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"Meisterleistung" – Kießling schließt große Forschungslücke

Rezension "Die CSU. Machterhalt und Machterneuerung."

Rezension von Gerhard Hirscher zum Buch von Andreas Kießling: Die CSU. Machterhalt und Machterneuerung. VS Verlag: Wiesbaden, 2004, 380 Seiten, EUR 34,90. Quelle: Politische Studien, Heft 400, 2005, S. 114-116.

26.04.2005 · Politische Studien, Heft 400, 2005



Lange Zeit war die CSU ein Stiefkind der Parteienforschung. Seit den bahnbrechenden Studien von Alf Mintzel in den 70er-Jahren waren keine umfassenden Darstellungen mehr erschienen. Insbesondere über die Zeit nach  dem Tod von Franz Josef Strauß gab es immer wieder nur einzelne Artikel, aber kein integratives Gesamtbild mehr. Dies überrascht, denn die CSU ist im historischen und regionalen Vergleich eine der erfolgreichsten politischen Parteien der Nachkriegszeit weltweit und wohl die am längsten in Europa regierende demokratische Partei überhaupt. Hinzu kommt, dass die CSU ja nie eine reine Regionalpartei war, sondern immer in einer genialen Symbiose mit ihrer Schwesterpartei CDU einen bedeutenden Anteil an der deutschen Bundespolitik hatte. Diese realpolitische Bedeutung fand aber kaum Niederschlag im wissenschaftlichen Interesse: Über die im bundespolitischen Vergleich (gemessen an den Bundestagswahlergebnissen und noch deutlicher an den Mitgliederzahlen) nicht einmal genauso starken Grünen sind im Laufe der letzten 15 Jahre einige Regalmeter an Literatur geschrieben worden – was vielleicht auch etwas mit der persönlichen Nähe mancher Autoren zu ihrem wissenschaftlichen Gegenstand zu tun haben mag. Eine solche Diskrepanz ist also erklärbar, aber nicht gerechtfertigt – genauso wenig wie die unausrottbare Tatsache, dass in wissenschaftlichen Sammelbänden aus dem In- wie dem Ausland bei der Behandlung der "Union" die CSU häufig gemeinsam mit der CDU abgehandelt wird; meistens viel zu knapp und selten kompetent. Dabei hat sicher auch eine Rolle gespielt, dass die Zahl der wissenschaftlichen CSU-Experten nicht sehr groß ist. Zu ihnen gehört Andreas Kießling, der mit seinem Buch über die CSU eine große Forschungslücke geschlossen hat. Die Druckfassung seiner Münchner Dissertation bietet eine herausragende Darstellung und Analyse der Entwicklung der CSU nach dem Ende der Ära Strauß bis zur Gegenwart. Sie ist darüber hinaus nicht nur umfassend und detailliert, sondern auch spannend und bisweilen amüsant zu lesen und bietet neben einer zeithistorischen Zustandsbeschreibung eine überzeugende Analyse der politischen Grundlagen ihrer Erfolgsgeschichte. Die Arbeit erläutert zu Beginn, warum sie sich bei ihrem Analyseraster auf einen institutionellen Zugang mit Blickwinkel auf die Machtstrukturen innerhalb der Partei und in ihrem systemischen Umfeld beschränkt. Dies geschieht im Rahmen dieses Buches ebenso überzeugend wie kurz, ohne den Vorwurf des Theoriedefizits zu rechtfertigen. Nach Kapiteln über den Stand der Forschung und die Rahmenbedingungen des Parteienwettbewerbs in Bayern behandelt Kießling im umfangreichen vierten Kapitel ausführlich die vier Machtzentren der Partei: Die Landesleitung, die Landtagsfraktion, die Staatsregierung und die Landesgruppe im deutschen Bundestag. Im letzten großen Kapitel beschreibt der Autor die – wie er es nennt – Entwicklung von der "alten" zur "neuen" CSU in der Ära Stoiber als "kompetitive Kooperation von Machtzentren". Eine kurze Zusammenfassung und ein Literaturverzeichnis (leider kein Namens- und Sachregister!) beenden das Buch.

Diese beiden Hauptkapitel, die den Großteil des Buches ausmachen, sind eine Meisterleistung. Dort wird dieses magische Viereck der Macht der CSU detailliert beschrieben. Der Autor hat die wenige Literatur mit der Auswertung einer Fülle von Presseartikel, Quellen und vor allem Interviews mit Akteuren und Beobachtern ergänzt und eine erstaunliche Dichte an Faktenreichtum und analytischem Wert erreicht. So kann er formale, informale und informelle Prozesse benennen und bewerten. In der Tat ist das Zusammenwirken dieser Faktoren im Machtgefüge der CSU manchmal etwas kompliziert und für Außenstehende schwer zu erfassen. Eben diese Kombination von Faktoren ist aber auch die wesentliche Grundlage für die Erfolgsgeschichte der CSU und ihre Fähigkeit zur Selbstregeneration in der Macht – dies wird durch dieses Buch für die Gegenwart perfekt beschrieben. Die nach außen sichtbare Kontinuität, der Erhalt der Regierungsfähigkeit in Bayern als Voraussetzung für erfolgreiche Politikdurchsetzung im Bund ob in Regierung oder Opposition hat im Inneren enorme personelle und strukturelle Veränderungen erforderlich gemacht. Kießling kann überzeugend darlegen, dass diese Anpassungsprozesse aber stets im Rahmen der Kooperation dieser Machtzentren erfolgt ist und nur in diesem Rahmen erfolgen kann. Die logische Gewichtsverschiebung von der Landesleitung oder auch Landesgruppe hin zur Staatskanzlei nach der Übernahme des Parteivorsitzes durch Edmund Stoiber ist also nicht nur reversibel, sondern muss dies auch sein, um dieses magische Viereck für künftige Anpassungsleistungen an die politische Umwelt zu erhalten. Die Interaktion der Machtzentren, so Kießling, garantiert die "Selbstregeneration der Partei" (S.149). Die Entwicklung der CSU nach 1988 wird von ihm beschrieben anhand der Interaktion der Machtzentren anhand zentraler Einschnitte, so etwa bei der Wiedervereinigung und dem gescheiterten Projekt der DSU. Wie kenntnisreich der Autor an die Materie geht, zeigt sich nicht zuletzt daran, wie er die Grundsatzkommission der CSU unter der Leitung Edmund Stoibers als "innerparteilichen Aufstiegskanal" beschreibt. Weitere Schwerpunkte der Analyse sind der "selbsterneuernde Machtwechsel" vom Frühjahr 1993, als Stoiber Max Streibl als Ministerpräsident ablöste, die Phase der "Doppelspitze" Waigel/Stoiber und dort vor allem die Auseinandersetzung um die Europapolitik sowie der Doppelwahlkampf 1998. Dadurch sei eine "doppelte Erneuerung" der Partei zu Stande gekommen, die neben der Übernahme des Parteivorsitzes durch Stoiber auch ein "neuakzentuiertes Selbstverständnis" (S.150) der CSU habe entstehen lassen. Dies, so Kießling, bestehe seither darin, dass die CSU unter Stoibers Führung mehr und mehr zu einer "bundespolitischen Partei" geworden sei. Insofern war seine Kanzlerkandidatur, deren Vorgeschichte ebenfalls knapp behandelt wird, nur konsequent. Nach der Bundestagwahl konnte sich zwar nicht die Union, aber doch die CSU "als klarer Sieger" (S.327) fühlen. Stoibers Position in der Partei blieb unangefochten, weil offensichtlich war, dass die Wahlerfolge mit Stoibers Person verknüpft waren. Dies wurde durch das Ergebnis der Landtagswahl vom September 2003 mit dem Gewinn der Zweidrittelmehrheit der Mandate nochmals unterstrichen.

Kann die Erfolgsgeschichte der CSU weitergehen? Dieses Buch beantwortet die Frage eindeutig: Solange die Machtzentren und die Dynamik zwischen ihnen erhalten bleiben, sind auch künftig Erfolge möglich. Kießling benennt die wichtigsten Faktoren der Erfolgsbedingungen für die CSU: Es gelingt ihr immer wieder, die "Symbiose mit Bayern" zu vollziehen und neben einem hohen Stammwählerpotenzial auch viele Wechselwähler zu erreichen. Sie profitiert von den von ihr geknüpften Netzwerken der Macht und der Asymmetrie des bayerischen Parteiensystems ebenso wie von der engen Verwebung von landes- und bundespolitischer Dimension ihrer Politik. Sie zeigt ein hohes Maß an Selbstregenerationsfähigkeit und Geschlossenheit sowie eine integrative Organisationskultur. Sie modernisiert immer wieder ihre Parteiorganisation und Kampagnenfähigkeit, bleibt dabei aber integrierend und in der Programmatik pragmatisch. Solange Bayern im Kontext des politischen Systems Deutschlands so erhalten bleibt, dürfte sich an der einzigartigen politischen Rolle der CSU wenig ändern.


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