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"Gratwanderung der Union"

Sechs Monate vor der Bundestagswahl stecken CDU/CSU im Tief. Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld.

Das Interview ist zeitgleich auch in der Zeitung Hessische/Niedersächsische Allgemeine erschienen.

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10.03.2009 · Münchner Merkur



München - Die Umfragen sind so schlecht wie lange nicht, immer mehr Wähler laufen zur FDP über. Sechs Monate vor der Bundestagswahl steckt die Kanzlerinnenpartei im Tief.

Fragen an Prof. Dr. Werner Weidenfeld (61), Direktor des "Centrum für angewandte Politikforschung" (C·A·P) und Professor für Politische Wissenschaft an der LMU München.


Die Union ist in Umfragen auf bis zu 32 Prozent gefallen. Wie ist dieser Absturz zu erklären?

Weidenfeld: Das sind normale Schwankungen. Die Wähler sind heute sehr viel flexibler als noch in früheren Jahrzehnten. Parteien können sich nicht mehr darauf verlassen, dass bestimmte Zustimmungsquoten in Beton gegossen sind.

Besonders wirtschaftskonservative Wähler laufen in Scharen zur FDP über, weil sie die Debatte um Staatshilfen und Enteignungen nicht nachvollziehen können. Wird die Wirtschaftskrise zur Unionskrise ?

Weidenfeld: Das muss nicht sein. Die FDP hat als Klientelpartei den Vorteil, in einer solchen Krise mit einer relativ einfachen Antwort aufwarten zu können. Da tut sich die Union mit der Interessenvielfalt ihrer Anhängerschaft viel schwerer. Die Wanderungsbewegungen, die zu beobachten sind - sei es zwischen FDP und Union oder auch zwischen SPD und Linkspartei - bleiben jedoch jeweils im gleichen politischen Lager. Insofern ist die Entwicklung aus Sicht der Union weniger dramatisch.

Warum können CDU und CSU nicht stärker von den vergleichsweise stabilen Sympathiewerten der Kanzlerin profitieren?

Weidenfeld: Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich persönliche Sympathiewerte nicht auf eine Partei übertragen. Hinzu kommt, dass Angela Merkel auf Kernanhänger der CDU/CSU nicht gerade den stärksten Einfluss ausübt. Die Vorsitzende tritt auf den klassischen Feldern der CDU-Programmatik wenig in Erscheinung. Dort entfaltet sie geringere Bindewirkungen, während sie als Kanzlerin der Großen Koalition in der Gesamtwählerschaft ein beachtliches Ansehen genießt.

Merkel wird vorgeworfen, konservative Kreise bewusst verprellt zu haben, etwa durch ihre Kritik am Papst und der Zurückhaltung im Fall Erika Steinbach. Wie groß ist der Flurschaden?

Weidenfeld: Bewusst verprellt hat Frau Merkel sicherlich niemanden. Dazu ist sie viel zu geschickt in Stil und Taktik. Sie ist eine geradezu perfekte Kohl-Schülerin. Doch anders als der Altkanzler hat Merkel aus Sicht ihrer Anhängerschaft ein gewisses Erklärungsdefizit, was das christdemokratische Programm betrifft. Möglicherweise ein entscheidendes Manko im Wahlkampf. Denn nur wer am Ende die Deutungshoheit in dieser Republik gewinnt, der gewinnt auch die Wahlen. Merkel wäre anzuraten, ihre programmatische Kraft zu stärken, statt im Alltag immer nur clever zu taktieren.

Die CSU hat angekündigt, sich künftig deutlich schärfer von der CDU abzugrenzen, um die konservative Klientel zu bedienen. Kann diese Strategie aufgehen ?

Weidenfeld: Für die CSU auf jeden Fall. Sich bis zur Grenze des Hinnehmbaren auf Abstand zur CDU zu halten, um Konservative an die Union zu binden - diese Strategie ist unter Franz Josef Strauß ja auch schon immer aufgegangen.

Durch den Dauerstreit der Unionsschwestern entsteht jedoch ein Bild der Zerstrittenheit. Die Folge: Die Wähler laufen in Scharen davon. Ist der Schaden für die CSU damit nicht größer als der Nutzen?

Weidenfeld: Die CSU muss bei ihrer Profilierung darauf achten, dass die Unionsparteien nicht als zerstritten wahrgenommen werden, sondern als vitale Diskussionsgemeinschaft. Die CDU/CSU wandert hier seit jeher auf einem schmalen Grat.

Mehrere CDU-Ministerpräsidenten haben die Kanzlerin aufgefordert, ihren Kompromisskurs in der Großen Koalition zu beenden und mit dem Wahlkampf zu beginnen. Angenommen, sie beherzigt diesen Rat: Hätten die Wähler inmitten einer Wirtschaftskrise dafür Verständnis?

Weidenfeld: Hinter diesen Appellen steckt die Absicht zur persönlichen Profilierung. Wir befinden uns ja schon seit geraumer Zeit im Wahlkampf. Die Ministerpräsidenten könnten sich ihre öffentlichen Ermahnungen sparen und auch einfach zum Telefonhörer greifen, wenn sie Frau Merkel etwas zu sagen haben. Die Bundeskanzlerin muss sehr sensibel ausloten, wann sie die Kontraste zum Koalitionspartner SPD weiter schärft. Es besteht in der Tat das Risiko, dass die Bürger dies als Ablenkung von seriöser Politik einordnen. Für Merkel ist das eine Frage des richtigen Timings.

Das Gespräch führte Holger Eichele.


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