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Routinierte Tagesordnung

Der EU-Gipfel hätte andere Schlüsse aus der Europawahl ziehen müssen, sagen Experten.

Von Christopher Ziedler

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20.06.2009 · Stuttgarter Zeitung




Gruppenfoto beim EU-Gipfel in Brüssel, Foto: EU.

Kommt der Lissabonner Vertrag, wird alles gut. Das ist die Botschaft, die auch von diesem EU-Gipfel ausgegangen ist. Europas Staats- und Regierungschefs setzen bei der Überwindung des bei den Wahlen zutage getretenen Desinteresses voll auf das Reformwerk, das dem Europaparlament mehr Rechte, dem Bürger die Möglichkeit eines Volksbegehrens und der EU mit einem länger amtierenden Ratschef ein Gesicht gibt.

Politologen bezweifeln, ob es damit getan ist. „Der Europäische Rat hat nicht richtig reagiert“, sagt etwa der Münchner Professor und frühere Kohl-Berater Werner Weidenfeld, „er hätte sich um einen Aufbruch bemühen müssen“. Zwar verkünde man lauthals, den „Weckruf“ der Wähler verstanden zu haben, doch habe man „statt eines Strategiegipfels einen Routinegipfel abgehalten“.

„Das Weiter-so wird weitergehen“, befürchtet auch Oscar Gabriel von der Uni Stuttgart. Und das in einer Zeit, da „die einst attraktive Idee Europa“ bei den Bürgern heute vor allem für „Bürokratie, Geldverschwendung und die Überreglementierung vieler Lebensbereiche“ stehe. Den kontinuierlichen Ansehensverlust habe die EU „einfach laufen lassen“, so Gabriel. „Mit einer markigen Erklärung des EU-Gipfels lässt sich das nicht lösen.“

Den Lissabon-Vertrag halten die Experten zwar für einen Fortschritt, „der aber das Grundproblem Europas – die mangelnde Transparenz von Entscheidungen – nicht löst“, wie Weidenfeld folgert. Gabriel nennt die in drei Referenden abgelehnte Reform „eine Geschichte, die nur Eliten wichtig ist, für die Bevölkerung aber keinen Unterschied macht“. Es gelte herauszustellen, was die EU dem Einzelnen bringe.

„Was ganz oben auf der Tagesordnung hätte stehen müssen“, rügt Johannes Becker von der Uni Marburg, „ist die Frage, warum die Menschen eine EU ignorieren, deren Bedeutung immer größer geworden ist.“ Er fordert eine bessere Informationspolitik, einen Wahlkampf der nationalen Parteien, der nicht wie der jüngste an „Volksverdummung“ grenze, und statt des Festhaltens am Lissabon-Vertrag einen mehrjährigen Diskussionsprozess von unten über die künftige Verfasstheit Europas. Dafür plädiert auch Joachim Fritz-Vannahme, Programmdirektor Europa bei der Bertelsmann-Stiftung – aber nur, wenn der Reformvertrag scheitere: „Dessen Leitmotiv ,Vertiefen und Erweitern‘ trägt nicht mehr.“


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