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Am Bürger vorbei

Reformkonvent noch ohne ausreichende öffentliche Resonanz. Zeitungsartikel von Claus Giering

01.08.2002 · Europäische Zeitung (08/09 2002)



Die Europapolitik macht Sommerpause - und mit ihr der Konvent zur EU-Reform. Seit Ende Februar 2002 haben 210 Vertreter der Mitgliedstaaten, der Beitrittskandidaten sowie der Gemeinschaftsorgane an der Zukunft Europas gearbeitet. In dieser ersten "Phase des Zuhörens" gab es sieben Plenarsitzungen, zwölf Treffen des Präsidiums und 22 Sitzungen der sechs bisher eingesetzten Arbeitsgruppen. In dreiminütigen Stellungnahmen haben die Mitglieder des Konvents im Plenum ihre Reformvorstellungen verkündet. Insgesamt wurden mehrere hundert Dokumente des Generalsekretariats, der Konventsmitglieder und vielfältiger Interessengruppen vorgelegt. Was ist der Ertrag?

Auf der Habenseite steht erstens, dass der Konvent mit großer Offenheit über Europas künftige Aufgaben beratschlagt hat. In den Debatten wurde deutlich, dass die EU im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, der Innen- und Justizpolitik sowie der Wirtschaftspolitik mehr Kohärenz und Handlungsmöglichkeiten braucht. Nach Wegen zu suchen, wie das zu erreichen ist, wird eine der großen Aufgaben der nächsten Phase des Konvents sein, in der es um die Ausarbeitung konkreter Vorschläge geht. Die zentrale Streitfrage wird dabei sein, ob die Außenvertretung der Union bei der Kommission gebündelt wird, oder die Strukturen des Rates gestärkt werden, indem beispielsweise der Europäische Rat als Schaltzentrale einen Präsidenten auf mehrere Jahre wählt und mit einem entsprechenden Mandat ausstattet.

Ein zweites wichtiges Thema war die Frage der Zurechenbarkeit politischer Verantwortung. Im Konvent wurde deutlich, dass die Aufgabenteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten künftig transparenter gestaltet werden soll. Dazu könnten bestimmte Kompetenzkategorien gebildet werden. Mehr Transparenz könnte zudem erreicht werden, indem die unübersichtliche Gemengelage an Gemeinschaften, Säulen und Verträgen durch eine Zusammenführung im Rahmen der EU überwunden wird. Dazu soll auch das Verhältnis der Gemeinschaftsorgane untereinander überprüft werden. Vorschläge wie die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und des Mitentscheidungsverfahrens oder die Wahl des Kommissionspräsidenten werden aber erst in der nächsten Konventsphase ausführlich diskutiert.

Dritter Schwerpunkt war die Frage der Verpackung der Reforminhalte. Die Tendenz geht hin zur Erarbeitung eines einheitlichen und verständlichen Grundlagenvertrages, der die wichtigsten Ziele, Aufgaben und institutionellen Regelungen umfasst. Eine wichtige Initiative aus dem Kreis der Konventsmitglieder zielt darauf ab, sich möglichst bald auf eine entsprechende Vertragsstruktur zu einigen und die Ergebnisse der Arbeitsgruppen dort nach und nach einzubauen. Die Reformvorschläge wären so auf ein klares Ziel ausgerichtet und besser in der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Die mangelnde Resonanz in der Öffentlichkeit ist das wohl größte Problem des Konvents. Die letzte Eurobarometer-Umfrage hat ergeben, dass etwa zwei Drittel der Deutschen noch nichts vom Konvent gehört hatten. Trotz der Zielsetzung, eine Art Verfassung zu erarbeiten, erringt der Konvent kaum Aufmerksamkeit. Gründe dafür lassen sich einige finden. So ist das Präsidium bereits seit einem halben Jahr benannt und noch immer ist unklar, was das Kernziel und der Charakter des Konvents sind. Ist er nun eine verfassungsgebende Versammlung oder doch nur eine erweiterte Reflexionsgruppe? Auch unter den Konventsmitgliedern regt sich ein gewisser Unmut, dass erst nach der Sommerpause wichtige Weichenstellungen hierzu vorgenommen werden sollen. Ein weiteres Problem ist, dass sich Konvent und Mitgliedstaaten bei der Organisation einer öffentlichen Debatte bisher zu sehr auf die so genannte Zivilgesellschaft verlassen. Diese beschränkt sich aber auf die bekannten Gesichter der Europaszene, an die breite Öffentlichkeit kommt man so nicht heran. Dazu müsste die Arbeit des Konvents verstärkt auf nationaler Ebene vermittelt werden. Doch es fehlt an der nötigen Koordination und Finanzierung.

Mit der schlichten Fortschreibung des Bestehenden ist das große Europa der 28 und mehr Mitgliedstaaten nicht zu realisieren - ein Auseinanderdriften der EU-Staaten kann vom Worst-Case-Szenario zur Realität werden. Nur ein ambitioniertes Ergebnis kann die EU als vitale Erfolgsgemeinschaft fit für künftige Herausforderungen machen. Diese Alternativen müssen klar benannt werden. Denn Unsicherheit wird die Bürger weiter von Europa entfernen. Ausdruck der wachsenden Distanz sind die Stimmgewinne populistischer Parteien, die nicht zuletzt auf deren explizit europaskeptisches Profil zurückzuführen sind. Wenn die Bürger wieder für ein zukunftsfähiges und Erfolg versprechendes Europa gewonnen werden sollen, darf der Konvent kein Konsenspaket ohne Durchschlagskraft vorlegen.


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