedingen schaffen müssen. Verglichen mit den Vereinigten Staaten ist die deutsche Innovationsleistung aber eher schwach, was sich beispielsweise an den staatlichen Ausgaben für Bildung und Investitionen festhalten lässt: 4,9 % des Bruttoinlandsproduktes investiert Deutschland in Bildung, die USA hingegen 7,2 %.
In den Vereinigten Staaten und Kanada hat sich der Paradigmenwechsel in der Ökonomie bereits im Stadtbild vieler mittelgroßer Städte und Metropolen niedergeschlagen. Um kreative Menschen zu locken, wird gezielte Standortpolitik betrieben. Man setzt auf ein kulturell vielfältiges Ambiente bei gleichzeitig offenen und integrativen Gesellschaftsstrukturen. Die Mischung aus Kultur und Offenheit gilt als fruchtbarer Nährboden für die Entfaltung von Kreativität. Das radikal Neue am Modell der kreativen Ökonomie lässt sich aus seinen Annahmen und Zusammenhängen ableiten: So hängt nachhaltige wirtschaftliche Wohlfahrt von nicht-ökonomischen Größen, wie Kultur, Toleranz, Liberalität und Pluralismus ab. Zudem bestimmen die kreativen Köpfe ihren Wohnsitz selbst, die wachstumsorientierten Firmen ziehen nach. Demnach kommt den traditionellen Standortvorteilen, wie etwa geringen Grundstückspreisen, Ressourcen und industriellem Clustering eine weniger prominente Rolle zu. Im Unterschied zum neoliberalem Credo, das der Politik eine untergeordnete Bedeutung in der Wirtschaft einräumt, hebt das Modell der kreativen Ökonomie die gestalterische Kraft der Politik hervor. Wirtschaftswachstum wird durch die Politik generiert: Der Staat, die Region, wie auch die Städte schaffen gezielt ein kulturell vielfältiges Ambiente, um kreative Leute und Firmen anzulocken. Der Staat verschwindet also nicht, sondern greift aktiv in die Wirtschaftspolitik ein, indem er Standortsicherung betreibt.
Mit Blick auf die ökonomische Gesamtsituation Deutschlands warben Dettling und Grimm für eine strategische Neuorientierung in der Politik und ein Umdenken in der Gesellschaft. Zukunftssicherung beruhe nun weniger auf harten, sondern insbesondere auf weichen Standortfaktoren. Was fehle, seien jedoch adäquate Institutionen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Kreativität als Wachstumsfaktor wahrnehmen und deren Entfaltung unterstützen. Zur Verbesserung der Rahmenbedingung wurden Reformen in den Politikfeldern Bildung und Einwanderung gefordert, wie etwa die gezielte Förderung von Kreativität in Kindergärten, Schulen und Universitäten sowie stärker integrationsfördernde Maßnahmen für Immigranten. Grimm betonte insbesondere die Bedeutung von erhöhter Risikobereitschaft des Einzelnen für die Umsetzung kreativer Ideen. Wenn unternehmerische Misserfolge, wie in Deutschland üblich, eher negativ bewertet werden, ist das risikobehaftete Erkunden von Neuland weniger attraktiv; die Innovationsleistung dementsprechend geringer. Sowohl der Staat als auch die Gesellschaft sollten, laut Grimm, die Entwicklung einer (risikobereiten und pionierfreudigen) Innovationskultur anstreben, die Kreativität als wichtigsten Standortvorteil erkenne und fördere.
In der Diskussion wurde vor allem die Anwendbarkeit der These "Kultur entscheidet über wirtschaftlichen Erfolg" auf Deutschland diskutiert. Klar wurde, dass die These nicht so einfach auf Deutschland übertragen werden kann. Nichtsdestotrotz herrschte Übereinstimmung dahingehend, dass für die ökonomische Zukunftssicherung Deutschlands auch weiche Standortfaktoren künftig eine größere Rolle spielen werden.
Vom Generationenkonflikt zu verantwortungsbewusster Bevölkerungspolitik
Vor dem Hintergrund des Bevölkerungsrückgangs und der Überalterung in Deutschland ist der soziodemographische Wandel seit Ende der 1990er Jahre zu einem der zentralen Themen des politischen Diskurses avanciert. So diskutiert die Politik etwa über eine "demographietaugliche" Umgestaltung der sozialen Systeme. Im Jahr 2003 rückte dabei das Thema Generationengerechtigkeit ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Vom Kampf der Generationen war allzu oft und polemisch die Rede - zwischen jungen Erwerbstätigen und Rentnern. Ziel der zweiten Diskussionsrunde mit dem Titel: "Der Ausstieg aus der demographischen Falle Die neue Sicht der Leistungsgeneration" war, den Herausforderungen des demographischen Wandels mit neuen strategischen Ansätzen zu begegnen. Im Zentrum stand hier die Frage nach der politischen Steuerung - ist es doch die Aufgabe der Politik, die demographischen Veränderungen in ihren gesellschaftspolitischen Auswirkungen zu gestalten.
Elisabeth Niejahr, Die ZEIT, und Prof. Dr. Karl-Otto Hondrich, Johann-Wolfgang-Goethe Universität, Frankfurt am Main, diskutierten die Realitäten und die Zukunft des demographischen Wandels und boten eine Reihe von Handlungsempfehlungen für die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft. Im Vordergrund stand dabei zunächst die gesellschaftliche Dimension demographischer Entwicklungen, wie etwa die Tabuisierung des Alterns. So sind Begriffe wie "Alte" oder "Senioren" in Deutschland eher negativ besetzt. Auch im öffentlichen Leben werden die älteren Generationen zunehmend an den Rand gedrängt. Mit der Folge, dass nur noch wenige Menschen natürlich und selbstbewusst mit ihrem Alter umgehen. Ein gezieltes Aufbrechen dieses Tabus, gepaart mit einer neuen Generationensolidarität, ist die zentrale Herausforderung für eine gesunde demographische Selbsterneuerung der Gesellschaft. Als notwendige Voraussetzung dafür bedarf es einer zeitgemäßen und nachhaltigen Neudefinition des Alters, zumal sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den hoch industrialisierten Ländern mit dem Einzug der Wissensgesellschaft dramatisch verändert haben. Kreativität und Produktivität sind nicht mehr allein den Jungen vorbehalten. Mit der Konsequenz, dass Menschen länger arbeiten könnten und es über das fixierte Rentenalter hinaus auch zunehmend möchten. Ohne Zweifel sind hier innovative Modelle jenseits der Altersdiskriminierung erwünscht. Eine generationenübergreifende Debatte zur Flexibilisierung von Lebensarbeitszeit wäre ein erster Schritt. Darauf aufbauend muss eine sinnvolle arbeitsteilige Gesellschaftsstruktur geschaffen werden. Schließlich sollen die Herausforderungen der Arbeitswelt auf den Schultern der leistungsstarken Jungen und der erfahrenen Älteren gleichmäßig und sinnvoll verteilt werden.
Als es um Ansätze ging, den demographischen Trend abzuschwächen oder gar umzukehren, rückten Niejahr und Hondrich die Politikfelder Familie und Zuwanderung ins Visier. Derzeit ließe sich Kinderreichtum mit dem Berufsleben der jüngeren Generationen kaum vereinbaren. Mobilität, Flexibilität, Karrierestreben und die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards kollidierten oft mit dem Kinderwunsch junger berufstätiger Frauen. Mit der Konsequenz, dass viele Frauen ohne Rückgriff auf adäquate Kinderstätten entweder ihren Beruf aufgeben oder sich gegen Kinder entscheiden. In beiden Fällen leiden Wirtschaft und Gesellschaft: So stagniert oder fällt die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Blick auf das Wirtschaftswachstum und Arbeitskräftepotenzial. Durch eine bevölkerungsbewusste Familienpolitik würden, laut Niejahr, zusätzlich sozioökonomische Kräfte freigesetzt. Das Thema Zuwanderung wurde gleich zu Beginn mit der Frage verknüpft, inwieweit gezielte Zuwanderung tatsächlich als zukünftiges Kompensationsmodell für die Schrumpfung der Gesellschaft verstanden werden kann. Trotz Zuwanderung werden in Deutschland seit 30 Jahren durchweg weniger Menschen geboren als sterben. Und dieses Defizit, so der Bevölkerungsforscher Prof. Dr. Herwig Birg, Universität Bielefeld, in der Diskussion, werde von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wachsen, da die vor 30 Jahren nicht Geborenen heute als potentielle Eltern fehlen. Zweifelsohne könne Zuwanderung einen Beitrag dazu leisten, die Abnahme und Alterung der Gesellschaft zu verlangsamen; stabilisieren könne sie aber alleine nicht.
Toleranz und Dialog als Antwort auf Terror und Fundamentalismus
Thema der dritten Diskussionsrunde war "Antwort auf Terror und Fundamentalismus über die Verletzlichkeit der arbeitsteiligen Gesellschaft und wider die visionslose Gesellschaft." In den Impulsen von Rüdiger Freiherr von Fritsch, Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes, Pullach, und Prof. Dr. Rudolf Burger, Universität für angewandte Kunst, Wien, wurden folgende Themen mit ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft angesprochen: (1) Zunehmende Kommerzialisierung und Ökonomisierung von Kriegen, (2) grenzüberschreitende Netzwerkbildung organisierter Kriminalität und (3) Revitalisierung von Religion in ihren fundamentalistischen Auswüchsen.
Die Diskussion entzündete sich insbesondere an der Frage nach Ansprechpartnern für einen Dialog mit dem Islam, an der Gefahr der Generalisierung in der Debatte über islamische Gesellschaften sowie an der Verhandelbarkeit von Religion in ihrem Wertkern. Laut Burger hätten die Septemberanschläge in New York die Illusion der Sicherheit zerstört, die auf der Milde von Religionen und des Friedens in der Welt allein durch Dialog basiert. Allein Toleranz und interreligiöser Dialog seien nicht mehr ausreichend. Mit dem sentimentalen Lob der Differenz und idyllischer Vielfalt sei es auf absehbare Zeit vorbei. Konkrete Handlungsoptionen zur nachhaltigen Bekämpfung von Terroristen im Ausland und innerhalb der Gesellschaft müssten heute über den formalen Austausch und Akzeptanz hinausgehen. Die Gesellschaft von morgen müsse sich auf ein neues zivilisatorisches Miteinander einlassen, das Offenheit und Toleranz eng mit einer neuen Identität der Gleichwertigkeit verknüpft. In der Diskussion wurde unterstrichen, dass vor allem sozioökonomische Stressfaktoren, die die Radikalisierung der Muslime in den Ghettos Europas vorantreibe, abgebaut werden müssten. Freiherr von Fritsch sprach sich nachdrücklich für die frühest mögliche Bekämpfung des Terrorismus aus. Schon in seinen Keimzellen müssten terroristische Netzwerke vor allem mit Hilfe der Nachrichtendienste erstickt werden, wie es etwa durch die Europäische Grenzagentur geplant sei. Weiterhin seien regionale Strategien zur Austrocknung der Finanzquellen des Terrorismus besonders wichtig. So schätzt man derzeit das Volumen der "New Economy of Terror" auf circa 1,5 Billionen Dollar oder 5 % des Weltsozialprodukts.
Alle Teilnehmer waren sich einig, dass sich die komplexe Herausforderung des Terrorismus nicht allein militärisch bewältigen ließe. Neben regionalen und nationalen Sicherheitsstrategien müssten innovative gesellschaftliche Leitbilder wir Toleranz, Verständnis und Dialogbereitschaft im Vordergrund stehen. Statt Misstrauen zu schüren, müsse die Verständigung zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen grundlegend verbessert werden. Terroristischer Propaganda solle über eine Annäherung zwischen der westlichen Gesellschaft und der islamischen Welt der Nährboden entzogen werden. Dafür forderte Matthias Graf von Kielmansegg, Planungschef der Vorsitzenden, CDU/CSU Fraktion, einen selbstkritischen Dialog der Religionen und der Kulturen. Denn letztlich könne Sicherheit nachhaltig nur durch den Gewinn von Vertrauen in der Gesellschaft implementiert werden.
Die erste Impulskonferenz zur Zukunftsgesellschaft fand im November 2004 statt; mit thematischem Fokus auf gesellschaftlichen Sinnstiftungsfragen vor dem Hintergrund der Globalisierung. Der einjährige Projektzyklus und die inhaltliche Auseinandersetzung mit Zukunftsthemen kulminiert am 16./17. Juni in einem internationalen Zukunftskongress in Weimar. 300 internationale Gäste werden dort erwartet, um innovative und zukunftsorientierte Strategien für die Gesellschaft von morgen zu entwickeln.
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