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Interesse wecken für eine historische Chance

Artikel von Claus Giering zur Bedeutung des EU-Konvents

01.03.2002 · Europäische Zeitung (März 2002)



Mit vielen Vorschusslorbeeren geschmückt, hat der Konvent zur Reform der Europäischen Union am 28. Februar 2002 seine Arbeit aufgenommen. Ein neuer Weg zur Vollendung Europas sei beschritten, ein Meilenstein der Demokratie gesetzt worden. Doch bevor der Konvent als historischer Erfolg in die Geschichte eingehen kann, muss er einige schwere Hürden nehmen. Er muss nämlich schaffen, was mehreren Regierungskonferenzen zuvor nicht gelungen ist: die EU als Politische Union nach den Grundsätzen der Demokratie und der Gewaltenteilung zu gestalten. Anders als in den bisherigen Regierungskonferenzen, in denen hinter verschlossenen Türen kaum nachvollziehbare Reformpakete ausgehandelt wurden, sollen die über hundert Vertreter der Regierungen, der nationalen Parlamente, des Europaparlaments, der Kommission sowie der Beitrittskandidaten bis Juni 2003 eine Vertragsreform ausarbeiten, die den Bürgern Europa wieder näher bringt.

Den Reformauftrag dazu haben die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Laeken im Dezember 2001 erteilt. Und wie selten zuvor ist die Agenda klar umrissen: Erstens sollen die Verträge übersichtlicher und verständlicher gestaltet werden. Zweitens muss deutlich werden, welche Aufgaben die EU übernehmen soll und welche Bereiche weiterhin in der politischen Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen. Und drittens muss festgelegt werden, wie in einer erweiterten EU künftig Entscheidungen getroffen werden können, die zugleich demokratisch legitimiert und effizient sind.

Entscheidend für den Erfolg des Konvents wird zum einen der Charakter des Schlussdokuments sein. Je weit gehender die Vorschläge sind, desto mehr Effekt würden sie erzeugen; desto schwieriger sind sie allerdings auch im Kreis der Mitgliedstaaten zu verwirklichen. Die Reichweite der Reformvorschläge muss also zunächst mit ihren Realisierungschancen abgewogen werden. Die Vorschläge sollten dann in einem Grundvertrag gebündelt werden, dessen Wesensgehalt den heutigen EU-Strukturen nicht widerspricht und der dennoch zentrale Defizite durch wirksame Reformen aufgreift. Vor allem sollte

  • die Rechtsverbindlichkeit der in Nizza verabschiedeten Grundrechtscharta im Vertrag verankert werden;

  • die Arbeitsteilung der EU neu geordnet werden, was auch zu Veränderung der heutigen Aufgabenteilung führen kann;

  • das Vetorecht im Rat in der Gesetzgebung abgeschafft werden und das Parlament dort eine gleich berechtigte Rolle erhalten;

  • der Kommissionspräsident aus den EP-Wahlen hervorgehen, um so den Wahlakt selbst wie auch die Kommission zu stärken.

Ein zweites zentrales Anliegen des Konvents lautet, die Integrationsidee für den Bürger wieder plausibel zu machen. Die feierliche Konventseröffnung hat aber bereits gezeigt, wie schwierig dieses Vorhaben ist. Das historische Momentum der Eröffnungssitzung konnte nicht in die breite Öffentlichkeit transportiert werden. Zwar haben Fernsehen und Presse den Auftakt des Konvents gewürdigt, sie werden auch über den weiteren Verlauf des Konvents berichten und über das Internet können sich alle interessierten Gruppen und Bürger an dessen Arbeit beteiligen. Doch hat sich weder bei den Prioritäten der Politiker, noch bei den Machern der Medien oder gar der Wahrnehmung der Bürger die Erkenntnis durchgesetzt, dass Europa für geraume Zeit die vielleicht letzte Chance hat, sich eine stabile und demokratische Verfassung zu geben. Ein Verfassung, die die Europäer in die Lage versetzt, trotz der vielfältigen ökonomischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen auch in Zukunft Frieden, Wohlstand und Freiheit für den Einzelnen gewährleisten zu können. Dafür Interesse und Verständnis zu wecken wird die wohl schwierigste Aufgabe des Konvents sein. Und nur wenn es gelingt, den Bürgern die Notwendigkeit einer vitalen und handlungsfähigen Europäischen Union zu vermitteln, wird der 28. Februar tatsächlich als Meilenstein in die Geschichte Europas eingehen.


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