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Weltmacht Europa

Große Lösungen für große Probleme - ein Kommentar von Werner Weidenfeld

27.12.2008 · Neue Westfälische Zeitung



Krisen eröffnen Wege zu Erkenntnissen. Das weltweite Debakel der Finanzen hat die großen Abhängigkeiten der kleinen Welt anschaulich gemacht. Die Symbiose von Lokalem und Globalem wurde zu einer dramatisch erfahrbaren Wirklichkeit.

Die Nationalstaaten sind für die Herausforderungen unserer Epoche zu klein geworden. Wie sollen sie Klima schützen, Sicherheit garantieren, wirtschaftliche Wohlfahrt bieten – wo doch alle Problemnetze international gewoben sind?

Die Architekten der Weltpolitik sind von den Gegebenheiten unserer Zeit in das Rampenlicht der aktuellen Dramen gerückt. Von ihnen kann die gestalterische Kraft einer zuverlässigen und effektiven politischen Ordnung ausgehen. Das ist die Stunde Europas, jener Weltmacht im Werden.

Maßstäbe und Gewichte weltpolitischer Dimensionen sind klar: Die USA, China, Indien sind die großen Exempel. In dieser Liga ist Europa zu Hause. Sein Potential verfügt über das angemessene machtpolitische Gewicht: Europa ist der weltgrößte Produzent, der weltgrößte Handelspartner. Europa verfügt über den höchsten Anteil bestens ausgebildeter Personen. Die Forschung gehört zur Weltspitze. Aber was fehlt? Nicht die Kraft, sondern das Denken. Es fehlt den Europäern an weltpolitischer Perzeption, an strategischem Denken. Die Weltpolitik hat eine eigene Schwerkraft; sie hat eigene Magnetfelder der Macht. Dies verlangt ein spezifisches, rationales Denken, eine Entwicklung der Interessen, die Festsetzung von Prioritäten und Schrittfolgen.

Europa muss sein Potential im eigenen Interesse in Ziele und Prioritäten übersetzen. Europa gestaltet nur in dem Moment kraftvoll die weltpolitische Ordnung mit, wenn es über eine entsprechende Strategie verfügt.

Die Staaten sind zu Spielbällen verkümmert. Der integrierte Kontinent aber kann bei den immensen Anforderungender Weltpolitik durchaus mithalten. Der gemeinsame Euro ist Beleg dafür. Auch bei den anderen großen Themen könnte Europa die staatliche Hilflosigkeit überwinden: Steuerung der Migration, Energieversorgung,Rohstoff-Sicherung, Abwehr des Terrorismus, soziale Umschichtung durch demographischen Wandel.

Die Kunst der großen Deutungsmuster, die einen neuen europäischen Aufbruch bringen kann, wird sich als Ausgangspunkt die Globalisierung mit ihren dramatischen Konsequenzen nehmen. Sie wird dann das strategische Konzept der Differenzierung unseres Kontinents nach innen und nach außen damit verbinden.

Eine solche historische Leistung kann das gleiche Europa erbringen, das heute verunsichert vor sich hindümpelt. Nicht die großen Apparate werden diese Krise überwinden. Es ist das Momentum des geistigen Entwurfs und der strategischen Präzision, aus dem Europas neues Gesicht entstehen kann.


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