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Rekonstruktion des Westens als gesamteuropäische Aufgabe

Die Debatte zur Rekonstruktion des Westens

Von Iris Kempe

01.04.2004 · Russlandanalysen 21/2004



Mit seinem Plädoyer für eine Rekonstruktion des Westens eröffnet Joschka Fischer gleichzeitig eine gesamteuropäische Debatte. Dabei blendet er Russland gänzlich aus und reduziert die Politik gegenüber Osteuropa auf das Nachbarschaftskonzept der Europäischen Union. Die Rekonstruktion des Westens ist jedoch nicht ohne die Einbeziehung des Ostens denkbar.

Russland ist in den meisten globalen Konflikten sowohl ein Risiko- als auch ein Stabilitätsfaktor. Dies wird etwa in seiner Reaktion auf den 11.September deutlich oder in seiner Irak-Politik. Seine große strategische Bedeutung ergibt sich aus der territorialen Ausdehnung, dem Gewicht in internationalen Organisationen und dem Rohstoffreichtum. Gewiss hat der Kreml in den letzten Jahren außenpolitisch sich in bemerkenswerter Weise auf den Westen zu bewegt, aber dennoch bleibt Russland aufgrund der gelenkten Demokratie, der rückständigen Modernisierung und den schwach entwickelten gesellschaftlichen Akteuren ein schwieriger Partner. Die zurückliegen Parlamentwahlen im Dezember 2003 unterstreichen diesen Befund ebenso wie die Präsidentschaftswahlen.

Mit dem im März 2003 der Öffentlichkeit vorgestellten Konzept "Größeres Europa - Nachbarschaft" unternahm die Europäische Kommission einen konzeptionellen Vorstoß zur Gestaltung Gesamteuropas und versuchte die Beitrittsforderungen einzelner Nachbarstaaten, allen voran der Ukraine, zu beantworten.

Das Konzept enthält umfangreiche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, schließt aber eine institutionelle Mitgliedschaft aus. Aus Sicht der Brüssler Integrations- und Vertiefungslogik ist dieser Ansatz verständlich; aus der Perspektive einer gesamteuropäischen Rekonstruktion bleiben wichtige Potentiale ungenutzt. An dieser Stelle gilt es, Fischers Türkeiargumentation weiterzudenken. Eine Beschränkung auf eine privilegierte Partnerschaft weist die Ukraine, Moldowa und ein möglicherweise reformiertes Belarus zurück - mit ungewissem Ausgang für die innere Transformation dieser Länder aber auch für die sicherheitspolitische Landkarte Europas. Europa wird sich nur rekonstruieren können, wenn es seine bisherigen Defizite bei der Willensbildung, der Schwäche seiner außenpolischen Institutionen und der militärischen Handlungsfähigkeit überwindet. Dies darf nicht im Gegensatz zu den USA, sondern muss in Kooperation mit diesen stattfinden. Über Kerneuropa hinaus gilt es ein Europa der mehren Ebenen (Multi Layered Europe) zu entwerfen, in dem beitrittswillige Staaten, nicht nur an der funktionalen Kooperation sondern auch am europäischen Institutionsgefüge teilnehmen können. Mit unterschiedlicher institutioneller Dichte, etwa durch Teilmitgliedschaften, ließe sich nicht nur eine Überdehnung der Europäischen Union vermeiden, vielmehr könnte man damit ihre Handlungsfähigkeit ausbauen.

Europäische Denkfabriken und Entscheidungsträger sind gleichermaßen herausgefordert, eine Definition für die Zusammenarbeit mit globalen Akteuren wie Russland und der Türkei zu finden, deren innerer Entwicklungstand sich von dem Kerneuropas unterscheidet. Die Partnerschaft mit ihnen bildet den äußeren Ring des "Multi Layered Europe" und geht am weitesten über das bestehende Institutionengefüge hinaus. Um der multilateralen Sicherheitsarchitektur Handlungsfähigkeit zu verleihen, bedarf es Mechanismen, um Sicherheitsrisiken frühzeitig zu erkennen und auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen und umsetzen zu können. Die dafür erforderliche gesellschaftliche Dynamik erwächst erst aus öffentlichen Debatten in Ost und West, die Europa neu denken.


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