Wie sollten Journalisten über Wahlen und rechtsextreme Parteien berichten?
Ein Leitfaden mit Tipps von B. Schellenberg und F. Jansen
29.02.2008 · www.info-rechtsextremismus.de
Besser sei es, wenn Journalisten ihrer Informationspflicht nachkämen und über rechtsextreme Parteien frühzeitig aufklärten, finden die Rechtsextremismus-Experten Frank Jansen vom Berliner Tagesspiegel und die Politologin Britta Schellenberg vom "Centrum für angewandte Politikforschung" in München. Allerdings komme es darauf an "wie" berichtet wird. Im Leitfaden erklären die Experten, was die Medien häufig falsch machen und geben Tipps für einen kompetenten Umgang mit rechtsextremen Parteien.
1. Nicht dramatisieren
Rechtsextremismus-Expertin Britta Schellenberg rät Journalisten nicht zu dramatisieren und Parteimitglieder oder Funktionäre nicht zu kriminalisieren oder auszugrenzen. Bei einem Wahlsieg der NPD sollten Journalisten nicht allein über den Wahlerfolg berichten und das Publikum nicht durch unverhältnismäßige Vergleiche mit der Vergangenheit oder durch unsachgemäße Zukunftsprognosen verunsichern.
Journalisten sollten den deutlichen Vorsprung der demokratischen Parteien hervorheben und auch deren Meinung zum Wahlsieg einholen. Genauso könnten auch Maßnahmen gegen den wachsenden Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft thematisiert werden. Ereignisse wie Wahlsiege, fremdenfeindliche Aussagen von Politikern oder rechtsextremistische Gewalttaten sollten nur der Aufhänger für eine mit Fakten gespickte Hintergrundberichterstattung sein, die auch die Bedeutung der Demokratie verdeutlicht.
2. Kontinuierlich berichten
Die Experten Britta Schellenberg und Frank Jansen kritisieren, dass sich die Berichterstattung über rechtsextreme Parteien nach wie vor nur um bestimmte Ereignisse, wie zum Beispiel Wahlen, provokante Aussagen von Politikern oder schlimme Gewalttaten dreht. Was in der Zeit zwischen solchen medienwirksamen Ereignissen in der rechten Szene vor sich geht, wird oft ausgeblendet - obwohl diese Vorfälle nicht weniger bedenklich sind. Schellenberg und Jansen raten Journalisten dazu, kontinuierlich und nachhaltig über alles zu berichten, was sich in der Szene abspielt und die Existenz sowie den zunehmenden Erfolg rechtsextremer Parteien nicht zu leugnen.
Immerhin ist die NPD bereits in zwei Landtagen - in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern - vertreten und die DVU sitzt zum zweiten Mal im Landtag von Brandenburg. "Journalisten müssen auf diese Tatsache reagieren und sich damit auseinandersetzen. Rechtsextremismus besteht nicht nur aus bestimmten Höhepunkten, sondern ist ein dauerhafter und nicht zu unterschätzender Skandal und so sollte das Thema auch behandelt werden", rät Rechtsextremismus-Experte Frank Jansen.
3. Balance halten, Überthematisierung vermeiden
Kontinuierliche Berichterstattung ist keine Überthematisierung. Es ist nicht notwendig über jede kleinste Aktivität einer Partei oder über jede Äußerung eines Politikers zu berichten. Die NPD versucht oft absichtlich, durch bestimmte kleinere Aktivitäten und Demonstrationen in die Öffentlichkeit zu kommen. Britta Schellenberg rät dazu, abzuwägen, ob das Ereignis wirklich wichtig ist, oder ob der Bericht den Rechtsextremisten mehr Resonanz gibt als nötig.
Auch Frank Jansen betont, dass es für rechtsextreme Parteien oft nur darum gehe in den Medien zu erscheinen - egal was über sie berichtet wird. Dies könne bei Lesern den falschen Eindruck erwecken, dass die Rechtsextremen allgegenwärtig und übermächtig sind. Und das würde unserer demokratischen Gesellschaft nicht gerecht.
4. Keine Angst zeigen
Journalisten sollten souverän mit dem Thema "Rechtsextremismus" umgehen und keine Angst vor der Berichterstattung haben. Wer aus Angst vor Gewalt nicht berichtet oder das Thema auf Grund mangelnden Wissens ignoriert, arbeitet den rechtsextremen Parteien in die Hände.
Experte Frank Jansen rät Journalisten daher, sich auf keinen Fall einschüchtern zu lassen und zum Beispiel Artikel stets mit vollem Namen zu zeichnen. Wer auf sein Recht auf Pressefreiheit verzichte, lasse die Rechtsextremen gewinnen.
Natürlich ist es aber auch notwendig, reale Bedrohungen zu erkennen und sich aus akuten Gefahrensituationen sofort zurückzuziehen, beispielsweise bei einer direkten Gewaltandrohung bei Recherchen vor Ort. Jansen rät allen Redaktionen einen Experten aufzubauen, der ausreichend Fachwissen und Erfahrung mit dem Thema hat und auch seine Kollegen in der Redaktion beraten kann.
5. Vorsicht bei der Darstellung von Tätern und Gewalttaten Klischees vermeiden
Gewalttaten sollten nie zu sehr im Zentrum eines Berichtes stehen. Fotos oder Fernsehbeiträge, die Straftaten nachstellen animieren Nachahmungstäter, wie Studien gezeigt haben. Journalisten sollten daher solche Ereignisse lediglich als Anlass nehmen, um sich allgemein mit dem Thema Rechtsextremismus auseinanderzusetzen.
Politologin Britta Schellenberg warnt vor einer zu klischeehaften Darstellung von Rechtsextremisten. Nicht alle stecken in Springerstiefeln und haben einen kahlen Kopf. Die Szene sei viel breiter geworden. So könnten Rechtsextreme auch sportlich, modisch und elegant gekleidet sein. Sie könnten genauso gut Turnschuhe und Piercings tragen, wie Hemd und Krawatte. Journalisten sollten ihre Leser auch für diesem Punkt sensibilisieren und aufklären.
6. Keine Plattform für Propaganda bieten
Journalisten sollten auf Wortlautinterviews mit rechtsextremen Parteifunktionären verzichten. Die Gefahr, dass die Berichterstattung ungefiltert für Propagandazwecke missbraucht wird, ist zu hoch. Denn durch die anschließende Autorisierung haben Journalisten oft keine Chance kommentierend einzugreifen und müssen akzeptieren, dass fremdenfeindliche Aussagen ungefiltert einfließen können.
Wirkungsvoller ist es, sich inhaltlich mit den Parteien auseinanderzusetzen und auch die Denkweisen, Strategien und Interna der Parteifunktionäre zu analysieren. Pressemeldungen sollten stets selbst nachrecherchiert und mit aktuellen Fakten und Hintergrundinfos ergänzt werden. Ebenso sollten Journalisten die Parteiprogramme rechtsextremer Parteien lesen. Journalist Frank Jansen empfiehlt, gegenüberzustellen was rechtsextreme Parteien in der Öffentlichkeit tun und sagen. "Nur wer sich gut in der rechtsextremen Szene auskennt, bemerkt wo Fallen lauern und begreift auch interne Abläufe. Leser müssen durch die Berichte der Journalisten wahrnehmen können, was sich bei den Parteien abspielt", sagt Jansen.
7. Mehrere Perspektiven beleuchten und umfassend berichten
Die Rechtsextremismus-Experten Schellenberg und Jansen empfehlen Journalisten bei der Berichterstattung auch auf Opfer einzugehen. Frank Jansen berichtet bereits seit Jahren kontinuierlich über ein Opfers rechtsextremer Gewalt und stößt damit bei seinen Lesern auf reges Interesse. Journalisten sollten zudem auch verschiedene Perspektiven ausleuchten und die Meinungen von Politikern, Wissenschaftlern und Jugendarbeitern in die Berichterstattung mit einbeziehen.
Journalisten sollten aber auch versuchen, den Tätern gerecht zu werden und auf deren Komplexität und soziales Umfeld näher einzugehen. Gewalttaten sollten aber stets im politischen Kontext stehen und auch der Anlass für eine Tat sollte thematisiert werden. Allerdings sollten Täter nicht zuviel Raum für Statements bekommen. Fremdenfeindliche Äußerungen müssen auch hier unbedingt kommentiert und eingeordnet werden, sonst könnten Leser den Inhalt des Beitrags missverstehen und ihn möglicherweise als fremdenfeindlich empfinden.
8. Objektivität
Warnen, moralisieren, entlarven oder an den Pranger stellen, sollte nie das Ziel von Nachrichten und Berichten über Rechtsextremismus sein. Anklagen und eigene Meinung sind in Kommentaren besser aufgehoben. Das Geschehen darf nicht vereinfacht werden, indem Opfer zu besseren Menschen werden und rechtsextreme Täter als stumpfsinnige Schläger dargestellt werden. Experten raten Journalisten bei der Berichterstattung dringend zu Objektivität.
Es sollte jedoch stets kritisch kommentiert und nichts verharmlost werden. Die Menschenfeindlichkeit und Gewalttätigkeit im Rechtsextremismus, muss ungeschönt gezeigt und benannt werden.
Frank Jansen findet es nicht notwendig rechtsextreme Parteifunktionäre im Interview zu entlarven. Denn diese hätten sich selbst längst durch ihre Parteimitgliedschaft und ihr politisches Amt entlarvt. Er rät jedoch dazu, Politikern, die sich vordergründig demokratisch geben, aber fremdenfeindliche Aussagen machen, auf den Zahn zu fühlen und nachzufragen, wo sie politisch eigentlich stehen.
Journalisten sollten genau formulieren, warum rechtsextreme Parteien gefährlich sind. Kernaufgabe muss es sein, einen ausgewogenen, fairen und authentischen Blick auf die Geschehnisse zu vermitteln.
Britta Schellenberg ist Politologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) in München und leitete das Projekt Strategien gegen Rechtsextremismus in Europa. In diesem Projekt hat sie die Berichterstattung der Medien über Rechtsextremismus analysiert und Handlungsempfehlungen für Journalisten gegeben.
Frank Jansen ist Redakteur beim Berliner Tagesspiegel und Experte in Sachen Berichterstattung über Rechtsextremismus. Der Journalist beschäftigt sich seit mehr als 17 Jahren mit dem Thema und kennt sich in der rechtsextremen Szene bestens aus. 1995 erhielt er für seine journalistische Arbeit den Theodor-Wolff-Preis.
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