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Kein Raubtierkapitalismus

Finanzgesetze allein sollten nicht die Wirtschaft bestimmen

Eine Buchrezension (*) von Jürgen Turek

07.07.2003 · Das Parlament



Die beispiellose ökonomische Dynamik der 90er Jahre, von vielen als endgültiger Siegeszug einer an liberal-ökonomischen Werten orientierten Gesellschaftswelt verklärt, wird im Rückblick von vielen Wissenschaftlern, Publizisten und auch Politikern immer stärker problematisiert. Nachdem sich die Brandwolken der weitesgehend vernichteten new economy im Wind zerstreut haben, reiben sich viele der Geschädigten ernüchtert die Augen. Ob Helmut Schmidt das Diktat des Raubtierkapitalismus' deklariert oder Rudolf Hickel mit seiner Risikospirale die naive Anlegermentalität und die Gier vieler Aktionäre entblößt: In allen Fällen geht es um die sozio-ökonomischen Konsequenzen eines entfesselten Neoliberalismus'. Und hier setzt auch die Kritik des Wirtschaftsjournalisten Reinhard Blomert an.

Mit weitem Blick zurück in die 80er Jahre skizziert er die Voraussetzungen, welche die Entfesselung des Aktionärskapitalismus ermöglichten, die konservative Wende unter Reagan und die Lehre des shareholder value, mit der die Ökonomie eine theoretische Legitimation für eine nur an diesem Anspruch orientierte Gangart bei der Durchsetzung ihrer Geschäfte bot. Im Kern zwang sie jeden Manager, sich ausschließlich am Aktienkurswert zu orientieren, um nicht im Zuge der 'Mergermanie' der 80er und 90er Jahre von anderen Firmen 'geschluckt' zu werden. Eine unangenehme Situation für die Entscheider in den Führungsetagen der unternehmerischen Macht, die sich "den inquisitorischen Fragen jugendlicher Analysten stellen mussten, die aggressiv die neue Firmenlehre verkündeten..., aber noch nie ein Produktionsunternehmen von innen gesehen hatten" (S. 14). Gleichzeitig habe diese Entwicklung auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, da die - wie das Kaninchen vor der Schlange Orientierung an den Kursen Investmentbankern, Finanzanalysten, Anwälten und Wirtschaftsberatern die Chance bot, den Wert von Firmen zu manipulieren und so zu einem Zeitpunkt satte Gewinnmitnahmen zu realisieren, an dem sich der Rest der Welt noch in den Perspektiven ihres vermeintlich kommenden Reichtums aalte.

Kurzfristige Gewinne

In der new economy sei dieses Verhalten dann auf die Spitze getrieben worden, als der Wert von Internetfirmen, die niemals nennenswerte Gewinne erwirtschaftet hätten, durch Fusionen in sagenhafte Höhen getrieben worden seien, um dann durch Aktienverkäufe zu Lasten vor allem der vielen Kleinaktionäre entsprechende Gewinne einstreichen zu können. Nicht der wahre Wert und die nachhaltige Entwicklung eines Unternehmen habe im Interesse der handelnden Akteure gestanden, sondern lediglich die kurzfristige Aussicht auf finanziellen Ertrag. Blomert weist hierbei darauf hin, dass weit über die Hälfte aller Fusionen gescheitert seien und erklärt dadurch, warum es zu vielen der erlebten unglaublichen Firmenzusammenbrüche von Enron bis WorlCom gekommen sei.

Der Autor skizziert seine Sicht der Dinge vor allem mit Blick auf die USA. Kontinentaleuropa sei ein Nebenschauplatz gewesen, da sich die Börsenkapitalisierung hier bisher in Grenzen hielt. Mit Blick auf die möglichen Privatisierungen und Deregulierungen auf dem alten Kontinent jedoch warnt er zugleich, dass hier in Zukunft amerikanische Verhältnisse Einzug halten könnten.

Der etwas reißerische Titel lässt schnell die Vermutung aufkommen: hier 'Oggert' einer, wenn auch auf höherem Niveau. Doch nüchtern betrachtet geht es Blomert eigentlich nicht darum, gehässig einzelne Bosse oder Firmen vorzuführen oder zu entlarven, sondern darum, Vernunft und Legitimität einer genuin europäischen Ordnungspolitik einzufordern und daran zu erinnern, dass neben dem shareholder value auch der stakeholder value von großem Wert ist. Mit seiner Argumentation reiht er sich damit in die Globalisierungskritiker der Gegenwart ein, die ein menschliches Antlitz der Ökonomie zu bewahren suchen. Ob er allerdings mit Blick auf den rheinischen Kapitalismus die richtigen Schlussfolgerungen zieht, sollte man einer dringend notwendig gewordenen ordnungs- und gesellschaftspolitischen Debatte überantworten.

(*) Reinhard Blomert, Die Habgierigen. Firmenpiraten, Börsenmanipulation: Kapitalismus außer Kontrolle
Kunstmann, 197 S., EUR 17,90.


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