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Transformation Index 2010

Qualität demokratischen Regierens sinkt weltweit

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Transformation Index 2010. Politische Gestaltung im internationalen Vergleich. Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2009.

02.12.2009 · Forschungsgruppe Zukunftsfragen



Transformation Index 2010 erfasst zunehmende Einschränkung bürgerlicher Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Obwohl die Zahl der formalen Demokratien weltweit konstant bleibt, sinkt deren Qualität teilweise beträchtlich. Von diesen Rückschritten sind mittlerweile auch Kernaspekte politischer Beteiligung wie Wahlen oder Presse- und Versammlungsfreiheit betroffen. Zudem haben viele Regierungen in Entwicklungs- und Transformationsländern die Zeiten hoher Wachstumsraten vor Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ungenutzt verstreichen lassen und nicht ausreichend für die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit gesorgt. Unter Bedingungen weltwirtschaftlicher Unsicherheiten bergen diese strukturellen Defizite und sozialen Schieflagen beträchtliche Risiken. Zu diesem Fazit kommt der von der Bertelsmann Stiftung und dem Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) vorgelegte Transformation Index 2010. Unter den 128 untersuchten Entwicklungs- und Transformationsländern, die in den vergangenen Jahren am erfolgreichsten regiert wurden, gehören Uruguay, Chile, Estland, Südkorea und Brasilien. Die schlechteste politische Führung wird Nordkorea, Simbabwe, Myanmar, Somalia und Usbekistan attestiert.


Auch in den vergangenen beiden Jahren hat es eine Reihe von Veränderungen im Demokratiestatus des Transformation Index gegeben.

Einen Abgesang auf das Leitbild der Demokratie lassen die neuesten Daten dieser weltweiten Erhebung zwar nicht zu. Der Anteil der Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen freie Wahlen stattfinden, bleibt stabil bei 60 Prozent. Immer noch leben knapp 4 Milliarden Menschen in einer Demokratie und lediglich 2,5 Milliarden in Autokratien und Diktaturen. Die Möglichkeit zu einer wirklichen Teilhabe der Bevölkerung an der politischen Willensbildung und ihre gesellschaftliche Integration werden jedoch in vielen Staaten zunehmend eingeschränkt. 53 der 76 untersuchten Demokratien werden als „defekte Demokratien“ eingestuft, in denen es trotz relativ freier und fairer Wahlen an der hinreichenden Durchsetzung der politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte oder einer effektiven Gewaltenteilung mangelt. Der Anteil der eher mäßig defekten Demokratien hat sich in den letzten vier Jahren von 62 auf etwa 49 Prozent verringert, während zugleich der Anteil der stark defekten Demokratien in diesem Zeitraum von etwa zehn auf über 20 Prozent gestiegen ist. Mit anderen Worten: Die Anzahl der Demokratien mag nahezu unverändert bleiben, aber unterhalb einer recht stabilen Spitzengruppe sinkt die Leistungsfähigkeit und Akzeptanz vieler demokratischer Systeme in signifikanter Weise.

Von diesem Qualitätsverlust sind mittlerweile auch Kernaspekte der politischen Beteiligung berührt. So wurden Freiheit und Fairness der in defekten Demokratien durchgeführten Wahlen durchschnittlich deutlich schlechter bewertet als noch vor vier Jahren, in jüngster Zeit besonders in Kenia und Nicaragua. Dies gilt auch hinsichtlich des Rechts auf Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Besonders alarmierend sind zunehmende Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Besonders betroffen waren die defekten und stark defekten Demokratien Afrikas, vor allem Kenia, Madagaskar, Niger, Südafrika und Uganda. Aber auch in fortgeschrittenen Demokratien wie Ghana, Kroatien, Serbien oder Südkorea waren Rückschritte zu verzeichnen.

Auch wenn sich die Auslöser für konkrete Entwicklungen von Land zu Land unterscheiden, so liegen diesem negativen Trend doch häufig ähnliche Muster zugrunde: Eine mangelnde rechtsstaatliche Verankerung der Demokratie gepaart mit einer geringen politischen und sozialen Integration der Bevölkerung. Diese Defizite erschweren das Vorgehen gegen eine zunehmende Einschränkung der Bürgerrechte oder grassierenden Amtsmissbrauch. Im weltweiten Durchschnitt zählen seit Jahren rechtsstaatliche Eckpfeiler wie Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz zu den schwächsten Indikatoren im Transformation Index. Gleichzeitig fehlt der Demokratie das gesellschaftliche Fundament.

Die Einbußen an Glaubwürdigkeit und Ansehen demokratischer Regierungen gehen im wirtschaftlichen Bereich häufig einher mit schwachen Regierungsleistungen zur Sicherung von sozialen Grundstandards und Chancengerechtigkeit. Zu den eklatanten Schwachpunkten zählen insbesondere die Systeme zum sozialen Ausgleich, die unzureichende Armutsbekämpfung und fehlende Investitionen in Bildung und Umweltschutz. In einem Viertel der untersuchten Länder ist das sozioökonomische Entwicklungsniveau so niedrig, dass Armut und sozialer Ausschluss verbreitet und strukturell verfestigt sind. Mäßige bis gute Werte in diesem Bereich erreichen nur 41 der 128 Länder. Diese strukturellen Defizite und sozialen Schieflagen bergen unter Bedingungen weltwirtschaftlicher Unsicherheit beträchtliche Risiken. Schwindende finanzielle Ressourcen und das Fehlen legitimitätsstiftender wirtschaftlicher Prosperität könnten in Zukunft die Stabilität vieler Regierungen bedrohen.

Für externe Unterstützer von Entwicklung und demokratischer Transformation lohnt ein Blick vor allem auf jene Länder, die sich durch eine hohe demokratische Legitimität und vergleichsweise gute Regierungsqualität auszeichnen, die aber aufgrund von ungünstigen strukturellen Rahmenbedingungen und unter dem zusätzlichen Druck der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise nur unzureichend sozioökonomische Fortschritte erzielen können. Diese Länder sollten primäres Ziel externer Hilfen werden, bevor schwache demokratische Regime aufgrund von steigender Armut und ungleicher Einkommensverteilung grundsätzlich in ihrer Legitimität hinterfragt werden. Doch auch eine differenziertere Betrachtung der sich wandelnden Legitimationsmuster autokratischer Regime, deren wirtschaftlicher Output in den vergangenen Jahren besonders hoch war, scheint angebracht, um auf verschärfte Repressionen wie aber auch auf Entwicklungen zu mehr Partizipation angemessen reagieren zu können.

Im weltweiten Vergleich liegen die ost- und mitteleuropäischen EU-Beitrittsstaaten weiter vorne. Auf den ersten Plätzen des Status-Index im BTI liegen Slowenien und Estland, gefolgt von Ländern wie Taiwan, Südkorea, Chile oder Costa Rica. Das beste politische Management bescheinigt der Index Uruguay, gefolgt von Chile, Estland, Südkorea und Brasilien. Zu den großen Verlierern der zurückliegenden Jahre gehören dabei unter anderem Südafrika, das aufgrund des polarisierenden Machtkampfes zwischen dem bis September 2008 regierenden Präsidenten Mbeki und seinem Herausforderer Zuma reformorientierte Politik vernachlässigte, oder Venezuela unter Hugo Chávez. Den schlechtesten Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft verzeichnen die Experten der Stiftung dabei neben Nordkorea in Myanmar (Birma) und Somalia.

Über den Transformation Index

Der vom Centrum für angewandte Politikforschung und der Bertelsmann Stiftung entwickelte Transformation Index analysiert und bewertet die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und politischem Management in 128 Entwicklungs- und Transformationsländern. Gemessen werden Erfolge und Rückschritte auf dem Weg zu rechtsstaatlicher Demokratie und sozialpolitisch flankierter Marktwirtschaft. Detaillierte Ländergutachten sind die Grundlage für die Bewertung des Entwicklungsstands und der Problemlagen sowie der Fähigkeit politischer Akteure, Reformen konsequent und zielsicher umzusetzen. Der zweijährlich erscheinende BTI ist damit der erste international vergleichende Index, der die Qualität von Governance mit selbst erhobenen Daten misst und eine umfassende Analyse von politischen Gestaltungsleistungen in Transformationsprozessen bietet. Eine Besonderheit des Index ist die freie Verfügbarkeit der aktuellen Ergebnisse und Ländergutachten unter: www.bertelsmann-transformation-index.de, wo sie auch in einzigartiger Weise in der interaktiven Flash-Anwendung "Transformation Atlas" durchforscht werden können.


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