Soll es bei der Europawahl eine 3-Prozent-Klausel für Parteien geben?
Statement von Prof. Dr. Werner Weidenfeld
31.05.2013 · Bayerische Staatszeitung
Zu den elementaren Erkenntnissen des Parlamentarismus gehört: Die Organisation des Parlaments muss sensible und effektive Entscheidungsprozesse ermöglichen. Jede Form der Selbstlähmung hat für die Vitalität der Demokratie höchst negative Folgen. Mit dem Einbau von minimalen Klauseln hat man dem Rechnung getragen. Die Handlungsfähigkeit des Parlaments muss gewährleistet sein, sonst nimmt die Schlüsselinstanz der repräsentativen Demokratie schweren Schaden.
Der Auslöser, dies nun in Frage zu stellen, ist ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht. Ihm ist dabei ein schwerwiegender Denkfehler unterlaufen. Das Gericht stellt ja nicht die Sinnhaftigkeit der 5-Prozent-Klausel bei der Wahl zum Deutschen Bundestag in Frage. Es hebt ab auf andere strukturelle Gegebenheiten, die es beim Europäischen Parlament wahrzunehmen glaubt, wodurch die beim Bundestag verlangte organisatorische Stringenz nicht notwendig sei. Das mag vor einigen Jahrzehnten noch zutreffend gewesen sein, heute aber ist die Realität weit davon entfernt. Das Europäische Parlament ist ein machtvolles Gesetzgebungsorgan mit dem als Regelfall vertraglich festgehaltenen Mitentscheidungsverfahren. Es ist in seiner machtpolitischen Entscheidungsrelevanz nicht schwächer, sondern stärker ausgestattet als der Bundestag. Es verfügt in der Gesetzgebung über ein Initiativmonopol, ein Recht, das sich der Bundestag mit Bundesrat und Bundesregierung teilen muss. Bei der Bestellung der Exekutive wirkt der Bundestag nur durch eine einzige Wahl mit durch die des Bundeskanzlers. Das Europäische Parlament wählt dagegen zunächst den Chef und dann die gesamte Mannschaft der Exekutive. Jene Sachverhalte also, die das Bundesverfassungsgericht als Begründung der Abschaffung der 5-Prozent- Klausel für die Wahl zum Europäischen Parlament herangezogen hat, sind wirklichkeitsfremde Meldungen aus Absurdistan. Der Bundestag hat angemessen reagiert. Er will den Schaden begrenzen und greift zur Notlösung einer 3-Prozent-Klausel.
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