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Russisch-lettische Ölgeschäfte

Zwischen Marktwirtschaft und Geopolitik

Von Olena Syromyatnikova & Wim van Meurs

01.08.2003 · Europäische Zeitung



Wie konfliktträchtig das schwarze Gold sein kann, ist der Weltöffentlichkeit bekannt. Nahezu unbemerkt blieb dagegen bislang, wie Ölgeschäfte am Rande der EU-Osterweiterung zwischen Lettland und Russland für politischen Zündstoff sorgen.

Seit eh und je wird russisches Öl über den Terminal in der lettischen Hafenstadt Ventspils gen Westen transportiert. Als einziger ganzjährig eisfreier Ostseehafen der Sowjetunion war Ventspils in den sechziger Jahren eine logische Wahl für den Bau eines großen Ölterminals. Nach der Unabhängigkeit wurde der Öltransit für Lettland zur Goldmine und für die staatliche russische Gesellschaft "Transneft" zu einem Kostenfaktor. Die Transitgebühren machten Ende der neunziger Jahre bis zu zehn Prozent des lettischen Bruttosozialproduktes aus und Ventspils galt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 3500 Euro (d.h. 40% über dem Landesdurchschnitt) als die "boomtown" des Baltikums. In der finnischen Bucht einen eigenen neuen Terminal inklusive Infrastruktur zu bauen, wäre aber für Moskau wesentlich teurer gekommen. So flossen weiterhin jeden Monat 2 Millionen Tonnen russisches Öl durch lettische Pipelines.

Soweit jedoch das nüchterne marktwirtschaftliche Kalkül auf russischer Seite. Es blieb Moskau aber auch im Zeitalter der Globalisierung unbequem, für seine vitalen Ölgeschäfte vom Gutdünken dieses kleinen, ungeliebten Nachbarlandes abhängig zu sein. Da außerdem die Diskriminierung der russischen Minderheit in Lettland in der russischen Öffentlichkeit ein großes Thema ist, bleiben auch die politischen Beziehungen angespannt. Somit wurde vor wenigen Jahren aus eher geopolitischen und gar emotionalen Gründen beschlossen, Milliarden zu investieren und in kürzester Zeit in Primorsk (nahe Petersburg) einen großen, russischen Ölterminal zu errichten.

Gleichzeitig schickten die russischen Ölmultis sich an, den Terminal in Ventspils kurzerhand aufzukaufen. Hier endete jedoch das nüchterne marktwirtschaftliche Kalkül der Letten. Auch wenn die Transitgebühren weiterhin in die Staatsschatulle fließen würden, schien die Idee, dass russische Großkonzerne eine für die lettische Volkswirtschaft so eminent wichtige Industrie kontrollieren würden, unerträglich. Lettland wäre dann zwar Teil des europäischen Binnenmarktes geworden, aber die Geschicke der Wirtschaft wären weder in Riga noch in Brüssel, sondern in Moskauer Firmenzentralen beschlossen worden. Die russischen Unterhändler kehrten somit ohne Ergebnis aus Riga zurück.

Den lettischen Politikern war jedoch auch klar, dass ein Land wie das ihre sich nie gegen einen Ölmulti würde behaupten können, der über Finanzreserven verfügt, die den Staatetat Lettlands weit übersteigen. Im benachbarten litauischen Hafen Butinge hatte sich ein ähnliches Szenario entfaltet. Um sich gegen russische Ölfirmen zu schützen, wurde das dortige Terminal Mazeikiu Nafta amerikanischen Firmen angeboten. Im Endergebnis musste der litauische Staat beim Tauziehen zwischen der US-Betreiberfirma des Terminals und russischen Großinvestoren bzw. Öllieferanten machtlos zusehen. Ohne Rücksicht auf Verluste drehte der Ölriese YUKOS den Ölhahn zu, um Vilnius und die Amerikaner zum Einlenken zu bewegen.

Auch im Falle Ventspils war das Ergebnis keine offene Konkurrenz zwischen dem lettischen Terminal und dem neuen russischen ca. 800 km nördlicher nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft. Transneft fing vor fast zwei Jahren an, einen neuen Übernahmeversuch von "Ventspils Nafta" vorzubereiten, indem sie das Volumen des Öltransits nach Ventspils schrittweise senkten, bis Anfang des Jahres kein Tropfen mehr aus der russischen Pipeline kam: Der lettische Schatzmeister und die Firma Ventspils Nafta schauten ins Rohr.

Anders als seine baltischen Nachbarn hatte Lettland sich von Anfang an schwer getan bei der Veräußerung von Staatsbetrieben. Es galt vorrangig zu verhindern, dass die alte kommunistische Nomenklatur oder neue russische Großkonzerne und deren Strohmänner sich die Schlüsselbetriebe unter die Nägel rissen. Deshalb bevorzugte der Staat eine breite Streuung durch Vouchers. Bei der Privatisierung der Terminalbetreiberfirma 1997 sollte das Aktienkontrollpaket beim Staat verbleiben. Dem russischen Ölmulti LUKoil, der ein Kaufinteresse für ein Aktienpaket von 30% geäußert hatte, wurden nur magere 7% angeboten. Der lettische Staat gab im Herbst 2002 (als das Öltransitvolumen bereits spürbar gesunken war) bekannt, schlussendlich doch sein Aktienpaket veräußern zu wollen. Nur 5% würden jedoch an Investoren gehen und 26% waren nur gegen lettische Privatisierungsvouchers zu haben.

Anstatt - wie Vizepremier Ainars Slesers gehofft hatte - den Konflikt mit Russland zu entschärfen und das Öl wieder fließen zu lassen, goss diese Entscheidung noch mehr Öl in die Flammen und brachte die Politiker auf den Plan. Die russischen Ölbosse richteten einen Appell an Premier Michail Kasjanov, in dem sie den Ölboykott durch die staatliche Monopolgesellschaft Transneft heftig kritisierten. Ihre Wirtschaftsräson vermochte aber gegen Transneft nichts auszurichten. Nach dem Moto "alles oder nichts" bot Transneft für das Aktienkontrollpaket von "Ventspils Nafta" 143 Millionen Dollar, obwohl der Gesamtwert des Terminals an der Rigaer Börse bei 112 Millionen Dollar lag. Die umgehende Zurückweisung dieses lukrativen Angebots durch die Letten ließ auf russischer Seite das (Öl)fass endgültig überlaufen und ein Pressesprecher von Transneft wurde mit den Worten zitiert: "Warum sollten wir eure Häfen entwickeln? Nur weil ihr alle so blond und blauäugig seit? Strickt lieber Socken und Pullover statt euch ins Ölgeschäft einzumischen!"

Als den Letten im März klar wurde, dass ihre russischen Kontrahenten doch in einer ganz anderen Liga spielten, in der auch der lettische Staat nur ein Statist sein könnte, wurde man in Brüssel vorstellig. Erweiterungskommissar Günther Verheugen versprach Premier Repse, dass die Europäische Kommission dieses Thema bei dem nächsten Gipfel mit Russland auf die Tagesordnung stellen würde. Kurz darauf erklärte die Regierung sich plötzlich doch bereit, sich von Ventspils Nafta zu trennen: Man sei bereits mit einem nicht näher identifizierten russischen Investor in Verhandlungen.

Die 1997 getroffenen Vorkehrungen gegen eine "feindliche" Übernahme erweisen sich nun als Eigentor. Die Regierung kann dem Investor im Moment nur eine Minderheitsbeteiligung von 38% anbieten. In höchster Not versuchte Vizepremier Slesers das Verfahren bei der Privatisierung von "Ventspils Nafta" 1997 für ungültig erklären zu lassen, damit der Staat die Terminalaktien wieder zur Disposition hätte. Abzuwarten bleibt, ob der geheimnisvolle Investor die Geduld aufbringt, für milliardenschwere Ölgeschäfte das ungewisse Urteil der lettischen Ermittlungskommission abzuwarten.

So kann auch der nahezu abgeschlossene Prozess der Osterweiterung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lettland auch als EU-Mitglied einen übermächtigen Nachbarn haben wird - sowohl was ökonomischen Ressourcen als auch was Machtpolitik anbelangt.


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