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Merkel setzt auf neue EU-Allianzen

Prof. Dr. Werner Weidenfeld im Gespräch mit der Zeitung "Die Presse"

Neue Partner. Erste deutsche Kanzlerin will Polen und EU- Kleinstaaten stärker einbinden. Alte Partner. Die Achse zwischen Paris und Berlin könnte Dominanz einbüßen.

VON WOLFGANG BÖHM (Die Presse)

23.11.2005 · Die Presse



WIEN/MÜNCHEN. Freundschaftlich ist das Verhältnis nicht. Wenn die gestern angelobte deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schon heute, Mittwoch, nach Paris zu ihrem Antrittsbesuch bei Staatspräsident Jacques Chirac fährt, ist das mehr eine Pflichtübung als ein Herzensanliegen. Merkel weiß, wie der deutsche Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld im Gespräch mit der "Presse" betont, dass es ihr die "deutsche Staatsräson" gebietet, die enge Beziehungen zu Frankreich fortzusetzen. "Das hat nichts mit persönlichen Verhältnissen zu tun." Merkel versteht sich blendend mit Chiracs parteiinternem Intimfeind, Innenminister Nicolas Sarkozy.

Weidenfeld, der das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München leitet, ist aber auch überzeugt, dass Merkel in ihrer Europapolitik auf weit mehr "Balance" setzt als ihr Vorgänger Gerhard Schröder. "Sie wird - wie sie es angekündigt hat - die kleineren EU-Länder stärker einbinden." Das betreffe auch Österreich.

Merkel, so heißt es auch aus dem deutschen Außenministerium, hat unter Rot-Grün immer die Dominanz der Achse Paris-Berlin in der EU kritisiert. "Sie wird zwar an den engen Beziehungen mit Paris festhalten, aber daneben neue Schwerpunkte setzen." Neben den kleineren EU-Ländern betrifft das auch eine starke Einbindung Polens. In Berlin wird bereits von einer Renaissance des "Weimarer Dreiecks" zwischen Paris-Berlin-Warschau gesprochen.

Isoliert bleibt nach seiner bisher mageren EU-Präsidentschaft hingegen Tony Blair. Der britische Premierminister hatte auf einen klaren Sieg Merkels gesetzt und auf eine neue Partnerschaft in der EU. Der Politikwissenschaftler Weidenfeld sieht zwischen Merkels CDU und Blair zwar ähnliche Ansätze in der Wirtschaftspolitik, aber doch zahlreiche Interessenskonflikte: so etwa in der Frage des Türkei-Beitritts oder bei der Fortsetzung der politischen Integration Europas. "Merkel ist da ganz in der Tradition von Helmut Kohl."

Bei der politischen Integration, die zuletzt von Chirac wieder verstärkt eingefordert wurde, könnten sich auch die Interessen zwischen Paris und der neuen Regierung in Berlin treffen. Außer, die Koalition aus Union und SPD setzt tatsächlich, wie intern angekündigt, dabei auf eine Wiederbelebung der EU-Verfassung. Dies würde Paris nach dem negativen Ausgang des Verfassungsreferendums in Bedrängnis bringen.

"Es gibt zwei potenzielle Risse zwischen Paris und Berlin", so Weidenfeld. Das eine ist die EU-Verfassung, die für die französische Regierung aus innenpolitischen Gründen nicht einfach wiederzubeleben sei. Das andere ist die von französischen Interessen geprägte EU-Agrarpolitik. Ein erster Test für die deutsch-französischen Beziehungen wird der nächste EU-Gipfel, bei dem über die künftigen EU-Finanzen und eine mögliche Reform der Agrarförderungen entschieden werden soll.

In der Frage des Türkei-Beitritts ist Merkel an den Koalitionsvertrag mit der SPD gebunden. Der enthält ein Bekenntnis zur Aufnahme von Verhandlungen. Allerdings bietet er mit der Überprüfung der Aufnahmefähigkeit der EU auch ein Ausstiegsszenario. Wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass die Europäische Union eine Aufnahme der Türkei nicht verkraften würde, wird im Koalitionsvertrag die Variante einer privilegierten Beziehung zwischen der EU und der Türkei angeführt.


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