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Europäische Identität sehen, wollen und stärken

Rezension des Münchner Beitrages von Julian Nida-Rümelin und Werner Weidenfeld

Julian Nida-Rümelin / Werner Weidenfeld (Hrsg.): Europäische Identität: Voraussetzungen und Strategien, Münchner Beiträge zur europäischen Einigung, Band 18, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2717-1, ca. 255 Seiten, 29,- EUR.

Originaltext auf goethe.de

16.03.2009 · goethe institut online



Der Kurs ist klarer geworden, das Selbstbewusstsein gewachsen. Obwohl die Zustimmung der Iren zum Lissabonner Vertrag noch aussteht und auch die Tschechen noch Probleme sehen, hat die EU in der Finanzkrise an Statur gewonnen. Das haben viele nicht erwartet. Wer den Band Europäische Identität: Voraussetzungen und Strategien zur Hand nimmt, eine von Werner Weidenfeld und Julian Nida-Rümelin herausgegebene Sammlung von Beiträgen aus dem Jahre 2007, merkt den Autoren die Skepsis an, mit der sie auf die Zukunft der erweiterten EU schauen. Auch wenn die Stimmung sich gewandelt hat, ist es nützlich, sich den aufgeworfenen Fragen neu zu widmen.

So stellt sich Julian Nida-Rümelin (Staatsminister a. D. und heute Professor für politische Theorie in München) die Frage, was aus der "Erweiterung und Vertiefung" geworden ist, der Formel, mit der die Spaltung Europas nach dem Zusammenbruch des Kommunismus überwunden werden sollte. Seine Antwort: "Die Vertiefung wurde vor der Erweiterung nicht mehr ins Werk gesetzt und nun sind die Bedingungen dafür schwieriger geworden als je zuvor." Das liege aber nicht nur an dem in Osteuropa wieder erwachten Stolz auf eine nationale Identität, die man nicht gerne wieder abgeben würde. Sondern auch an einem grundlegenden Versäumnis der EU selbst. Sie habe es versäumt, übergreifende Zielsetzungen anzusprechen, und sich stattdessen zu sehr dem Klein-klein der interessegesteuerten Abstimmungsprozesse etwa in der Landwirtschaft gewidmet. Nida-Rümelin widmet sich folgerichtig in seinem Beitrag einem "normativen Grundkonsens". Ohne dieses Fundament könne die Europäische Union nicht die Rolle spielen, die sie in der Weltpolitik spielen will. Als politischer Philosoph setzt er bei der griechischen und römischen Mittelmeerkultur an, spannt einen Bogen zu Renaissance und Aufklärung und ruft zu einer Rekonstruktion europäischer Kultur auf, die dort ansetzen müsse, wo ihre Selbstzerstörung begann: vor den beiden Weltkriegen, vor dem von Faschismus und Kommunismus geprägten 20. Jahrhundert.

Wollen die Europäer die EU?

Damit spricht er das erste Thema des Bandes an: "Europas Identität sehen“. Die beiden anderen Schwerpunkte sind "Identität wollen" und "Identität stärken".

Wollen die Europäer die EU? Wenn sie politische Führungskraft beweist schon. Wenn sie leistet, was ihre Bürger von ihr erwarten, dann wächst auch ihre Akzeptanz, meint Josef Janning. "Die Leistungen, die integrationsbereite und -fähige EU-Staaten im engeren Verbund erbringen könnten, würden auf den gesamten Bereich der EU ausstrahlen, so wie bereits heute die Währungsunion in den weiteren Bereich der EU hineinwirkt."

Die Frage, ob sich die Europäer mit der EU identifizieren, beantwortet Jochen Roose (FU Berlin) mit dem Hinweis auf die seit 1970 regelmäßig durchgeführten Umfragen von Eurobarometer. Danach gaben mehr als die Hälfte an, sich neben ihrer nationalen Identität auch als Europäer zu sehen. Bei den Jüngeren ist die Identifikation mit Europa stärker vorhanden als bei den Älteren. Die Befragungen fördern interessante Einzelheiten zu Tage. So fühlen sich nicht wenige Luxemburger nur und ausschließlich als Europäer (17 Prozent gegenüber drei Prozent im EU-Durchschnitt). Und am wenigsten mit Europa identifizieren sich nach dieser, 2004 durchgeführten Umfrage, ausgerechnet die Griechen.

Mehr Beteiligung der Bürger

Der dritte Teil des Bandes führt zu der Frage, wie sich europäische Identität stärken ließe. Thomas Meyer (Politikwissenschaftler Uni Dortmund und Leiter der Politischen Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung) sieht einen Erfolg versprechenden Weg in einer Stärkung der sozialen Dimension. Mehr Austausch unter Jugendlichen, größeren Anstrengungen in der Schul- und Bildungspolitik, Einbindung der Zivilgesellschaft lauten einige der Antworten. Bettina Thalmaier schließlich plädiert für eine stärkere Partizipation der Bürger am europäischen Entscheidungsprozess und findet, dabei könne der Aufbau einer europäischen Streitkommunikation nicht schaden. Es gehöre zu den kaum hinterfragten Grundüberzeugungen europäischer Eliten, kontroverse Debatten über Europa zu vermeiden, weil sie angeblich den Integrationsprozess gefährdeten. "Das Gegenteil ist der Fall! Streit und Politisierung sind konstitutiv für demokratische Meinungsbildung – Europa und die EU bilden da keine Ausnahme."

Der Band, der Beiträge aus einer von der Bertelsmann-Stiftung und dem C·A·P München veranstalteten Konferenz versammelt, spiegelt eine Zeitstimmung wider, die von der Enttäuschung über die ablehnenden Voten der Niederlande und Frankreichs zur europäischen Verfassung geprägt war und in der keiner so recht wusste, wie es mit der Erweiterung um gleich zehn Mitgliedstaaten weitergehen sollte. Aber die Beiträge sind auch noch in der heutigen Zeit, in der die EU sich als selbstbewusster Akteur auf der Weltbühne gezeigt hat, lesbar. Denn neben den Fragen nach der Identität der Europäer, nach ihren historischen Wurzeln ist immer noch offen, wie man die Bürgerinnen und Bürger am besten am europäischen Prozess beteiligt. Ein Frage, die sich ein gutes halbes Jahr vor der nächsten Europa-Wahl mit neuer Schärfe stellt.

Volker Thomas ist freier Journalist in Berlin und leitet eine Agentur für Text und Gestaltung (www.thomas-ppr.de).

Copyright: Goethe-Institut, Online-Redaktion, März 2009


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