5. Internationales C·A·P-Telemedizinforum in München
Telemedizin als Eckpfeiler für ein innovatives Versorgungsmanagement
Fragen der medizinischen Versorgung spitzen sich im demographischen Wandel weiter zu.
PDF-Downloads: Programm - Teilnehmerliste
03.11.2010 · C·A·P
Die Teilnehmer des 5. Internationalen C·A·P Telemedizinforums 2010 in München (in der Mitte Yariv Alroy, Vize-CEO der SHL Telemedicine Ltd./Tel Aviv neben dem Leiter des Forums, C·A·P-Direktor Prof. Dr. Werner Weidenfeld (2.v.r.)
Im deutschen Gesundheitssystem wie in denen der europäischen Nachbarstaaten spitzen sich Fragen der Unter-, Über- und Fehlversorgung weiter zu. Aber auch weltweit wird der demographische Wandel in Verbindung mit einer flächendeckenden wie effizienten Versorgung einer alternden Bevölkerung immer mehr zum Problem. Der demographische Wandel realisiert global dramatische Kostensteigerungen insbesondere im Bereich der chronischen Krankheiten. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel in der Zunahme der Diabetes Mellitus II oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie der instabilen Herzinsuffizienz oder der koronaren Herzkrankheit. Im Ergebnis entsteht zwingender Handlungsbedarf, der alle Felder des Systems betrifft. Neben der Lösung finanzieller Fragen stehen hierbei das Verhältnis von Arzt und Patient (Compliance) sowie die Konstruktion der Regelversorgung im Kontext gesetzlicher und privater Versicherungsverhältnisse auf dem Prüfstand. Hinzu kommt der medizinisch-technologische Fortschritt. Er ermöglicht in vielen Behandlungsfeldern neue und faszinierende Behandlungsformen. Neben Korrekturen im System bieten solche technologische Innovationen im Bereich der Gesundheitstelematik herausragende Lösungsmöglichkeiten an. Dies zeigte das 5. Internationale C·A·P Telemedizinforum in München auf, das mit freundlicher Unterstützung der SHL Telemedicine Ltd. im Oktober 2010 unter der Leitung von C·A·P-Direktor Prof. Dr. Werner Weidenfeld heuer erstmals über zwei Tage erneut Schlüsselakteure aus dem Gesundheitswesen zu intensiven Gesprächen über die Chancen dieser Innovation für Diagnose, Therapie und Rehabilitation zusammen brachte.
Führte in die Diskussion ein: Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld (rechts, daneben Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers, Ehlers & Partner, München)
Prof. Dr. Hans-Jochen Brauns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin in Berlin, wies eingangs auf die veränderten Rahmenbedingungen im Versorgungsmanagement hin. In den letzten Jahren sei es zweifellos zu einer Rezeptionsänderung mit Blick auf die medizinische Attraktivität der Technologie gekommen. Trotz der Zunahme von klinischen und empirischen Daten, welche die Effizienz ihres Einsatzes beweisen, sowie veränderter Ansätze im Rahmen der integrierten Versorgung, gäbe es dafür aber keinerlei Struktur verändernde Modelle für die Versorgung. Diese sei aber angesichts der zunehmenden Multimorbidität insbesondere im Rahmen chronischer Volkskrankheiten unerlässlich. Insofern sei der Paradigmenwechsel notwendig. Es müsse mehr Wettbewerb geben bei einer vernünftig organisierten integrierten Versorgung. Ein Bild einer solchen Versorgung, die auch telemedizinische Anwendungen im Rahmen der Regelversorgung mit einbeziehe, gab der Vorstandsvorsitzende der BKK Gesundheit aus Frankfurt/M., Thomas Bodmer. Er interpretierte die Telemedizin als Eckpfeiler eines zukunftsweisenden Versorgungsmanagements, das als moderne Managementfunktion die Compliance im Verhältnis zwischen Arzt und Patient ebenso schärfer ins Visier nehme wie auch das Konzept der integrierten Versorgung durch Leistungsträger, Leistungserbringer und Patienten dies alles ermögliche eine bessere persönliche Betreuung, eine hohe Motivation der Teilnehmer sowie signifikante Kosteneinsparungen. Im Rahmen dieser Bestandsaufnahmen machte Dr. Maximilians Gaßner, Präsident des Bundesversicherungsamtes in Bonn deutlich, dass die Rechtsaufsicht mit Blick auf gesundheitstelematische Innovationen unaufgeregt sei. Der rechtliche Rahmen behindere diese nicht. Auch wenn die gesetzlichen Regelungen noch nicht ausdifferenziert seien, so ermögliche das Sozialgesetzbuch V (SGB V) eine relativ weite Offenheit für telemedizinische Anwendungen und das Amt wolle auch nicht als Innovationsbremse wirken. Es werde nur dann eingreifen, wenn grundlegende Rechtsprinzipien auf dem Spiel stünden.
State of the Art sie beschrieben das aktuelle Potenzial der Telemedizin und machten konzeptionelle wie rechtliche Möglichkeiten ihres Einsatzes deutlich: Thomas Bodmer, BKK Gesundheit, Dr. Maximilians Gaßner, Bundesversicherungsamt und Prof. Dr. Hans-Jochen Brauns, Deutsche Gesellschaft für Telemedizin (v. l.n.r.). Moderiert wurde dieses Panel von Rolf Stuppardt, Stuppardt & Partner, Berlin (3. v.r.)
Ergänzten die Fachreferate des ersten Podiums: Dr. Leonhard Hansen, Vorstandsvorsitzender a. D., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Düsseldorf (2.v.r.) ...
... sowie Dr. Gerhard Dahlhoff, Leiter Stabsbereich Medizin, AOK Bayern, München
Der erste Tag des Forums machte aber demgegenüber die weiter bestehenden Fehlanreize im derzeitigen Gesundheitssystem deutlich. Fehlallokationen, Intransparenz bei Preisfestsetzungen und Leistungen sowie die große Rolle von Partikularinteressen aller im System Beteiligten seien leider der Sand im Getriebe eines technologiegetriebenen Prozesses, von dem jedoch hoch interessante Verbesserungen in Diagnose, Therapie und Rehabilitation erwartet werden könnten. Deutlich wurde das große Innovationspotenzial der Gesundheitstelematik. Hier müsse man auch komplexe Prozessinnovationen wagen und gute Versorgungsmodelle als Benchmark in der Diskussion platzieren, um somit Strategiefähigkeit jenseits von kleinen Nischen oder parzellierten Insellösungen zu realisieren.
Forderte mehr Öffentlichkeit für die positiven Effekte der Telemedizin: der Münchner Unternehmensberater Wolfgang Ihrk
Tagungsort: der voll besetzte Preysingsaal des HypoVereinsbank Forums in München, direkt hinter dem Hotel Bayerischer Hof in der Münchner Innenstadt
Vor diesem Hintergrund hoben Prof. Dr. Stephan Martin, Ärztlicher Direktor, Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum in Gerresheim (Sana Kliniken Düsseldorf), Prof. Dr. Heinz Völler, ärztlicher Direktor der Fachklinik am See, Rüdersdorf bei Berlin, sowie Prof. Dr. Sahin Albayrak, Vorstandsvorsitzender von Connected Living Berlin, sowohl den Ernst der Lage bei der Zunahme von Belastungen durch chronische Krankheiten wie auch die Möglichkeiten adäquater und Kosten senkender telemedizinischer Behandlungsformen hervor. Der erschreckende Befund: Erkrankungen wie Diabetes Mellitus II, instabile Herzinsuffizienz oder koronare Herzerkrankungen würden zum Teil fast noch so behandelt wie in den 60er Jahren; demgegenüber steige der Handlungsdruck zur Innovation der Gesundheitstelematik alleine schon aufgrund ihrer Effekte mit Blick auf die Verringerung von Liegezeiten, unnötige Krankenhauseinweisungen und Senkung der Morbidität. Insgesamt fördere die Intensivierung der pharmakologischen Therapie sowie eine Lebensstiländerungen unter Einschluss der Telemedizin signifikant eine Verbesserung der persönlichen Vitalparameter und der Patientenzufriedenheit sowohl im akuten Bereich als auch im Bereich der Rehabilitation. Insbesondere die Möglichkeiten der Rehabilitation beeindruckten, da auch hier durch den Einsatz gesundheitstelematischer Verfahren und Instrumente wie der Ergometer-Chipkarte, des 12-Kanal-EKG sowie Internetschulungen gute Ergebnisse erzielt werden konnten.
Prof. Dr. Stephan Martin, Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum, Sana Kliniken Düsseldorf
Prof. Dr. Heinz Völler, Fachklinik am See, Rüdersdorf b. Berlin
Prof. Dr. Sahin Albayrak komplettierte das Bild mit solchen telematischen Lösungen, die im Kontext des Ambient Assisted Living (AAL) bzw. Connected Living faszinierende Möglichkeiten aufzeigen, um das alltägliche Leben älterer Menschen situationsabhängig und unaufdringlich durch den Einsatz telematischer Lösungen zu unterstützen. Er zeigte auf, wie eine Vernetzung der Elektronik mittels eines zentralen Servers Gesundheitsdienste im intelligenten Haus der Zukunft zur Verknüpfung von Gesundheitszielen und Datenerfassungen genutzt werden könnten, um angesichts des demographischen Wandels zu humanen Lösungen einer Versorgung zu kommen, die heimische Geborgenheit mit effizienten Diagnose- und Therapiemöglichkeiten verknüpft.
Prof. Dr. Sahin Albayrak, Connected Living, Berlin
An dieser Stelle wurden der Regulierungsdruck und die Anforderungen an die Gesundheitspolitik deutlich. Mit Theresa Schopper, gesundheitspolitische Sprecherin und Vorsitzende der bayerischen Grünen sowie Staatssekretär a. D. Jürgen Heike MdL (CSU) kamen zwei politische Positionen zu Wort, die aufgeschlossen für gesundheitstelematische Innovationen sind und ihr Potenzial für eine regionale wie bundesweite Versorgung einer alternden Gesellschaft erkennen. Jenseits der klaren Zuständigkeiten der Leistungsträger auf Kassenseite und der Leistungserbringer auf Seiten der Kliniken und niedergelassenen Ärzte brachten sie die Sicht der politischen Verantwortlichen in Bayern ein. Im Rahmen einer von dem Heidelberger Kardiologen Prof. Dr. Zugck moderierten Diskussion machten sie sowohl das Spannungsgefälle deutlich, dass in der operativen Politik mit Blick auf Veränderungen im etablierten System entsteht als auch die Schwierigkeit des hinein Drängens in eine artifizielle Mediatorenrolle, wenn (offenbar) erwartet wird, dass zwischen Systemarchitekten, Leistungserbringern, Leistungsträgern und Patienten dann politisch vermittelt werden muss, falls sich Konflikte verhärten.
Theresa Schopper MdL, Bündnis 90/ Die Grünen und Staatssekretär a. D., Jürgen Heike MdL (CSU) (v.r.n.l.)
Moderator des 2. Panels: Prof. Dr. Christian Zugck, Universitätsklinikum Heidelberg
C·A·P-Fellow Jürgen Turek M.A. und der Münchner Fachanwalt für Medizinrecht und Arzt Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers fassten das Forum am ersten bzw. zweiten Tag des Kongresses zusammen. Prof. Dr. Dr. Ehlers wies insbesondere darauf hin, dass Telemedizin in wichtigen Bereichen der Versorgung von Patienten die Lösung von Problemen sei. Hierfür würde es vielfältige erfolgreiche Beispiele, wie den Einsatz von Telemedizin im Superjumbo Airbus A 380, geben. Im Superjumbo werden innovative Techniken genutzt, um bei Passagieren mit kritischen Werten im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder etwa einem Diabetes-Schock, eine zuverlässige ärztliche Versorgung aus der Ferne vornehmen zu können. Darüber hinaus zeigte er auf, dass Versicherte einen Anspruch auf ein umfassendes Versorgungsmanagement gegenüber der GKV haben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür wären zudem gegeben. Es käme letztlich auf die Akteure des Gesundheitssystems an, diese sinnvoll zu nutzen und erfolgreiche Modelle umzusetzen.
Fassten als Rapporteure das Forum zusammen: Der Münchner Arzt und Anwalt Prof. Dr. Dr. Alexander Ehlers ...
... und C·A·P-Fellow Jürgen Turek M.A.
Mobilisierte aus seinem gesundheitspolitischen Netzwerk heraus wesentliche Kompetenzen des Forums: Dr. Roland Delbos, Unternehmensberater, St. Augustin, und Vorsitzender des Beirats der SHL Telemedizin GmbH, Düsseldorf, davor langjähriger Vorstand der Deutschen Krankenversicherung (DKV)
Vertrat die Interessen der Bayerischen Ministerialbürokratie: Dr. Gerhard Knorr, Leiter Abteilung für Krankenhausversorgung, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, München.
Gruppenbild mit Dame: Yariv Alroy, SHL Telemedicine Ltd., Prof. Dr. Werner Weidenfeld, C·A·P, Theresa Schopper, Bündnis 90/Die Grünen und Staatssekretär Jürgen Heike a.D., CSU.
Eyal Lewin, Geschäftsführer der SHL Telemedizin GmbH, Düsseldorf
Der Münchner Mundartdichter und Satiriker Helmut Eckl las den Teilnehmern des Forums beim festlichen Dinner im Spatenhaus gegenüber dem Münchner Operhaus niederbayerisch eingefärbt die Leviten mit Blick aufs Älter werden (hier bei der Ausführung zusammen mit C·A·P-Fellow Jürgen Turek).
MP3-Audio-Statements
Bericht: TC Turek Consulting, Jürgen Turek M.A.
Fotos: one4all, Dr. Doerthe Winter
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