Lethargisch und leidenschaftslos
Ein Kommentar von Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte zum Wahljahr 2005.
05.03.2005 · Allgemeine Zeitung
In solchen Zeiten der Aufbruchslosigkeit wählen die Bürger die politischen Parteien am Wahltag in den Kategorien der Schadensbegrenzung: Sie erwarten weder von der amtierenden Regierung noch von der Opposition Verbesserungen. Doch wie geduldig sind Wähler im Wartesaal der Orientierungslosigkeit? Wann und wie verschafft sich der Protest der bislang schweigenden Masse des Mittelstandes über Frust-Ventile Luft? Links- wie Rechtsextremismus scheiden für dieses Milieu in der Wahlkabine zur Zeit noch aus. Eher bleiben diese Schichten zuhause und protestieren durch Nicht-Wahl.
So sind Ergebnisse, wie die in Schleswig-Holstein auch erklärbar, als Ausdruck einer abwartenden Richtungslosigkeit der Wähler. Keine klare Mehrheit für rot-grüne Projekte, keine Mehrheit für eine schwarz-gelbe Wende. So kommen am Ende Zufallsmehrheiten zustande, in Kiel durch 745 Stimmen und der Besonderheit einer Minderheitspartei. Solche Wahlergebnisse sind keine Abstrafungen, aber auch keine Aufbruchssignale für eine neue Regierung. Umfragedaten für die nächsten Wahlen in Nordrhein-Westfalen deuten ähnliche Stimmungslagen an. Wenn somit keine einschneidenden Emotionalisierungen durch Großereignisse kurz vor dem Wahltag erfolgen, dann gleicht der Wahlkampf einem Marathonlauf mit Fotofinish.
Welche Strategien sind daraus für kommende Wahlen abzuleiten? Da ist zunächst die Notwendigkeit einer seriösen Information über die sich permanent verändernden politischen Stimmungen. Knappe Mehrheiten und Patt-Situationen erhöhen den Stellenwert von Tages-Umfragen. Sie sind in Zeiten von wählerischen Wählern äußerst präzise Momentaufnahmen, allerdings mit einem raschen Verfallsdatum. Demoskopie ist dabei politisches Instrument. Machtzuwachs und Machterosionen werden heute an gemessenen Sympathiewerten ermittelt. Außenminister Fischer war durch die Visa-Affäre in Erklärungsnot geraten und zwar genau zu dem Zeitpunkt, an dem er den Sonnenplatz der Sympathie-Hitliste verlor. Alle Machtgrundlagen sind heute extrem stimmungsflüchtig.
Das hat Konsequenzen für die Planung von Wahlkampagnen. Das Themenmanagement wird immer wichtiger. Der Mix sollte viele Varianten bereithalten, um je nach Stimmung in die Offensive gehen zu können. Es reicht somit keineswegs aus, ausschließlich auf den Spitzenkandidaten als Programmträger zu setzen. Ebenso wenig ergiebig ist es, nur das Kern-Klientel mit Traditionsthemen zu binden. Scheinbare Allzuständigkeit und angeblicher Kompetenzvorsprung auf allen Gebieten entlarven die Bürger zudem sehr schnell als Täuschung. Auch der Zeitrhythmus ändert sich. Der Wahlkampf entscheidet sich in der letzten Woche. Wer hat dann noch genügend Kraftreserven, um als kompetenter Rettungsanker öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten? Wer wagt so kurz vor dem Wahltag zukünftig noch ein TV-Duell, wenn er nicht sicher sein kann, auch hierbei zu punkten?
Die derzeitige changierende Richtungslosigkeit bestraft auch das immer wiederkehrende Muster, Regierungshandeln lange vor dem Wahltag abzubremsen. Die Bundesregierung hat sichtbar das Reformtempo minimiert, um auf Effekte zu warten. Es reicht als Leistungsbilanz für Regierungen allerdings nicht mehr aus, keine Fehler gemacht zu haben. Das funktioniert selbst dann nicht, wenn die Opposition als kraftvolle Alternative für einen Politikwechsel nicht richtig wahrgenommen wird. Denn in Zeiten lethargischer Grundstimmung kann ein einziger gelungener Auftritt wenige Tage vor der Wahl der Opposition zum Sieg verhelfen.
Für die tagesorientierten Wahl-Nomaden sind diese strategischen Konsequenzen von großem Vorteil: Um die Bürger für den Wahlakt zu mobilisieren, müssen sich die Parteien mit glaubhaften Personen und inhaltlichen Richtungsentscheidungen, die auch eine Wertorientierung enthalten, präsentieren. Die Show-Zeit von Inszenierungen ist vorbei zumindest für die Wahlentscheidung.
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