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Einsatz für Europa

Streit zwischen Russen und Amerikaner - Europa schweigt. Ein Kommentar von Thomas Bauer.

In dem lauten Streit der Russen und Amerikaner um die US-Raketenabwehr in Osteuropa fällt vor allem eines auf: das Schweigen der Europäer. Ihnen fehlt es an sicherheitspolitischer Eigenständigkeit.

13.02.2007 · Financial Times Deutschland



Der harte verbale Schlagabtausch zwischen den USA und Russland auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat Europa aufgeschreckt. Ein Grund für den Streit war die mögliche Beteiligung einiger osteuropäischer Staaten an einem Raketenabwehrschirm unter amerikanischer Führung. Dies sei ein unfreundliches Signal, lautete der Vorwurf der russischen Seite, während US-Senator John McCain das Abwehrsystem in München als einen Schritt hin zu mehr Sicherheit in ganz Europa verteidigte.

Besonders bedenklich in dieser angespannten Lage ist das Schweigen der Europäer. Der mögliche Bau von Raketensilos und Radaranlagen in Polen und Tschechien hat zusammen mit der harschen Reaktion aus Moskau erheblichen Einfluss auf die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Situation Europas. Doch die EU hat sich bisher nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme zu dem Thema durchgerungen. Sie sieht die Sache als Problem der Nato. Ein grundsätzliches Defizit des verteidigungspolitischen Konzepts der EU - ihre Lückenhaftigkeit - tritt hier klar zutage.

Die nach dem Kosovo-Konflikt 1999 angesetzte Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ist auf halbem Weg stecken geblieben. Im operativen Bereich sind in den letzten Jahren zwar viele Fortschritte erzielt worden, was die EU-geführten Krisenmanagementoperationen auf dem Balkan und in Afrika belegen. Doch es fehlt die Entwicklung eines ganzheitlichen Verständnisses von Krieg und Frieden, es fehlt der offene Umgang mit den Themen Sicherheit und Verteidigung. Obwohl im EU-Vertrag von Nizza im Jahr 2000 bereits eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) in Aussicht gestellt worden war und obwohl die EU-Kommission und der Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, im letzten Jahr jene GSVP als wichtiges Ziel der EU bekräftigt haben, sind die Mitgliedsstaaten der Union konzeptionell im Jahr 1999 stehen geblieben.

Für viele Bürger wie Politiker ist das Verständnis von Sicherheitspolitik limitiert auf eine Art bewaffnete Entwicklungshilfe. Der Alltag vieler im Ausland eingesetzter europäischer Soldaten sieht jedoch anders aus. Vor Ort herrschen mehr Unsicherheit, mehr Gewalt und mehr Angst um das eigene Leben, als dies von der Bevölkerung zu Hause wahrgenommen wird. Ein Grund für diese Diskrepanz ist die Unvollständigkeit des GSVP-Prozesses.

Es fehlt eine offene Auseinandersetzung über das volle Spektrum der Sicherheitspolitik, von der zivilen Wiederaufbauhilfe bis hin zum umfassenden militärischen Kampfeinsatz. Es fehlen eindeutige politische Stellungnahmen, die klare Definition von primären Interessen und harte, verifizierbare Einsatzkriterien für die Entsendung ziviler und militärischer Kräfte. Die EU hat sich hier jedoch nicht selbst beschränkt, vielmehr sind die meisten Mitgliedsstaaten nicht bereit, der Union mehr Entscheidungsbefugnisse auf diesem Gebiet abzutreten. Einige EU-Staaten, auch Deutschland, können die Definitionen und Einsatzkriterien nicht einmal auf nationaler Ebene vorweisen.

Kein Wunder also, dass sich Polen und Tschechien bilateral mit den USA über ihre Beteiligung am Raketenabwehrschirm verständigen, und kein Wunder auch, dass sich der russische Präsident Wladimir Putin auf der Sicherheitskonferenz so vehement gegen die Pläne ausgesprochen hat. Kein Vertreter eines EU-Staates hat sich bisher klar zu diesem Thema geäußert, und das, obwohl sich hier ein radikaler Eingriff in das sicherheitspolitische Selbstverständnis Europas vollzieht. Selten zuvor hat man Europa so machtlos im Hinblick auf seine eigene Position erlebt, weswegen man die Kritik Putins noch mehr auf die Europäer beziehen muss als auf die USA.

Es wird in der Tat höchste Zeit, die Idee einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gezielt umzusetzen. Dies bedeutet, mehr Rechte und Entscheidungsbefugnisse von der nationalen auf die europäische Ebene zu transferieren und den Aufbau integrierter europäischer Streitkräfte. Davon ist auch das Verhältnis Europas zu den USA als wichtigstem Verbündeten betroffen.

Der von Briten und Amerikanern gern vertretene Ansatz einer Arbeitsteilung zwischen der ESVP als "Soft Power" und der Nato als "Hard Power" hat sich als strategischer Fehler erwiesen und lässt sich nicht mehr halten. Die außenpolitischen Auswirkungen des US-Raketenabwehrschirms mit Basen in Polen und Tschechien, aber auch die Entsendung deutscher Tornado-Jets nach Afghanistan betreffen die Union als Ganzes. Daher gilt es, ein sicherheitspolitisches Großprojekt in Angriff zu nehmen, das realistisch die globalen Interessen der Europäer im Verhältnis zu den USA, Russland und anderen aufstrebenden Mächten des 21. Jahrhunderts analysiert und umsetzt.

Durch die Bildung solch einer starken und eigenständigen europäischen Säule innerhalb der Nato würde auch die Allianz selbst profitieren, da die ideologisch geführte Auseinandersetzung über Europa als Mitläufer oder Gegengewicht zu den USA hinfällig wäre. Im Rahmen einer transatlantischen Interessen- oder Strategiegemeinschaft stellt das Projekt einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine Bereicherung dar. Europa sollte die Konsequenzen aus dem Streit zwischen Russland und den USA ziehen und sein eigenes sicherheitspolitisches Profil entsprechend schärfen. Dies ist keine Frage des Wollens, sondern schlicht eine Notwendigkeit geworden.


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