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Die Erneuerung als Normalität - Der Kern des großen Dramas

Werner Weidenfeld über die CSU nach Stoiber

02.10.2007 · Abendzeitung



In der Demokratie gehört der Wechsel in den Führungsämtern zur ganz normalen Prozedur. Oftmals wird das auch verbunden mit dem Austausch in den Rollen von Regierung und Opposition. Nur in Bayern scheint alles ganz anders. Das Ende der Amtszeit Stoibers bewegt die Medienlandschaft mehr als ein halbes Jahr. Das Drama verfügt über alle Höhen und Tiefen personeller Erscheinungen. Die Stärken und Schwächen der Nachfolger Stoibers werden in jedem Detail hin und her bewegt. Nachdem die Top-Personalien geklärt sind, wendet sich nun die Aufmerksamkeit auf die Zukunft von CSU und Bayern. Der Frage nach den Personen folgt die Frage nach den Strukturen und dem Zukunftsschicksal des Landes.

Wie wird es mit dem Erfolgsmodell CSU weitergehen? Bedeutet das Ende der Ära Stoiber das Ende ihrer Sonderstellung? Führt die Stabübergabe zu einer Reduzierung einer Landespartei auf Normalmaß? Wird gar Bayern weniger wichtig werden – national und international.

Die Aufgeregtheit der zeitgenössischen Beobachtung hält einer nüchternen und systematischen Parteienanalyse aber nicht stand. Verklungen sind heute etwa die Erinnerungen an die letzte große Zäsur für die CSU: Nach dem Tod von Strauß war es für viele eine ausgemachte Sache, dass die Partei ihre Bedeutung nicht würde halten können – in Bayern, auf bundespolitischer und internationaler Ebene. Doch dann spielte der neue Parteichef Theo Waigel als Bundesfinanzminister eine wichtige Rolle bei der deutschen Einheit und dann später bei der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung Euro. Landespolitisch glänzte der neue Ministerpräsident Max Streibl, bevor sein Stern nach 1990 zu sinken begann. Stoiber führte die CSU anschließend zu neuen Höhen, die in seiner knapp gescheiterten Kanzlerkandidatur kumulierten.

Vieles spricht also dafür, die Normalität der Vorgänge zu betonen. Vor unseren Augen vollzieht sich die Häutung einer Partei – die Erneuerung nach einer langen prägenden Ära, wie sie schon mehrfach in der deutschen Parteienlandschaft von statten ging. Die Besonderheit bei der CSU liegt darin, dass sie diese Erneuerung immer in – zumindest landespolitischer – Regierungsverantwortung vollziehen muss. Auf die Ablösung eines Ministerpräsidenten und Vorsitzenden einer bundespolitisch bedeutsamen Partei richten sich alle Kameraobjektive der öffentlichen Aufmerksamkeit. Eine Erneuerung in Oppositionszeiten hingegen würde viel geschäftsmäßiger zur Kenntnis kommen.

Der Blick in die Vergangenheit lehrt dabei, dass die Grunddaten des Erfolgsrezepts der CSU trotz eines Übergangs an der Spitze gleich bleiben. Elementar dafür ist, dass sich die CSU nie nur als rein bayerische Regionalpartei verstanden hat. Vielmehr hat sie schon immer ihren bundespolitischen, ja sogar internationalen Anspruch betont. Diese spezifische bayerische Dialektik war einer der Hauptgründe für den fulminanten Aufstieg der CSU in den 50er Jahren in der Konkurrenz zur allein auf den Freistaat fixierten Bayernpartei. Denn die CSU traf damit die Mentalität der meisten Bayern, die zwar regional verwurzelt sind, aber dennoch die Nation und Europa im Blick haben. Ein wichtiges Motiv, warum die CSU von der Mehrheit der Bayern gewählt wird, ist, dass sie als die Vertreterin bayerischer Interessen in der Hauptstadt, in Brüssel und in der Welt wahrgenommen wird.

Diese Sonderstellung der CSU als bayerische Partei mit nationaler, europäischer und internationaler Ausstrahlung wurde in der Geschichte jeweils durch ihr Spitzenpersonal verkörpert: zunächst durch Strauß, der sich erst die diversen Rollen auf den unterschiedlichen politischen Ebenen mit dem Urbild  aller Landesväter, Alfons Goppel teilte, und dann ab 1978 alleine wahrnahm. Sie wurde weitergeführt vom Zweigestirn Waigel/Streibl, dann von der Doppelspitze Waigel/Stoiber, die jenseits der internen Spannungen für die Präsenz der CSU auf den verschiedenen politischen Ebenen sorgten. Nach 1998/1999 rückte Stoiber selbst in die Position auf, wie sein 'Ziehvater' Strauß die CSU alleine zu repräsentieren.

Der Glanz der Bedeutsamkeit nationalen Einflusses und des Prestiges internationaler Treffen strahlt auf die Führung der CSU und damit auf die Partei selbst ab. Er ist eine ganz zentrale Machtressource, die es zu erschließen und zu halten gilt – für die Partei gegenüber der politischen Konkurrenz und für die CSU-Oberen gegenüber der eigenen Partei.

Für das neue Spitzenduo Erwin Huber und Günther Beckstein bedeutet das, dass auch sie diese Traditionslinie fortsetzen müssen. Wenn sich Stoiber mit den Großen und Mächtigen dieser Welt traf – von Wladimir Putin über George W. Bush zu Nicolas Sarkozy – so werden seine Nachfolger dies auch tun. Wenn Stoiber nachweisen musste, wie groß sein nationaler Einfluss war, so werden sich auch Huber und Beckstein bundespolitische Profilierungsmöglichkeiten suchen. Der oftmals erhobene Einwand, die Neuen hätten noch keine Erfahrung, sticht dabei nicht. Die Entwicklung etwa von Kohl, Schröder, Merkel oder letztlich von Stoiber selbst zeigen, wie sehr Ämter und deren Aufgaben die Amtsinhaber prägen. Was häufig übersehen wird: Beckstein und Huber verfügen bereits heute über große nationale und internationale Erfahrung und großes nationales und internationales Gewicht.

Sicher gibt es keine Garantie, dass der typische CSU-Spagat zwischen München, Berlin, Brüssel und den wichtigen Hauptstädten dieser Welt auch in Zukunft gelingt. Dies hängt von der politischen Führungsleistung der CSU-Spitze ab. Der tatsächliche Einfluss der CSU auf bundespolitischer Ebene ist zudem stark durch die jeweilige Konstellation geprägt. Er ist sicher in kleinen Koalitionen höher als in der Großen Koalition.

Jenseits dieser situativen Faktoren ist aber klar: Es liegt im ureigensten Interesse des neuen Parteivorsitzenden und des neuen Ministerpräsidenten, die über Bayern hinaus weisende Rolle der CSU glaubwürdig darzustellen. Sie bildet eine zentrale Grundlage für die langfristige Sicherung des CSU-Wahlziels von 50 Prozent plus.


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