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Heute A und morgen B

Interview mit Werner Weidenfeld zur Krise der EU

Die Politiker erklären den Bürgern nichts, sagt der Münchner Politik-Professor Werner Weidenfeld. Das fördert das Misstrauen in die EU. Vorangehen kann es nur mit einer durchdachten Strategie.

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20.09.2011 · Südwest Presse



55 Prozent der Deutschen misstrauen laut Eurobarometer der EU, ja das Vertrauen in sämtliche EU-Institutionen ist so gering wie lange nicht. Was läuft da schief?

WERNER WEIDENFELD: Das Stimmungsbild gegenüber der EU in Deutschland ist differenziert. 65 Prozent der Bevölkerung sagen, Deutschland kann ohne eine starke EU seine gute wirtschaftliche Position nicht behaupten. Zugleich lehnen 55 Prozent die bisherigen konkreten Schritte im Krisenmanagement der EU ab. Was sich in Ihren Zahlen vor allem widerspiegelt ist das allgemein sinkende Vertrauen der Bürger in ihre Politiker. National gibt es den gleichen negativen Trend.

Warum sinkt das Vertrauen?

WEIDENFELD: Es gibt ein großes Erklärungsdefizit. Die Menschen haben Zweifel, ob ihre Repräsentanten die Probleme überhaupt begriffen haben. Die Politiker erklären den Bürgern ja auch praktisch nichts. Es wird nicht erklärt, was das Problem ist, es wird nicht gesagt, mit welchen Schritten und welchem langfristigen Ziel man es lösen will. Und wenn doch ein Ziel genannt wird, ist darauf auch kein Verlass. Die Beteiligten in der Bundesregierung sagen in der jetzigen Krise heute A und morgen B. So etwas fördert den Vertrauensverlust in die Politik.

Statt schnelle Gipfel-Lösungen für einzelne Probleme sollten Bundesregierung und EU also besser eine Strategie für die Zukunft der Europäischen Union erarbeiten?

WEIDENFELD: Richtig. Um das Misstrauen abzubauen, ist eine langfristige Strategie nötig, die die Politiker den Bürgern erklären können. Sie muss einen Fahrplan beinhalten, der sagt, mit welchen Schritten und Mitteln man welches langfristige Ziel in der EU wann erreichen will - und was für einen Nutzen die Bürger hätten, wenn sie diese Strategie unterstützen.

Gibt es eine solche Weitsicht derzeit nur in Deutschland nicht?

WEIDENFELD: Nein, das ist ein europaweites Phänomen.

Welches Ziel sollte eine solche Europa-Strategie verfolgen?

WEIDENFELD: Das große Ziel muss die politische Union der europäischen Staaten sein. Und auf dem Weg dorthin wäre für mich zum Beispiel die derzeit diskutierte Wirtschaftsregierung nur ein Schritt.

Warum sollten die Deutschen es unterstützen, zentrale Kompetenzen im Wirtschaftsbereich an die EU abzugeben?

WEIDENFELD: Weil sie davon profitieren würden. Weil es zum Beispiel die jetzige Krise im Euroraum in diesem Ausmaß nicht gäbe. Die Krise zeigt, ein Währungsraum braucht einen politischen Entscheidungsrahmen. Das war den Gründern der Wirtschafts- und Währungsunion bei den Verhandlungen von Maastricht 1991 auch klar. Sie konnten sich damals nur noch nicht einigen, haben aber für eine entsprechende Reform im Vertrag bewusst eine Revisionsklausel eingebaut. Aber die Kraft für diese Reform war nie da.

Muss vor einem so großen Schritt nicht zuerst die Demokratisierung der EU vorangetrieben werden?

WEIDENFELD: Wenn die Akteure diesen politischen Rahmen schaffen und die Macht von der nationalen Ebene auf die europäische verlagern, muss die demokratische Komponente gestärkt werden. Das stimmt. Hier besteht auch jetzt schon Verbesserungsbedarf. Sie müssen ja inzwischen ein Mikroskop herausnehmen, um noch etwas zu finden, wo die europäische Ebene wirklich keinerlei Zugriff hat.

Wie stellen Sie sich die Verbesserung konkret vor?

WEIDENFELD: Die Mitwirkungsrechte des Parlaments müssen in bestimmten Bereichen noch gestärkt werden. In der jetzigen Krise wird das meiste von den Regierungschefs auf Gipfeln entschieden. Die Parlamentarier, egal ob in der EU oder auf nationaler Ebene, müssen zudem EU-Themen frühzeitiger in die Öffentlichkeit tragen, und es müssen Verfahren installiert werden, mit denen Bürger ihre Ideen gut einbringen können. Außerdem muss die EU transparenter werden. Den Vertrag von Lissabon kann nur ein Experte verstehen. Und: Es gibt zwar in der EU Präsidenten, Vorsitzende und Hohe Vertreter, aber wer das Sagen hat, ist unklar.


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