Vereinter, als viele wahrhaben wollen
Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld zum 20jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit
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03.10.2010 · Handelsblatt
Handelsblatt: Herr Weidenfeld, hat Bundeskanzler Kohls geflügeltes Wort von den blühenden Landschaften im Osten falsche Erwartungen geweckt?
Weidenfeld: Äußerungen wie die über die blühenden Landschaften künden vor allem vom Aufbruchspathos dieser Jahre. Kohl hat das weniger materiell als symbolisch gemeint. Wie schlecht es um die Wirtschaft im Osten wirklich stand, hatte 1990 noch keiner begriffen.
Aber haben nicht solche Versprechungen dazu beigetragen, Hoffnungen zu enttäuschen. Immerhin hat die ostdeutsche Wirtschaft die Lücke zum Westen noch immer nicht geschlossen.
Die Regierung hat den Fehler gemacht, die ökonomische Vereinigung bürokratisch anzugehen, mit der Gründung der Treuhandanstalt. Sie hat den Aufbau einer neuen Infrastruktur im Osten finanziert, hat aber versäumt, die vitalen Kräfte der Wirtschaft zu wecken, zum Beispiel durch die Schaffung von Sondersteuerzonen, wie es etwa China getan hat.
Ist das der Grund für die nach wie vor deutlichen Unterschiede im Wohlstand?
Die deutsche Gesellschaft steckt voller Kontraste. Diese Kontraste lassen sich keineswegs auf den Gegensatz West-Ost konzentrieren. Die Probleme in den beiden Teilen des Landes unterscheiden sich nicht dramatisch. Der Gegensatz Arm-Reich ist heute prägender.
Aber es gibt doch auch noch eine Kluft zwischen Ost und West?
Deutschland ist vereinter, als viele wahrhaben wollen. Das Gerede über die Mauer in den Köpfen dient vor allem der Pflege von Klischees. Deutschland besteht längst nicht mehr aus zwei in sich geschlossenen Gesellschaften.
Wie stark hat die Wiedervereinigung auch den Westen verändert?
Die innerdeutsche Mobilität hat sich stark verbessert. Drei Millionen Deutsche sind von Ost nach West gewandert, eine Million von West nach Ost, und viele pendeln auch regelmäßig hin und her. Das hat dazu beigetragen, dass sich die Einstellungen zu wichtigen Fragen ein gutes Stück angeglichen haben. Das gilt zum Beispiel für die Religiosität, das Parteiensystem und auch für die Einstellung zum Umweltschutz.
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