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„Europa braucht den Druck“

Interview mit C·A·P-Direktor Prof. Dr. Werner Weidenfeld

25.02.2012 · Reutlinger General-Anzeiger



REUTLINGEN/MÜNCHEN. Die Gewichte zwischen Europa und den USA verlagern sich weiter. Europa verliert an Einfluss durch die Verschiebung der strategischen Interessen Washingtons in den asiatisch-pazifischen Raum. Ein Zeichen dafür ist der Abzug weiterer US-Regimenter aus Europa, insbesondere aus Deutschland. Was muss Europa tun, um im Konzert der Großen noch eine Rolle zu spielen und von den USA als wichtiger Partner wahrgenommen zu werden. Darüber sprach GEA-Politikredakteur Jürgen Rahmig mit dem Direktor des »Centrums für angewandte Politikforschung« (C·A·P) in München, Prof. Dr. Werner Weidenfeld.

GEA: Europa muss sich mehr auf die eigenen Füße stellen. Sind die Europäer - auch angesichts der finanziellen Krise - überhaupt dazu in der Lage?

Prof. Dr. Werner Weidenfeld: Zweifellos - wenn sie zu einer wirklichen strategischen Partnerschaft kommen und eine strategische Elite aufbauen. Diese Art von präzisem strategischen Denken ist in Europa unterbemittelt.

Was also müssen die Europäer tun?

Weidenfeld: Die Europäer müssen darüber nachdenken, wie sie als Partner für andere Weltmächte interessant werden. Das ist nicht primär eine Geldfrage, sondern eine Frage der Präzision im weltpolitisch strategischen Denken. Also beispielsweise: Wie gehen wir vor in Sachen Iran, wie gehen wir vor im Nahen Osten, wie gehen wir vor in der arabischen Welt? Wenn sie sehen, wir dürftig bisher die europäischen Beiträge zu den Veränderungen in der arabischen Welt sind, dann ist das eigentlich ein Skandal. Wenn die Europäer nicht zu einer Strategiegemeinschaft werden, werden sie auch kein strategischer Partner etwa der USA.

Wer soll das in Europa in die Hand nehmen, wie soll das funktionieren?

Weidenfeld: Führende Köpfe in Europa können das in die Hand nehmen. Es ist ja nicht das erste Mal. Ich erinnere an die Zeiten der Eurosklerose in den 70er-Jahren, als das mit Mitterrand und Kohl zwei politische Führungsfiguren in die Hand nahmen, die mit Jacques Delors einen führenden Kopf gewannen. Er erarbeitete zwei große Entwürfe. Das eine war die Sicherheit, das andere der Binnenmarkt. Man nahm den Binnenmarkt, erklärte ihn den Menschen, kreierte das Gesetzeswerk in einem fixierten Zeitrahmen ... Etwas vergleichbares brauchen wir heute auch.

Wer wäre heute solch eine Person?

Weidenfeld: Das ist die Tausenddollarfrage ...

Demnach wird also in nächster Zeit weiter nichts geschehen?

Weidenfeld: Ich bin insofern optimistisch, dass, wenn die Europäer noch eine Zeitlang diese diffuse Unschärfe durchlebt haben, der Druck so groß wird, dass man handelt. Ein Beispiel: Die aktuelle Finanzkrise. Wir hatten im Vertrag von Maastricht vor 20 Jahren alles auf dem Tisch, kein neues Stichwort kam seitdem dazu. Wir sind aber nicht dazu gekommen, es richtig zu realisieren. Man fühlte keinen Druck, doch jetzt, unter Druck, kommt es in die Gänge. Wenn sie diesen weltpolitisch-strategisch-sicherheitspolitischen Druck massiv verspüren, dann wird auch da der Lernprozess einsetzen.

Aber jetzt verspüren wir angesichts der vielen Krisen schon massiven sicherheitspolitischen Druck.

Weidenfeld: Ja, schon, aber es geht noch nicht so wirklich unter die Haut wie bei der Finanzkrise. Das werden sie dann erleben, wenn es massiver mit dem Iran oder Nordkorea zu Problemen kommen wird, wenn die terroristischen Aktivitäten weiter ausgebaut werden, wenn der Cyberwar sich intensiviert. Dann haben sie diesen Druck.

... und dann sind die Europäer wieder die Getriebenen und im Stress.

Weidenfeld: Genau, und dann können wir wieder einiges erreichen, was wir vorher verschludert haben. Wenn wir eine Geschichte der Europäer schreiben würden, dann hätten wir immer diese Schübe unter dem Vorzeichen der Krise.

Dann sind Sie zuversichtlich?

Weidenfeld: Ja, absolut. (GEA)


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