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"Der Union fehlt eine programmatische Ausstrahlung"

Die Krise der Parteien - Werner Weidenfeld im Gespräch mit Gerd Breker

21.04.2011 · Deutschlandfunk



Werner Weidenfeld, Direktor des Centrum angewandte Politikforschung, sieht das CDU-Tief vor allem in ihrer Themen-Wendigkeit. Die Wähler müssten sich fragen, ob ein Thema von heute noch morgen gelte.

Gerd Breker: Wir haben es eben in dem Beitrag von Michael Brandt gehört: die Union in Stuttgart steht vor schwierigen Zeiten. Aber im Moment ist es überhaupt kein Vergnügen, konservativ zu sein, nicht nur in Stuttgart. - Am Telefon sind wir nun verbunden mit Werner Weidenfeld. Er ist Rektor des Centrums für Angewandte Politikforschung. Guten Tag, Herr Weidenfeld.

Werner Weidenfeld: Guten Tag.

Breker: Herr Weidenfeld, ist die Union von Angela Merkel noch Heimat für Konservative hier in diesem Land?

Weidenfeld: Ja, das kann sie durchaus sein. Sie können diese abrupte Wende in der Atomenergie-Politik beispielsweise unter die Überschrift stellen, "Die Schöpfung bewahren", ein ganz klassischer konservativer Satz. Das was der Union eigentlich, aber grundsätzlich fehlt, ist eine größere programmatische Bindung, eine programmatische Ausstrahlung, die dann auch Konservative anspricht - nicht allein nur Konservative, das hat die Union nie gemacht, aber eben auch. Konservative, das sind ja solche Leute, die ganz elementare Ordnungsmuster in der Gesellschaft favorisieren, die von Heimat sprechen, Familie, Tradition, Nation, Sicherheit, Religion. Da finden sie im Moment bei der Union nur geringe Angebote. Die muss ja sprunghaft hinter jeder Alltagshektik hinterherspringen.

Breker: Genau, Sie sagen es. Die Union setzt überhaupt keine Akzente mehr in dieser Gesellschaft, sondern man hat den Eindruck, sie läuft dem Zeitgeist hinterher.

Weidenfeld: Ja, das ist die fast unschlagbare Fingerfertigkeit der Kanzlerin und der CDU-Vorsitzenden in Sachen Machttechnik. Die Ausstrahlung, die von dieser Führung ausgeht, ist ja nicht programmatischer Art, sondern wie man in komplizierten Zeiten mit sich ständig neu jagenden Ereignissen das ganze machttechnisch organisiert. Wir sind im Blick auf die Union gegenwärtig nicht in einer programmatischen Phase, wir sind in einer pragmatischen Organisationsphase. So kann man sagen.

Breker: Wenn wir mal aufzählen, Herr Weidenfeld: Abschaffung der Wehrpflicht, Ausstieg aus der Atomenergie, die Transfergemeinschaft des Euro-Rettungsfonds, die Bündnistreue zur NATO. Was gestern noch galt, ist heute nichts mehr wert, allein weil es Angela Merkel um die Macht geht.

Weidenfeld: Ja! Sie können ja durchaus sich auch die Frage stellen, wenn sie sich zu einem neuen Thema auf die Union verlassen und auf Frau Angela Merkel verlassen, gilt das morgen noch? Das ist ja der eigentliche existenzielle Druck, der aus dieser Wendigkeit der Atomenergie-Frage ausgeht. Das geht ja weit über ein einzelnes Sachthema hinaus. Sie können ja auch insgesamt sehen, da ist die Union nicht alleine, auch die anderen Parteien, wenn Sie im Moment die Grünen mal davon ausnehmen, ein dramatischer Vertrauensverlust in der Gesellschaft. Wir werden mehr und mehr zu einer Misstrauensgesellschaft, und da haben sie hier jetzt Symbolwerte mit Wendigkeit. Im übrigen auch der Führung der CSU wird so etwas ja vorgeworfen, dass sie im Grunde genommen, wenn die Führung heute so etwas sagt, morgen nicht mehr wissen, ob es noch gilt. Denken Sie einmal daran: bei dem Thema, das Sie vorhin nannten, Wehrpflicht, da hat der CSU-Vorsitzende gesagt, das ist der Identitätskern der CSU, da darf man nicht ran, und wenige Wochen später wurde das ganze korrigiert.

Breker: Wenn man die Frage stellt, warum heute jemand noch Union wählen soll, und Sie haben das Beispiel Atomausstieg genannt, ja dann wählt man doch in der Tat lieber das Original, in dem Fall die Grünen.

Weidenfeld: Es wird ja auf Dauer nicht nur bei einem Thema bleiben. Wenn Sie einmal sich vor Augen führen, es würde in den nächsten Wochen ein ernster Terroranschlag in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, Sie hätten sofort diese thematische Färbung verändert und schon hätten Sie ein Unions-Thema, innere Sicherheit. Also wir haben im Moment die Lage dominiert von einem klassischen grünen Thema, Energie, Atomenergie. Das haben die Grünen seit Anfang der 80er-Jahre betrieben. Sie vermitteln damit ein gewisses Vertrauen, weil sie kontinuierlich an diesem großen Thema dran bleiben. Würde etwa ihr zweites Thema Pazifismus jetzt aufgerufen, dann würden die Grünen auch schlechter aussehen, weil sie waren die ersten, die mit der Bundeswehr in einen Krieg eingezogen sind. Also das kann sich durchaus auch wieder verändern.

Breker: Im Deutschlandfunk war das der Rektor des Centrums für Angewandte Politikforschung, Werner Weidenfeld. Herr Weidenfeld, ich danke Ihnen sehr für Ihre Anmerkungen.

Weidenfeld: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!



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