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Kampf um die Macht spaltet die EU

Deutschland, Spanien und Polen wollen ihren Einfluss im Ministerrat maximieren

Nie war eine Regierungskonferenz so spannend wie die Verhandlungen über die EU-Verfassung. Befürworter der Beibehaltung der Stimmengewichtung des Nizza-Vertrages und Anhänger der vom Konvent vorgeschlagenen „doppelten Mehrheit“ sind nicht kompromissbereit. Die EU-Staaten ringen um ihren Einfluss im Ministerrat.

Von Jochen Hoenig

10.12.2003 · Handelsblatt



BRÜSSEL. Wie wichtig dieser ist, zeigte sich letzten Freitag. Die von Deutschland aufgebaute Sperrminorität gegen die geplante Aufhebung des LKW-Sonntagsfahrverbots war vor dem Rat der Verkehrsminister auseinander gebrochen. Italien war abgesprungen. Berlin, London und Wien kamen auf nur 24 Stimmen, zwei weniger als die im Amsterdamer EU-Vertrag festgelegte Sperrminorität von 26 Stimmen. Letztendlich konnten sie Luxemburg (2) gewinnen. Die qualifizierte Mehrheit von 62 der 87 war gebrochen, der Kommissionsvorschlag vom Tisch.

Selten kommt es im Rat zu Abstimmungen. In der Regel stellt der Vorsitz eine Mehrheit oder eine Ablehnung fest. Die Machtinteressen der EU-Mitglieder, die sich in der Gewichtung ihrer Stimmen widerspiegeln, sind trotz der laxen Handhabung fundamental. Die EU-Verfassung kann an dieser Frage scheitern.

Spanien und Polen wollen an der Nizza-Formel festhalten: Sie sichert ihnen unter allen diskutierten Modellen den größtmöglichen Einfluss. Sie sieht im Extremfall eine „dreifache Mehrheit“ vor. Der Bevölkerungsanteil eines Landes und das Prinzip „Ein Staat eine Stimme“ gingen in eine Gewichtung der Stimmen ein. Eine Mehrheit liegt vor in der EU 27, also nach dem für 2007 geplanten Beitritt Rumäniens und Bulgariens, wenn 258 der 345 Stimmen zusammenkommen. Zudem ist eine Mehrheit der 27 erforderlich. Auf gesonderten Antrag eines Mitglieds kann zusätzlich geprüft werden, ob 62 % der EU-Bevölkerung hinter der Mehrheit stehen.

Obwohl die Nizza-Formel erst nach der Erweiterung angewandt wird, behaupten ihre Kritiker, allen voran die Bundesregierung, sie sei unverständlich und undemokratisch. Dies wirke nur auf den ersten Blick so, heißt es lapidar in Madrid.

Deutschland setzt auf die 2000 in Nizza verworfene und nun vom EU- Konvent wieder vorgeschlagene „doppelte Mehrheit“. Ein Mehrheitsbeschluss liegt demnach vor, wenn die einfache Mehrheit der Staaten einem Gesetzesentwurf zustimmt und 60 % der Bevölkerung dahinter stehen. Spaniens Regierung nennt das Argument der Befürworter, die „doppelte Mehrheit“ sei verständlicher, absurd und irreführend.

Janis A. Emmanouilidis von der Universität München und Thomas Fischer von der Bertelsmann-Stiftung loben die demokratische Grundlage, die die doppelte Mehrheit bietet. Sie sprechen von einem deutlichen Fortschritt gegenüber dem Nizza-Vertrag. Deutschland, Frankreich, Italien und England werden nach Ansicht von Richard Baldwin und Mika Widgren ihre Macht bei dem für 2009 vorgeschlagenen Übergang zur doppelten Mehrheit ausbauen. „Spanien und Polen verlieren“, schreiben sie in einer Analyse des Centre for Economic Policy Studies.

Nach Emmanouilidis und Fischer begünstigt die doppelte Mehrheit den Aufbau von Mehrheitskoalitionen. Dies gelte in der Wirtschaftspolitik für die Euro-Staaten, in der Außen- und Sicherheitspolitik für die Nato-Mitglieder der EU und für die 15 alten Mitglieder gegenüber den neuen. Nettozahler und Ostseeanrainer verfügen hingegen über keine Sperrminoritäten. Mittelmeeranrainer und Inselstaaten erhielten sie nach einem EU-Beitritt der Türkei.

Der Ausgang der Regierungskonferenz ist völlig offen. Denkbar ist, dass der Bevölkerungsanteil bei der doppelten Mehrheit verändert wird, die Gewichtung à la Nizza überarbeitet wird oder der Übergang zur doppelten Mehrheit von 2009 auf 2014 verschoben wird.


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