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Europa fühlt sich stark wie noch nie

Statements von Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Die EU zeigt der Welt ein ganz neues Selbst-Bewusstsein. Auf dem Weltfinanzgipfel am Samstag in Washington werden die Europäer vehement auf eine Führungsrolle drängen.

Von Karl Gauhofer

12.11.2008 · Die Presse (Wien)



Wien. Wo der Welt Gefahr droht, ist Europa zur Stelle. Georgien, Irak, der Iran, Afghanistan und Pakistan – kaum ein Krisenherd, in dem sich die EU nicht stärker engagieren will. So steht es in einem Papier der französischen Ratspräsidentschaft für die EU-Außenminister, das der "Presse" vorliegt.

Eigentlich geht es im Dossier um die transatlantischen Beziehungen. Doch sein Inhalt ist mehr als ein Antrittsgeschenk für den nächsten US-Präsidenten. Barack Obama fordert mehr Unterstützung für die Ziele der USA im Irak und in Afghanistan. Die EU aber will überall eigene Akzente setzen, mitreden, eine Rolle spielen.

Das passt ins Bild des neuen Selbstbewusstseins, das Europa der Welt zu vermitteln versucht. Die Entschärfung des Georgien-Konflikts? Ein Erfolg der EU-Diplomatie. Die Finanzkrise? Europa hatte das bessere Krisenmanagement. "Du und ich, wir tun mehr für die Welt als die Vereinigten Staaten", soll Ratspräsident Nicolas Sarkozy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen ins Telefon geflötet haben.

Schon aus den ersten kleinen Erfolgen sollen Exportschlager werden. Auf dem Weltfinanzgipfel am Samstag in Washington werden die Europäer vehement auf eine Führungsrolle drängen. Die Neuordnung der Finanzmärkte soll den Stempel "made in Europe" tragen. Und Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner hat dem bald mächtigsten Menschen der Welt nach der US-Wahl ausrichten lassen: "Obama braucht uns, Europa."

"Malta hätte das nie geschafft"

Nach Jahren des Nichtkooperierens, internen Konflikten und einem missglückten Verfassungsprojekt will die EU endlich wieder Stärke zeigen. Die krisengeschüttelte Union soll ein globaler Krisenmanager werden. Doch diesen Kraftakt traut man derzeit nur einem zu: Nicolas Sarkozy. Frankreichs Präsident debütiert in einer Rolle, die in der EU nie zu vergeben war: als Anführer, der die Deutungsmacht über die großen Themen der Zeit für Europa reklamiert.

Die EU zeigt der Welt Muskeln. Doch droht nicht schon bald der Muskelkater, wenn mit dem Jahr auch die französische Präsidentschaft zu Ende geht? Werner Weidenfeld, der führende deutsche EU-Politologe, zeigt sich im Gespräch mit der "Presse" optimistisch: "Dieses gigantische System EU ist nur dann handlungsfähig, wenn es ein starkes Selbstbewusstsein und ein scharfes Profil entwickelt. Das spüren jetzt ihre Spitzenpolitiker."

Dass Sarkozy die Bereitschaft zeigt, zu führen und zu handeln, sei aber nicht mehr als eine "günstige Zufallskonstellation": "Man stelle sich mal vor, Malta hätte in dieser Situation den rotierenden Vorsitz. Bush wäre wohl nicht sehr ergriffen gewesen, wenn der maltesische Premier von ihm einen Weltfinanzgipfel gefordert hätte."

Aber widerspricht ein einzelner starker Politiker an der Spitze nicht dem Grundgedanken der EU? "Sarkozy steht ja nicht allein da", schränkt Weidenfeld ein. Er sei nur deshalb erfolgreich, weil er andere starke Player auf seine Seite gezogen hat: den Briten Brown, dem er zu einem Comeback verholfen habe, den Spanier Zapatero, den er beim Weltfinanzgipfel einschmuggelt, und auch die störrischen Deutschen, die sich der allseits verbreiteten Euphorie nicht ganz entziehen können.

Auf Dauer, meint Weidenfeld, brauche die EU sicher eine formelle Lösung – den Lissabon-Vertrag mit der zweijährigen Präsidentschaft und dem EU-Außenminister. Aber auch er kläre nicht, "wie die hohen Ämter zueinander stehen: Ratspräsident, Ministerrat, Kommissionspräsident, hoher Repräsentant – wer hat da eigentlich das Sagen?" Letztlich brauche es immer starke Persönlichkeiten, die in Krisen die Initiative ergreifen. Und sie seien "der einzige Schlüssel, um die Herzen der Menschen für Europa zu gewinnen".


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