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Königsmörder?

Die SPD und ihre Kanzler

Von Karl-Rudolf Korte

30.05.2003 · Internationale Politik 05/2003



Neigt die deutsche Sozialdemokratie zum Sturz ihrer Kanzler? Historisch betrachtet, neigt sie wohl eher zum Sturz ihrer Parteivorsitzenden. Nachdem Willy Brandt 23 Jahre die Partei führte, wechselten die Chefs abrupt. Hans-Jochen Vogel zerrieb sich am Machtkampf mit Oscar Lafontaine. Björn Engholm musste nach einer Falschaussage zurücktreten. Rudolf Scharping verlor in der Auseinandersetzung mit Schröder den vermeintlichen Allianzpartner Lafontaine. Dieser putschte sich in den Parteivorsitz, bis ihn wiederum Schröders Netzwerker aus dem Ministeramt und dem Vorsitz der Partei in die - kurzzeitige - Resignation und Aufgabe trieben. Doch auch solche schnellen Abfolgen von Amtsinhabern sind nicht ungewöhnlich, wenn ein Monument wie Willy Brandt nach sehr vielen Amtsjahren abtritt. Führungsvakuum macht sich dann erwartbar breit. Auch die CDU hat nach dem 16-jährigen Kohl-Regiment in rascher Abfolge bereits zwei Vorsitzende gewählt.

Sieht man genauer hin, dann waren die Gründe für das Scheitern von Brandt und Schmidt sehr unterschiedlich, obwohl die Außenpolitik und die Partei beides mal eine signifikante Rolle spielten. Die machtpolitische Stärke Brandts hing mit seinem außenpolitischen Ideen-Management zusammen. Die Deutschland- und Ostpolitik war der Treibstoff seines Charismas. In der Rolle des Entspannungspolitikers entwickelte er authentisch seine Mission. Als die Verträge geschlossen und die ersten Erfolge konsumiert waren, steckte er in der Erfolgsfalle. Zu einem vergleichbaren Neustart sah er sich kurze Zeit nach der Wahl von 1972 nicht in der Lage. Nicht die Partei trieb ihn aus dem Regierungsamt, sondern maßgeblich der Verschleiß des Themenhaushalts neben den Mühen der aufreibenden Alltagspolitik.

Kanzler Schmidt wurde hingegen durchaus von der Partei aus dem Kanzleramt getrieben. Das fiel der SPD auch einfacher, weil Schmidt kein Parteivorsitzender war. Erhobenes Hauptes, programmatisch mit sich selbst im Reinen und den entsprechenden Parteitagsbeschlüssen in der Tasche, verabschiedete sich die SPD 1982 distanziert vom Regierungshandeln und richtete sich in der Opposition ein. Kanzler Schmidt hatte sich programmatisch und milieuspezifisch Ende der siebziger Jahre von seiner Partei entfernt. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik gab er Führungsziele vor, der die Sozialdemokraten nicht folgen wollten. Der Nato-Doppelbeschluss, eine diplomatische Meisterleistung von Helmut Schmidt, fand nicht die Zustimmung einer Parteimehrheit, die sich reideologisiert hatte und strikt auf eine moralisch und wertorientiert ausgerichtete Außenpolitik setzte.

Ideologiefrei, pragmatisch, technokratisch wollte hingegen Schmidt weiter regieren. Doch seine Partei schwärmte in den frühen 80er Jahren für einen radikalen Pazifismus und warb utopiegetrieben um die neuen sozialen Bewegungen. Die Trutzburg des Kanzleramtes, als zentrale Machtressource Schmidts, half ihm am Ende wenig. Die Vorteile, die Schmidt aus der wahrgenommenen Parteidistanz auch wählerwirksam zog, hatten sich aufgebraucht. Die SPD wollte lieber in die Opposition als zum Kanzlerwahlverein degradiert zu werden.

Auch Kanzler Schröder ist Machtjongleur. Er muss die Quellen seiner Macht täglich am Sprudeln halten. Schröder griff nach der Partei als Machtressource, als sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Als Parteiführer neuen Typs führt er seine Partei weitgehend von außen mit telegenem Schwung und aus dem Kanzleramt heraus. Auch er musste erfahren, dass eine noch so effizient ausgerichtete Regierungszentrale den Führungsanspruch nicht sichern kann, den sich die Kanzler durch die parteipolitische Rückbindung permanent erarbeiten müssen. Spielerisch hat Schröder neben der Parteiendemokratie auch die Mediendemokratie als Machtquelle genutzt. Zusammen mit den Instrumenten einer durch Kommissionen und Räte geprägten Verhandlungsdemokratie verzahnt er die unterschiedlichen Machtquellen, die weitaus vielfältiger als bei Brandt und Schmidt angelegt sind, jedoch fluider und anfälliger bleiben.

Versiegen die Quellen, naht das Ende der Kanzlerschaft. Das parteipolitische Mandat des Kanzlers zählt zu den wichtigsten Machtressourcen. Kanzlermacht ist immer Parteimacht, das zeigt sich besonders deutlich an Sonderparteitagen. Die SPD-Parteipolitik soll über Parteitagsbeschlüsse zur Regierungspolitik werden.

Droht nach der Parteirebellion und dem aufgezwungenen Parteitag deshalb Kanzler Schröder ein ähnliches Schicksal wie dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt? Macht nutzt sich ab, verbraucht sich, sie kann altern, verfallen, gar verschwinden. Die Gründe für den Countdown des Machtverlustes sind vielfältig. Häufig markiert der Verschleiß den Anfang vom Ende einer Regierungszeit. Zeit- und personalaufwendige Frühwarnsysteme funktionieren dann nicht mehr wie gewohnt. Der Parteivorsitzende verliert die Fähigkeit zur Integration der verschiedenen Lager, weil sein Bild von der Stimmungslage der Partei nicht mit der Realität übereinstimmt. Das kann man als arrogante Abgehobenheit interpretieren. Aber ebenso kann es eine bewusste Führungsleistung sein, anders als die Partei es wünscht, zu entscheiden.


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