Wann entscheiden wir über Europa?
Statement von Werner Weidenfeld
Artikel auf donaukurier.de
27.06.2012 · Donaukurier
Käme es so, dann ginge es nicht mehr nur um die Zukunft Europas. Es ginge auch um die Frage, ob Deutschland als souveräner Staat in seiner jetzigen Form weiter bestehen soll.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bemüht sich, die Äußerung kleinzureden. Es gehe um Fragen von übermorgen, sagt ihr Sprecher. Aber wenn die EU-Staatschefs heute und morgen auf dem EU-Gipfel in Brüssel über den Fiskalpakt entscheiden, dann arbeiten sie auch daran, dass Schäubles Prognose eintritt. Der Pakt soll den Staaten unter anderem eine Obergrenze für ihre Schulden vorgeben. So sollen maßlose Ausgaben verhindert und die Krise bekämpft werden. Die Staaten verzichten also auf ihr Recht, ungebremst Schulden zu machen und lassen sich von Europa auf die Finger schauen. Das bedeutet auch eine Machtverlagerung.
Genau darin liegt das Problem: Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts muss die Verschiebung von Kompetenzen nach Brüssel bald ein Ende haben. Sein Präsident Andreas Voßkuhle hält den Rahmen, den das Grundgesetz bietet, für weitgehend ausgeschöpft. Tritt Deutschland weitere Kompetenzen ab, wird die Verfassung, die von einem souveränen Bundesstaat ausgeht, im Kern ausgehöhlt. Das darf aber nicht sein. Das Grundgesetz enthält in Artikel 146 eine Ewigkeitsklausel. Es verliert nur dann seine Gültigkeit, wenn eine neue Verfassung vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Im Klartext: Will Deutschland seine Souveränität zu großen Teilen an Europa abgeben, dann muss es sich eine neue Verfassung geben. Und das geht nur über eine Volksabstimmung ganz im Sinne Wolfgang Schäubles.
Bleibt die Frage, wann dieser Punkt erreicht ist. Experten sind mit Angela Merkel der Meinung, dass er nicht unmittelbar bevorsteht. Der Fiskalpakt ist wohl noch nicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Was wir im Moment erleben ist ein Stück Kompetenztransfer, wie er Dutzende Male in der europäischen Integration stattgefunden hat, sagt etwa der Münchner Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld einer der profiliertesten deutschen Europafachleute. Den Staaten werde ja nur eine Obergrenze an Ausgaben vorgeschrieben. Nicht aber, wie sie ihr Geld einnehmen und wofür sie es ausgeben sollen.
Doch schon jetzt denken viele Politiker über weitere Schritte nach allen voran Schäuble. Nach einer Fiskalunion müsse eine Bankenunion kommen, meint er. Und ein europäischer Finanzminister. Die EU-Kommission müsse sich zu einer echten europäischen Regierung entwickeln, ihr Präsident direkt von den Bürgern gewählt werden. Nur in einer politischen Union ließen sich die Probleme lösen.
Die Krise als Wegbereiter eines europäischen Bundesstaats? Unter Druck finden Lernprozesse statt, sagt Weidenfeld. Die Union sieht er aber schon jetzt weit fortgeschritten. Wenn Sie sich die Kompetenzlage anschauen, muss man sagen: Wir sind ganz nah dran an so etwas wie den Vereinigten Staaten von Europa.
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