Für Merkel wird das Regieren nicht einfacher
Analyse der Bundestagswahl 2009 - Interview mit Werner Weidenfeld
28.09.2009 · Deutsche Handwerks Zeitung
DHZ: Die FDP erreichte mit 14,7 Prozent das beste Ergebnis in ihrer Geschichte bei einer Bundestagswahl. Welche Gründe gibt es für diesen Erfolg?
Prof. Werner Weidenfeld: Die FDP hat es geschafft, ihr Kompetenzprofil zu verbessern und sie hat sich zur Repräsentantin der marktwirtschaftlichen Zuversicht entwickelt. Außerdem hat sie bei den Wählern durch ihre Standfestigkeit nach der Bundestagswahl 2005 profitiert. Sie hätte in eine Koalition mit der SPD und den Grünen eintreten können, doch sie ist nicht umgefallen und ist in die Opposition gegangen. Dadurch hat sie an Vertrauen gewonnen und verkörpert nun die moderne, bürgerliche Mitte. Ein weiterer Grund für den Zuwachs ist, dass die FDP viele enttäuschte Wähler der Union auf ihre Seite gezogen hat.
DHZ: Sie haben die Wählerwanderung von der Union zur FDP angesprochen. Sind damit auch die großen Verluste der CSU in Bayern zu erklären?
Weidenfeld: Die CSU kämpft mit mehreren Problemen. Ihr Kernmilieu in Bayern erodiert. Das katholisch-christliche Milieu ist nicht mehr so stabil wie früher. Im Wahlkampf hat sie zudem viele strategische Fehler gemacht: Sie wechselte häufig die Themen und war sprunghaft. Die scharfen Kontroversen zur FDP haben dazu noch das Gegenteil bewirkt, was die CSU sich erhofft hatte. Sie hat damit die Aufmerksamkeit auf die FDP gelenkt.
DHZ: Wie wird sich nun die Rolle der CSU in der schwarz-gelben Koalition darstellen?
Weidenfeld: Die CSU wird in einer kleinen Koalition aus Union und FDP stärker sein als zwischen zwei großen Parteien, wie dies in der Großen Koalition der Fall war. Im Prinzip kann sich die CSU trotz der Verluste jetzt freuen. Für Frau Merkel wird das Regieren nicht einfacher.
DHZ: Welche Auswirkung wird das starke Ergebnis der FDP auf die Koalitionsverhandlungen und die Regierungsarbeit der schwarz-gelben Koalition haben?
Weidenfeld: Die FDP wird natürlich mit einem beachtlichen Selbstvertrauen in die Verhandlungen gehen. Sie muss jetzt nachweisen, dass sie ihre angekündigten Programmpunkte durchsetzt. In der Steuerpolitik und im Bereich der marktwirtschaftlichen Anreize will sich die FDP profilieren. Das interessanteste Feld neben Steuerpolitik und Innerer Sicherheit ist die Gesundheitspolitik. Hier liegt die FDP auf einer Linie mit der CSU. Beide wollen den Gesundheitsfonds abschaffen. Bundeskanzlerin Merkel hat sich in einer für sie erstaunlichen Weise gerade in dieser Frage massiv für den Gesundheitsfonds eingesetzt und positioniert. Es wird interessant sein, welcher Kompromiss in den Koalitionsverhandlungen vereinbart wird.
DHZ: Die SPD hat bei der Bundestagswahl desaströs verloren. Welche Gründe gibt es für die Niederlage?
Weidenfeld: Die Wähler sahen bei der SPD nicht mehr die stark soziale Kernkompetenz und auch nicht die nötige Wirtschaftskompetenz, die Deutschland braucht, um aus der Wirtschaftskrise zu kommen. Zudem hat sie mit dem Pluralismus im linken Lager zu kämpfen. Zum zweiten Mal musste sie Abwanderungen verkraften. Früher verlor die SPD Stimmen an die Grünen, nun an die Linkspartei. Natürlich haben die Sozialdemokraten auch viele Wähler an das Lager der Nichtwähler abgegeben.
DHZ: Was muss die SPD jetzt tun, um aus der Krise zu kommen?
Weidenfeld: Es muss inhaltliche und personelle Veränderungen geben. Frank-Walter Steinmeier hat taktisch klug gleich am Wahlabend den Fraktionsvorsitz eingenommen. Damit stellt sich nun die Frage: Wer wird der neue SPD-Vorsitzende? Hier wird es in den nächsten Wochen Auseinandersetzungen zwischen den "Schröderianern" und dem linken Flügel geben. Außerdem wird die SPD nicht daran vorbeikommen, auf die Linkspartei zuzugehen. Das denke ich, wäre auch passiert, wenn das Ergebnis nicht so schlecht gewesen wäre. Der SPD bleibt als einzige Machtoption eine linke Allianz aus SPD, Grünen und Linkspartei.
DHZ: Worin sehen Sie die Gründe für die schwache Wahlbeteiligung von 70,8 Prozent?
Weidenfeld: Der Wahlkampf war undramatisch. Normalerweise sind Wahlkämpfe Mobilisierungskampagnen. Die Dramatik hat komplett gefehlt. Einziges Schlussdrama war die Koalitionsfrage. Nichts wurde über die Zukunft gesagt. Es fehlten die großen bindenden Zukunftsbilder, die etwa in den Jahren 1972 und 1976 ausschlaggebend für eine hohe Wahlbeteiligung waren. Damals wurden große gesellschaftliche Bilder entworfen. Das fehlte im Wahlkampf im Jahr 2009. Allerdings muss man auch sagen, dass eine Wahlbeteiligung von 70,8 Prozent doch nicht so gering ist, wie es scheint.
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