Der Balkan als ewiger Prüfstein
Kosovo. Die EU findet keine Linie in der Statusfrage und fällt als gestaltende Kraft aus
16.04.2007 · Rheinischer Merkur
Das ist momentan die Eine-Million-Euro-Frage. Zwar unterstützen die beiden ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, Frankreich und Großbritannien, den Vorschlag des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari, der eine Unabhängigkeit unter internationaler Aufsicht vorsieht. Doch ist die Slowakei, derzeit nicht-ständiges Mitglied des Gremiums, strikt gegen die territoriale Loslösung des Amselfelds von Serbien. Bratislava will keinen Präzedenzfall schaffen, auf den sich eines Tages die ungarische Minderheit im Süden des Landes berufen könnte. So hat es das Parlament Ende März mit großer Mehrheit beschlossen.
Für diese Position finden die Slowaken viel Sympathie, nicht nur bei Serben und Russen. Auch Rumänien, wo 1,4 Millionen Ungarn leben, ist gegen die Unabhängigkeit des Kosovo. Spanien fürchtet weiteren Auftrieb für die Unabhängigkeitsbestrebungen von Basken und Katalanen, die griechische Republik Zypern für den türkischen Norden. Ohnedies sind die Griechen wie die Italiener, die ebenfalls derzeit einen Sitz in New York haben, traditionell proserbisch eingestellt. Im Weltsicherheitsrat schielt Belgrad außerdem auf die Unterstützung durch Indonesien, Ghana, die Republik Kongo und Südafrika. Ein Beschluss dort kann nur fallen, wenn ihm mindestens neun der fünfzehn Mitglieder zustimmen.
Für die EU ist diese Konstellation besonders heikel. Der Balkan war schon immer der Prüfstein der Europäer, sagt Cornelius Adebahr, Balkan-Fachmann der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Wenn man hier keine Einigkeit herstellt, braucht man über weitergehende Visionen europäischer Außenpolitik gar nicht mehr zu reden. Sandra Breka von der Bosch-Stiftung verweist auf das katastrophale Signal an die Region: Die EU verliert ihre Glaubwürdigkeit.
Bei ihrem informellen Treffen Ende März in Bremen hatten die EU-Außenminister vergebens nach einer gemeinsamen Position gesucht. Es habe keine volle Unterstützung für die Vorschläge Ahtisaaris gegeben, ließ der slowakische Außenminister Jan Kubis hinterher wissen. Die EU werde die Beratungen im Sicherheitsrat genau verfolgen und sich erneut zusammensetzen, wenn Gespräche über den Inhalt beginnen, äußerte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Damit fallen die Europäer bis auf weiteres als gestaltende Kraft aus. Denn nach dem Auftakt der New Yorker Beratungen läge es nun an der Balkan- Kontaktgruppe, einen Resolutionsvorschlag zu erarbeiten. Diesem Gremium gehören neben Washington und Moskau noch London, Paris, Berlin und Rom an. Die EU braucht jetzt ein Sondertreffen, fordert Dominik Tolksdorf vom Münchner Centrum für Angewandte Politikforschung. Abwarten ist keine Lösung.
Deutsche Diplomaten geben sich trotzdem optimistisch, dass eine Statuslösung für das Kosovo noch unter dem Berliner Ratsvorsitz bis Ende Juni gefunden wird. Ihre Hoffnungen ruhen auf Russland, obwohl sich die offizielle Haltung Moskaus in den vergangenen Monaten verhärtet hat. Präsident Wladimir Putin hatte bei seinem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel im Januar in Sotschi gesagt, dass eine langfristige Lösung nur herbeigeführt werden könne, wenn sie sowohl für Belgrad als auch für Pristina annehmbar ist. Das trifft auf Ahtisaaris Plan nicht zu. Im direkten Gespräch mit Merkel soll Putin aber eine geschmeidigere Haltung an den Tag gelegt haben. Im Umfeld der Kanzlerin wird er mit den Worten zitiert, Russland werde nicht serbischer sein als die Serben und habe Belgrad auch kein Veto zugesagt. Von daher wäre eine Enthaltung im Sicherheitsrat denkbar.
Einstweilen nimmt die europäische Uneinigkeit freilich viel Druck von Moskau. Die USA haben zwar gedroht, sie würden das Kosovo auch ohne Resolution des Sicherheitsrats anerkennen nach einer Unabhängigkeitserklärung des dortigen Parlaments. Die EU stünde in diesem Fall jedoch vor der Spaltung. Außerdem benötigt sie eine neue völkerrechtliche Basis, um die Verwaltung in Pristina im Auftrag der Vereinten Nationen zu übernehmen. Dieser bis dato größte zivile Einsatz im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wird seit Monaten geplant.
Gibt es einen Weg aus der Sackgasse? Der Vorsitzende der Internationalen Balkan-Kommission, Giuliano Amato, wirbt derzeit zusammen mit dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker für eine neue Verhandlungsrunde. Brüssel solle stärker die Beitrittsperspektive ins Spiel bringen, die Kontaktgruppe mehr Druck auf die Betroffenen ausüben, fordern beide in einem Zeitungsartikel. Das müsste so laufen wie bei den Dayton- Gesprächen zu Bosnien: Man sperrt alle Parteien so lange ein, bis sie sich geeinigt haben, sagt Sandra Breka, deren Stiftung die Balkan-Kommission unterstützt. Das Zeitfenster, fügt sie hinzu, ist allerdings sehr klein.
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