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Vorsprung schmilzt wie Schnee im Sommer

Schlechte Umfragewerte machen Union und Liberale auf Zielgeraden nervös

23.09.2009 · Nürnberger Nachrichten



BERLIN - Die Lage scheint ernst. Denn jetzt macht CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bereits etwas, was sonst die Aufgabe von Hilfskräften in Callcentern ist: Er führt fernmündliche Motivationsgespräche. Und er hat sogar die Medien für heute Mittag eingeladen, ihm dabei zuzusehen. Das ganze nennt sich «Telefonaktion zur Wählermobilisierung«. Mit einem Anruf des Herrn Pofalla aus dem Konrad-Adenauer-Haus dürfen Bundestagskandidaten, eifrige Parteimitglieder und Wahlkreisleiter rechnen.

Einen Tag, bevor er sich daran machte, quer durch Deutschland die Telefonleitungen glühen zu lassen, musste der Generalsekretär in seinem Büro äußerst unangenehme Meldungen zur Kenntnis nehmen: Der Vorsprung des schwarz-gelben Lagers ist allen aktuellen Umfragen zufolge geschmolzen wie Schnee im Sommer. Bei einem Institut hat sich der Trend sogar schon komplett gedreht, da sind inzwischen die anderen, restlichen Parteien stärker als Union und FDP.

Das hatten sich die Christdemokraten anders gedacht. Zwar sollten 72 Stunden vor der Wahl noch einmal etliche neue Aktionen gestartet werden, aber für den Zeitpunkt wähnte man sich schon klar auf der Siegerstraße. Man wollte hauptsächlich die letzten Zweifler auf die Seite der Union ziehen - und dann am Sonntag überglücklich in Berlin und München den Sieg feiern. Und nun das. Die Meinungsforscher von Forsa sehen Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle gerade mal einen Prozentpunkt vor SPD, Grünen und Linken (48 zu 47 Prozent). Beim traditionell etwas unionsfreundlicheren Institut Allensbach führt Schwarz-Gelb mit 48,5 Prozent noch etwas klarer vor dem Rest, der es auf 46,5 Prozent bringt. Beim Dritten im Bunde, der gestern seine Zahlen bekanntgab, der Info GmbH aus der Hauptstadt, liegen die Bürgerlichen und Liberalen mit drei Prozentpunkten im Rückstand (46 zu 49).

Absteigende Tendenz

Nun mag man über den Wert von Umfragen spätestens 2005 ins Grübeln gekommen sein, als Gerhard Schröder entgegen aller Vorhersagen einen grandiosen Endspurt hinlegte. Aber eines beunruhigt die Union schon - und das ist die klar absteigende Tendenz aller Umfragen. Man kann für die Wende sogar einen Termin benennen, was die SPD besonders gern tut, und das ist das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier.

Trotz dieser Entwicklung würden wohl Meinungsforscher, wenn sie denn wetten würden, immer noch auf das schwarz-gelbe Bündnis setzen. Ein Grund dafür sind die Überhangmandate, von denen in den vergangenen Tagen so viel die Rede war. Sie kommen zustande, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate holt, als ihr den Zweitstimmen nach eigentlich zustünden. Hier werden der Union dieses Mal bis zu 20 solcher Mandate zugetraut. Das könnte reichen, die Hürde zur Mehrheit zu überspringen. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hat für diesen Fall vorsorglich mit einer Verfassungsklage gedroht, der aber kaum jemand eine Chance gibt.


Die Bundeskanzlerin, ab heute auf internationalem Parkett unterwegs, wird über die Umfragen auf dem Laufenden gehalten. Mindestens genauso wenig wie die Zahlen selbst dürfte ihr gefallen, dass sich in ihrer eigenen Partei erster Unmut regt. Roland Koch, hessischer Ministerpräsident und stellvertretender CDU-Chef, ist kaum noch zu bremsen. «Niemand sollte glauben, dass wir die Bundestagswahl von der Zuschauertribüne aus gewinnen«, rief er in einem Interview den seiner Meinung nach zu laschen Berlinern entgegen.

Bemühungen

Angela Merkel bemüht sich - innerhalb der ihr angemessen erscheinenden Grenzen - durchaus, die Konfliktlinien mit den Sozialdemokraten aufzuzeigen. Gerade erst wandte sie sich «dezidiert« gegen den sonst von ihr so geschätzten Finanzminister Peer Steinbrück. Der hatte für die Zeit nach der Wahl (übrigens ebenso wie CSU-Star Karl-Theodor zu Guttenberg) einen Sparkurs ausgerufen. Die Kanzlerin dazu: «Natürlich weiß ich, dass die Schulden hoch sind, aber wir müssen im Augenblick antizyklisch denken.«

Wird der Bürger den Steuersenkungsplänen der Union vertrauen? Oder wird er sich doch eher von den Sparabsichten des Sozialdemokraten Steinbrück beeindrucken lassen? Das ist so schwer zu beantworten wie selten zuvor, denn immer mehr Deutsche schieben ihre Entscheidung bis zum letzten Drücker auf. Den Forschern von Allensbach zufolge ist ein Drittel der Stimmberechtigten immer noch unentschlossen. Der Münchner Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld macht den Parteien keine große Hoffnung auf Gewissheit: «Viele entscheiden sich erst auf dem Weg zur Wahlkabine«, sagt er.

Steinmeier zuversichtlich

SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier geht nun davon aus, dass er wenigstens die 28-Prozent-Marke, die intern als Messlatte für ihn ausgegeben wurde, schaffen kann. Dafür tut er fast alles, nennt sogar seinen bisher öffentlich nicht bekannten Spitznamen aus der Schulzeit. «Prickel« lautete der. Den Ursprung dieses Worts kann er sich nicht erklären. Egal, der Sonntag dürfte jedenfalls prickelnd werden für «Prickel«.


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