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Die EU und Moldova: Nachbarschaft und Konfliktmanagement

Konferenz in Moldova

Konferenz der Bertelsmann Stiftung und des C·A·P in Kooperation mit dem Büro der Friedrich Ebert Stiftung in Kiew und der Assoziation für Außenpolitik in Chisinau am 13.-14. Oktober 2003 in Moldova

20.10.2003 · Bertelsmann Forschungsgruppe Politik



Kaum ein Land verkörpert die Zerreissprobe der neuen Strategie des "Wider Europe" so sehr wie Moldova, mit 4 Millionen Einwohnern der kleinste und ärmste der östlichen Nachbarn einer erweiterten EU. Als Bestandteil der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird im Moment in Brüssel debattiert, ob die EU sich diplomatisch und mit Friedenstruppen in den seit 1992 ungelösten Dnestrkonflikt einmischen soll. Gleichzeitig ist die kommunistische Regierung Moldovas auf eine pro-europäische Rhetorik umgeschwenkt und beharrt nachdrücklich auf einem Beitritt zur Europäischen Union. Dazu versucht sie auch die Mitgliedschaft im Stabilitätspakt zu nutzen. In dieser brisanten Konstellation veranstalteten das C·A·P und die Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung einen ersten politischen Dialog in der Hauptstadt Chisinau. Ziel war es, einen richtungsweisenden Beitrag für die Erfassung regionaler Probleme und der Ausarbeitung europäischer Strategien zu leisten. Inhaltlich war die Konferenz vom C·A·P Konzept des Multi-Layered Europe geleitet.


Moldova auf dem Weg in die Europäische Union? Foto: C·A·P.

An der Veranstaltung "Moldova auf dem Weg zur Europäischen Union?" vom 13.-14. Oktober, in Kooperation mit dem Büro der Friedrich Ebert Stiftung in Kiew und der Assoziation für Außenpolitik in Chisinau, nahmen Regierungsvertreter, Kommunalpolitiker und Think Tanks sowie Entscheidungsträger und Experten aus Westeuropa, Russland, der Ukraine und Südosteuropa teil. Die kleine lokale Expertengemeinschaft nutzte diese seltene Gelegenheit nahezu vollzählig, um die Debatte über die Schlüsselprobleme Moldovas und die Rolle Europas voranzutreiben. Vorgestellt wurde die offizielle moldawische Europastrategie des moldawischen Außenministeriums.

Die Moldawische Kommunistische Partei stellt seit 2001 nicht nur den Präsidenten, sondern verfügt auch über eine Verfassungsmehrheit im Parlament. Den Amtsinhabern ist es gelungen, die oppositionellen Befürworter einer Wiedervereinigung mit Rumänien durch die Propagierung des eigenen moldawischen Nationalstaats politisch zu marginalisieren. Ebenso versucht das Regime die Reformkräfte auszustechen, indem es die Agenda der Opposition für "die Integration Moldovas in Europa" selbst besetzt.

Die propagierte Westorientierung bedeutet aber nicht, dass es der Regierung gleichzeitig gelingt, einen eindeutigen Transformationskurs zu verfolgen. Moldawien ist das ärmste Land Europas. Mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von mageren 406 Euro pro Jahr und einem Bevölkerungsanteil von 80 Prozent, der zu einem Leben unterhalb des offiziellen Existenzminimums verurteilt ist, sowie einem niedrigen Bruttoinlandsprodukt von etwa 1,48 Milliarden Euro im Jahr 2001 bildet Moldawien das europäische Schlußlicht der Sozialstatistiken. Als traurige Konsequenz gilt Moldova als Quelle für den illegalen Frauen- und Organhandel. Die Volkswirtschaft zehrt zunehmend von den Transfers der geschätzten 600.000 (meist illegalen) moldawischen Arbeitsmigranten in Europa und der internationalen Schattenwirtschaft rundum die separatistische Dnestrrepublik.


Ion Sturza (Generaldirektor, Rompetrol Cisinau, President of the
Association of Foreign Policy), Dr. Iris Kempe (C·A·P), Andrei Stratan (First-Vice Minister of Foreign Affaires of the Republic Moldova), Helmut Kurth (Friedrich-Ebert-Stiftung). Foto: C·A·P.

Seit einem kurzen Bürgerkrieg 1992 patrouillieren internationale, in erster Line aber russische Friedenstruppen am Dnestr, während das Regime der Dnestrrepublik zu einem Brutplatz der organisierten Kriminalität und Schattenwirtschaft geworden ist. Nicht der ethnische Gegensatz zwischen Moldawiern auf dem Südufer und der russischsprechenden Mehrheit auf dem Nordufer, sondern die krude Verquickung von Politik und illegalen wirtschaftlichen Interessen sowie das strategische Interesse Moskaus machen die Dnestrrepublik zu einer Quelle politischer Risiken und wirtschaftlicher Instabilitäten. Seit mehr als einem Jahrzehnt vermittelt die OSZE zwischen den Konfliktparteien. Trotz einzelner Verhandlungsfortschritte ist es ihr bisher nicht gelungen, die Statusfrage zu lösen. Nun debattiert die EU Möglichkeiten zum Konfliktmanagement. Neben den Instrumentarien der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik könnte die Union die regionale Lage auch mit wirtschaftlichen Hebeln stabilisieren. Auch der OSZE-Vertreter begrüßte ein Engagement der EU und erinnerte die moldawischen Teilnehmer daran, dass ein Arrangement für die Dnestrfrage nicht nur die Zustimmung der Konfliktparteien erfordere, sondern auch internationalen Standards wie denen der EU entsprechen müsse. Moldova allein sei angesichts der zahlreichen involvierten fremden, aber auch eigenen Interessen wohl kaum in der Lage, eine Lösung herbeizuführen. Nur wenn Moskau seine Annäherung an Europa höher einstufen würde als sein geopolitisches Interesse am Dnestrkonflikt, könnte die EU Russland ggf. dazu bewegen, das Regime in der Dnestrrepublik unter Druck zu setzen. Kehrseite der Medaille bleibt dabei, dass auch ein erfolgreiches Föderalisierungskonzept das autoritäre Dnestrregime legitimieren und das Nordufer sich weiterhin der moldawischen Autoritäten entziehen würde - eine Staatsform, die auch mit einer entfernten EU-Perspektive nicht vereinbar ist.

Weder die Einordnung Moldovas in die Kategorie "Nachbarn" der EU-Strategie für das "Grosse Europa" noch seine Aufnahme in den Stabilitätspakt für Südosteuropa 2001 garantiert dem Land den Beitritt zur Europäischen Union. Dennoch möchte Moldova aus der Aufnahme in den Stabilitätspakt seine Zugehörigkeit zu Südosteuropa und damit den Anspruch auf ein Assoziierungsabkommen ableiten. Dieses von Chisinau für 2007 anvisierte Abkommen soll dann den Weg für Beitrittsverhandlungen öffnen. Den Teilnehmern war klar, dass der Beitritt nur langfristig (ein Teilnehmer sprach von "mehreren Generationen") und nach Lösung des Dnestrkonflikts realistisch sei. Dennoch wurden Stimmen laut, dass der Konflikt eben nur mit Hilfe der Beitrittsperspektive in die Europäische Union zu lösen sei. Im weiteren unterstrich der Leiter der Europaabteilung des moldawischen Außenministeriums, Goia, das von der Regierung bereits mehrfach ausgesprochene Bekenntnis zu Europa, die anschließende Ausarbeitung eines "Europa-Konzeptes" und die Einrichtung der entsprechenden Institutionen wie z.B. eine Abteilung für Europäische Integration im Außenministerium. Allerdings kritisierten gleichzeitig NGO-Vertreter, dass diese Strategieentwicklung nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolge. Außerdem ließe die Orientierung nach Europa die erforderliche Eindeutigkeit und Nachhaltigkeit vermissen. So würden Regierungsvertreter nicht davor zurückschrecken, in Moskau, Chisinau und Brüssel unterschiedliche, gar unvereinbare Erklärungen zu ein und der selben Frage abzugeben. Vor allem wurde bemängelt, dass den Integrationsworten noch keine Taten im Sinne von politischen und wirtschaftlichen Reformen gefolgt seien. Augenmerk der Tagung war tatsächlich nicht zuletzt eine Versachlichung der EU-Debatte in Moldova: Besonders die an der Konferenz teilnehmenden Bürgermeister waren eigens aus der Provinz gekommen, um statt "triumphalistischer Propaganda vermutlich erstmals eine realistische Einschätzung der Beziehungen zwischen Moldova und der EU" zu hören. Dennoch bewertet einer der Experten die Kehrtwende der Regierung positiv. Jetzt sei die europäische Integration in Moldova wenigstens kein politisches Tabu mehr. Gleichzeitig warnte er jedoch vor vorschneller Euphorie - es sei schließlich immer noch "einfacher, der Kommunistischen Partei als der Europäischen Union beizutreten". Ein anderer Experte ging noch einen Schritt weiter, indem er die Risiken Moldovas für die europäische Integration und vice versa identifizierte: einerseits ein schwacher Staat mit einer schwachen Wirtschaft sowie ein regionales Destabilisierungspotential und andererseits die wirtschaftlichen Kosten einer Integration, das Fehlen konkurrenzfähiger Produkte und die Überforderung der Behörden mit der Acquis-Anpassung.

Die Schwierigkeiten und Probleme Moldovas, aber auch die künftigen Herausforderungen für Europa nicht außer acht lassend legten die Teilenehmer in den Politikempfehlungen des Schlusspanels den Moldawiern nahe, das "Wider Europe - Neighborhood " Konzept der EU als Chance zu verstehen: Viele dringend notwendige Reformen könnten bereits jetzt in Angriff genommen werden und seien kein Preis, der für eine EU-Perspektive zu entrichten sei. Somit hatte am Ende Romano Prodis Aussage Bestand, dass "Wider Europe" eine künftige Beitrittsperspektive weder versprechen noch ausschließen sollte.


Foto: C·A·P

Publikationen zum Thema

Alla Skvartsova: Country Report Moldova, in: Prospects and Risks Beyond EU Enlargement, Iris Kempe (ed.) Opladen 2003 (PDF-Download einer Draft-Version).

Vladimir Solonari: Transdnistria: Old Problems, New Developments, in: Prospects and Risks Beyond EU Enlargement, Iris Kempe (ed.) Opladen 2003 (PDF-Download einer Draft-Version).

Wim van Meurs: Moldova - ein Fall für zwei?, in: Europäische Zeitung (Nov. 2003, i.E.)

Wim van Meurs: Moldova - nationale Identität als politisches Programm, in: Südosteuropa-Mitteilungen 43, Nr. 4-5 (2003), S. 30-43 (PDF-Download).

Alla Skvartsova: Moldova and the EU: Direct Neighbourhood and Security Issues, in: Beyond EU Enlargement. The Agenda of Direct Neighbourhood for Eastern Europe, Iris Kempe (ed.) Gütersloh 2001.

Wim van Meurs: In der Moldau ist es fünf nach zwölf. Kein Ende der Misere nach dem Sieg der Kommunisten, in: Neue Zürcher Zeitung (13. März 2001)


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