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Eröffnung der Kosovo-Verhandlungen

Tanzen auf dem Vulkan

Von Wim van Meurs

01.12.2003 · Europäische Zeitung



Die zeremonielle Eröffnung "technischer" Verhandlungen zwischen Kosovo und "Belgrad" in Wien am 14. Oktober bedeutet eine späte Genugtuung für Michael Steiner, der sein schweres Amt als Leiter der UN-Mission in Kosovo (UNMIK) im Sommer dem Dänen Harri Holkeri übertragen hat. Steiner politisches Mantra - Standards vor Status - hat Kosovaren und Serben nach Wien gebracht. Beim EU-Westbalkan-Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 wurde die beidseitige Bereitschaft, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, zelebriert.

Ungeachtet der Frage, ob Kosovo mittelfristig unabhängig wird oder nicht, gibt es zahlreiche praktische Fragen, die zwischen beiden Nachbarn geklärt werden müssen (von Autokennzeichen und Transport bis Energieversorgung und Telekommunikation). In der harten politischen Realität sind jedoch jede protokollarische Entscheidung und jedes technische Verhandlungsthema eine verkappte Statusfrage. Bei den von der UN vermittelten Verhandlungen wird jede Partei genauestens aufpassen, daß es der Gegenpartei nicht gelingt, die Frage des finalen Status des Kosovo in irgendeiner Weise zu präjudizieren, und wird selbst beharrlich versuchen, just dieses für sich zu erreichen. Die Zahl der Fußangeln und Klemmen für die UN-Verhandlungsführer ist ungeheuer groß.

Nach dem Ende des Kosovokrieges im Juni 1999 bestimmte der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1244, daß Kosovo de jure unter jugoslawischer Souveränität verbleiben, zwischenzeitlich jedoch von UNMIK verwaltet werden würde. Im jugoslawischen föderalen System war Kosovo formell (wie die Vojvodina) eine Provinz der serbischen Republik, verfügte aber über ein so hohes Maß an Autonomie, daß es einen eigenen Vertreter im Föderationsrat hatte und daß auch Mittelzuwendungen direkt von der Bundesebene an Pristina flossen. Auf dieser Grundlage ließe sich für Kosovo das nach der jugoslawischen Verfassung nur Republiken zustehende Sezessionsrecht reklamieren. Andererseits erwähnt Res. 1244 Kosovo nur als Teil Jugoslawiens, nicht als Provinz Serbiens. Kreative Verfassungsrechtler haben daraus geschlußfolgert, daß Kosovo somit "automatisch" die Unabhängigkeit erlangen würde, sobald die Bundesrepublik Jugoslawien aufhöre zu existieren. Die Brüsseler schrieben somit der neuen Staatenunion Serbien und Montenegro ins Stammbuch, daß "wenn Montenegro aus der Staatenunion ausscheidet, internationale Dokumente, die sich auf die BRJ beziehen, insbesondere die UN-Sicherheitsratsresolution 1244, sich auf Serbien als ihren Nachfolger beziehen und voll darauf zutreffen werden." Die Frage, ob Kosovo heute nur zu Serbien und Montenegro oder auch zu Serbien gehört, blieb damit offen, aber für den Fall einer Sezession Montenegros ist vorgesorgt. (Nur die hypothetische Möglichkeit eines serbischen Austritts aus der Staatenunion wurde übersehen). Seitdem haben in Kosovo im November 2001 Parlamentswahlen stattgefunden und wurden die Institutionen einer Interim-Selbstverwaltung eingerichtet mit Ibrahim Rugova als Präsident und Bajram Rexhepi als Premier. Wichtige Politikbereiche wie "Außenbeziehungen", Sicherheit und Justiz gehören jedoch nach wie vor zur Prärogative der UNMIK-Verwaltung.

Im Vorfeld der Verhandlungen wurde erwartungsgemäß von beiden Seiten schweres propagandistisches Geschütz aufgefahren. Im Frühjahr drohte das kosovarische Parlament mit einer Unabhängigkeitserklärung, worauf die serbischen Kommunen in Nordkosovo für den Fall entweder den Anschluß an Serbien oder die Gründung einer eigenen Republika Srpska innerhalb Kosovos ankündigten. Das serbische Parlament und die Regierung verabschiedeten dagegen am 27. August eine Erklärung, daß der einzig akzeptable Status Kosovos der einer Provinz Serbiens sei und auch dies nur, nachdem die serbische Armee und die serbischen Vertriebenen nach Kosovo zurückgekehrt seien. Damit neben der verfassungsrechtlichen auch die emotionale Seite nicht vernachlässigt wurde, apostrophierte die orthodoxe Kirche Kosovo zeitgleich als "serbisches Jerusalem". Obwohl die Kosovoverhandlungen auch für den serbischen Verhandlungsführer Nebojsa Covic karrieremäßig ein Wagnis sind, tun sich kosovarische Politiker noch schwerer, diesbezüglich Verantwortung zu übernehmen. Das Parlament in Pristina lehnte es ab, sich inhaltlich mit den Verhandlungen in Wien zu befassen, der Regierung Rexhepi ein Mandat zu erteilen und damit Verantwortung für die bilateralen Gespräche zu übernehmen.

Der von Michael Steiner erreichte prinzipielle Durchbruch betrifft die Bereitschaft der kosovarischen Führung und "Belgrads", einander überhaupt als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Für Belgrad unterminiert dies den behaupteten Status Kosovos als lediglich einer Provinz Serbiens, während für Pristina symbolträchtig war, ob man mit der serbischen bzw. der jugoslawischen Führung verhandele. So trafen sich am 14. Oktober im Wiener Bundeskanzleramt beide Delegationen unter dem wachenden Auge der neubelebten Kontaktgruppe sowie von Lord George Robertson für die NATO, Jaap de Hoop Scheffer für die OSZE und Javier Solana für die EU. Serbien und Montenegro wurde von dem serbischen Premier Zoran Zivkovic und dem Kosovo-Beauftragten Nebojsa Covic vertreten. Ein herber Rückschlag war die Absage in letzter Minute des kosovarischen Premiers Bajram Rexhepi, wonach nur Präsident Ibrahim Rugova und Parlamentspräsident Nedzad Daci anreisten. Nach einem kurzen, öffentlichkeitswirksamen Treffen wurde formell beschlossen, vier Arbeitsgruppen einzurichten, die ab November (abwechselnd in Belgrad und Pristina) über Elektrizitätsversorgung für Kosovo, Grenzverkehr, Flüchtlingsrückkehr und Vermißten beraten werden. Anschließend betonte Rugova, daß Kosovo als unabhängiges Land in EU und NATO integriert werden will, während Covic konterte mit der Bemerkung, daß hier Amtsträger der Republik Serbien mit Vertretern einer seiner Provinzen gesprochen hätten.

Unbequem ist die Vermittlungsposition von UNMIK nicht nur durch die Entschlossenheit, mit der sich die Kontrahenten bereits vor den Verhandlungen über "Fragen von gemeinsamem Interesse" in ihre politischen Stellungen eingegraben haben. Paradoxerweise sind die Verhandlungen neben einem Sieg für die "Standards vor Status"-Strategie auch eine Niederlage: Um die absurde Situation zu vermeiden, daß Kosovaren und Serben sich am Verhandlungstisch streiten über Themen, die in Wirklichkeit zur Prärogative der UNMIK als quasi-unparteiische Vermittler gehören, sah sich Steiner gezwungen, den kosovarischen Institutionen bestimmte Zuständigkeiten zu übertragen. Dies geschah im Grunde ohne Rücksicht auf die "Standards vor Status"-Logik, auch wenn die Aufnahme technischer Verhandlungen mit Belgrad zu den acht von Steiner definierten Standards gehört.

Damit niemand den Eindruck gewinne, die Hürden für konstruktive Verhandlungen seien tatsächlich überwindbar, schalteten sich sofort weitere "Betroffene" ein, um neue Komplikationen vorzubringen. Die serbische Minderheit in Kosovo sollte bei den Verhandlungen entsprechend vertreten sein. Umgehend meldete die albanische Minderheit in Südserbien nach dem Reziprozitätsprinzip den Anspruch an, eigene Vertreter nach Wien zu schicken. In der kosovarischen Delegation war der Serbe Milorad Todorovic jedoch formell kein Vertreter der serbischen Minderheit, sondern wurde als Regierungskoordinator für Flüchtlingsrückkehr qua Amt eingeladen. Als Premier Bajram Rexhepi absagte, mußte Holkeri auch ihn ausladen. Die Forderung der albanischen Minderheit zeigt ein ethnisiertes Weltbild: Kein Staat könnte funktionieren, wenn bei jeder Beratung und in jeder Institution ethnischer Proporz gewährt werden müßte.

Vorläufiges Fazit ist, daß die politische Führung in Belgrad ebenso wenig Ideen für eine tragfähige und innenpolitisch vertretbare Kosovo-Lösung hat wie ihre Gesprächspartner in Pristina für die serbische Minderheit in einem von allen angestrebten unabhängigen Kosovo. Schwerwiegend ist aber noch die Tatsache, daß auch die internationale Gemeinschaft, trotz Eröffnung der Verhandlungen, keine Lösung für die Statusfrage parat hält. Diese Pattstellung läßt sich nur durchbrechen, wenn bei den bevorstehenden serbischen Wahlen die Reformpartei G17Plus das politische Ruder übernimmt, die ihr auf EU-Integration ausgerichtetes Programm für wirtschaftliche Umstrukturierung nicht von den beiden politisch-emotionalen Mühlensteine - die Staatenunion mit Montenegro und den Status des Kosovo - behindern lassen möchte. Die UN könnte eine solche einmalige Gelegenheit nutzen, um zuzuschlagen und Belgrads Unterschrift unter eine an (strenge Bedingungen geknüpfte) Unabhängigkeit des Kosovo zu sichern. Das montenegrinische Referendum über die Unabhängigkeit für 2006, das jetzt noch einen gewissen Zeitdruck auf die Kosovo-Verhandlungen ausübt, würde damit schlagartig seine regionale Brisanz verlieren. Dagegen verfolgen bereits jetzt Albaner in Mazedonien und Serben in Bosnien mit Argusaugen die ersten Verhandlungsschritte zwischen Belgrad und Pristina. Junktims wie ein Anschluß der bosnischen Republika Srpska an Serbien im Falle des Verlustes des Kosovo werden bereits jetzt vorsorglich formuliert. Albaner in Südserbien und Mazedonien ebenso wie Serben in Nordkosovo könnten ebenso versucht sein, sich mit Waffengewalt ins Spiel zu bringen oder die Verhandlungen gar zu torpedieren. Die Unruhe in Südserbien und neueste Übergriffe in Kosovo und Mazedonien sind Indizien, daß die Verhandlungen möglicherweise Friedenswillige, aber ganz gewiß auch Gewaltbereite auf den Plan bringen. Insgesamt gleichen die Wiener Unterhandlungen dem sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan, auch wenn man versucht, sich nicht in die Nähe des Kraters zu begeben.


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