Junge Impulse für die Europapolitik - Studentische Forschungsgruppe „Weißbuch zur Zukunft der EU“
Präsentation der Forschungsergebnisse am 08.02.19
15.02.2019 · C·A·P
Die Ergebnisse der Forschungsgruppe werden an Dialogtischen mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft diskutiert
Mit dem Weißbuch zur Zukunft der EU hat die Europäische Kommission im März 2017 eine Debatte initiiert, die sich mit möglichen Zukunftsszenarien der Europäischen Union befasst. Mit Blick auf die Europawahl im Mai 2019 wurde so frühzeitig der Austausch zwischen EU-Bürgern und EU-Verantwortlichen gesucht. Ziel ist es, "die Vorzüge gemeinsamen Handelns zu erkennen und vor allem die Kräfte zu bündeln".
Im Rahmen der EU-Bürgerdialoge initiierte die Vertretung der EU-Kommission in München am Centrum für angewandte Politikforschung eine Studentische Forschungsgruppe Weißbuch zur Zukunft der EU. Mit Unterstützung und unter Leitung des C·A·P haben sich im Wintersemester 2018/19 junge Forscher*innen zur Aufgabe gemacht, anhand der Untersuchung exemplarischer Politikbereiche zu untersuchen, in welche Richtung sich die EU künftig weiter entwicklen müsste, um ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.
Am 08.02.2019 wurden die Ergebnisse der Forschungsgruppe am C·A·P veröffentlicht. Nach einer kurzen Begrüßung aller Teilnehmenden durch Eva Feldmann-Wojtachnia (C·A·P) führte Jürgen Gmelch (Vertretung der EU-Kommission in München) in den aktuellen Stand des Weißbuchprozesses der EU ein. Anschließend stellten Mitglieder der studentischen Forschungsgruppe unter Verweis auf ihre Quellen und die jeweils durchgeführten Experteninterviews die Ergebnisse der Arbeitsgruppen Wirtschaftspolitik der EU, Gemeinsame Außenpolitik der EU und Migrationspolitik der EU vor.
Im Anschluss fand mit Mitgliedern des Bayerischen Landtags ein reger Austausch an drei thematischen Dialogtischen statt. Die AG Wirtschaft diskutierte ihre Ergebnisse mit Diana Stachowitz, MdL (SPD), die AG Migration mit dem derzeit jüngsten Abgeordneten, Florian Siekmann, MdL (Bündnis 90/ Die Grünen), und die AG Sicherheit mit dem Vorsitzenden des Europaausschusses der Freien Wähler, Tobias Gotthardt, MdL.
v.l.n.r. Frank Siekmann, MdL, Tobias Gotthardt, MdL, Eva Feldmann-Wojtachnia, C·A·P, und Diana Stachowitz, MdL
AG Wirtschaft
Als Schwerpunkt wählte die Arbeitsgruppe zur Wirtschaftspolitik die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im Sinne gleicher Pflichten sowie gleicher Chancen im zukünftigen Europa. Basierend auf der beträchtlichen Diskrepanz zwischen der anfallenden und tatsächlich gezahlten Körperschaftssteuer in Europa, wurde hierzu exemplarisch die Möglichkeit einer einheitlichen Körperschaftssteuer untersucht. Im Experteninterview mit Prof. Dr. Wolfgang Schön, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und öffentliche Fragen, wurde jedoch für die Gruppe deutlich, dass dieses Mittel nur als ultima ratio dienen könne. Zuvor müsse das vordergründige Ziel der EU sein, eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage zu erreichen. Diese Punkte aufgreifend, unterstrich MdL Diana Stachowitz in der Diskussion der Ergebnisse das politische Ziel, transnationale Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen.
Mit Blick auf die Chancengleichheit in Europa beschäftigte sich die Arbeitsgruppe exemplarisch mit der Jugendarbeitslosigkeit. Die Studierenden kamen dabei zum Schluss, dass die Stärkung von bestehenden Maßnahmen, wie beispielsweise der Jugendgarantie der EU, sowie die Schaffung von verbindlichen Mindeststandards in der beruflichen Bildung verfolgt werden müssen. Die Gruppe folgte der Einschätzung des anwesenden Interviewpartners Dr. Thorsten Hemming (Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales). Letzterer verwies auf eine Teilharmonisierung und auf den zielführenden Ansatz des Voneinanderlernens in Europa. MdL Diana Stachowitz zeigte sich in ihrer Einschätzung der Ergebnisse grundsätzlich eher skeptisch gegenüber einem Europa der differenzierten Integration, begrüßte aber im Hinblick auf die Jugendarbeitslosigkeit die Ergebnisse der AG. Sie stimmte mit der Forderung der Forschungsgruppe überein, effektive Kontrollmechanismen zu etablieren, damit Fördergelder der EU in Zukunft nicht nationale Mittel ersetzen.
AG Sicherheit
Die Arbeitsgruppe zur Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU stellte eingangs die These auf, die Sicherheitsbelange der EU seien künftig nur über die Vertiefung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Am untersuchten Beispiel Nord Stream 2 zur Energiesicherheit wurde deutlich, dass zwei Parameter gleichermaßen zu berücksichtigen sind: die Frage nach der Abhängigkeit sowie die der Wirtschaftlichkeit. Die Einschätzung der Interviewpartnerin Dr. Kirsten Westphal (Stiftung Wissenschaft und Politik) verdeutlichte, dass geopolitische Aspekte nicht als alleiniges Orientierungsmoment für das weitere Vorgehen bei der Energiepolitik gelten können. Zwar sei es unabdingbar, dass die Kohärenz der Europäischen Union erhalten bleibe, um die Marktmacht gegenüber Russland zu behalten. Jedoch könne und müsse die Botschaft der EU gegenüber Russland auch „vielstimmig sein", etwa über das Pflegen enger Kontakte zu Partnerstaaten, wie der Ukraine.
Jürgen Gmelch folgt den Ausführungen von Helena Link (AG Sicherheitspolitik der EU)
Desweiteren beschäftigte sich die Arbeitsgruppe mit dem Projekt einer Europäischen Armee im künftigen Europa. Der Status-Quo, dass sich die baltischen Mitgliedstaaten der EU und Polen zunehmend von Russland bedroht fühlen und gemäß des Interviewpartners Tamir Sinai (George C. Marshall Center – European Center for Security Studies) ein grundsätzlich klares Bekenntnis der USA zur NATO bestehe, ließ die AG Sicherheit zu dem Schluss kommen, dass ein Festhalten und Intensivieren bestehender Strukturen am sinnvollsten erscheine. Um den Nutzen und die Effizienz der europäischen Streitkräfte zu steigern, verwies die Forschungsgruppe exemplarisch auf die bilaterale Kooperation zwischen Deutschland und den Niederlanden, die auch eine Teilung von militärischen Anlagen umfasst. Diese und bestehende Ansätze wie die PESCO gelte es, ganz im Sinne einer flexiblen step by step Integration, auszubauen.
AG Migration
Die Arbeitsgruppe Migration, Asyl und Schengen widmete sich eingehend der Asyl- und Grenzschutzpolitik der EU. Erstaunt zeigten sich die jungen Forscherinnen, dass trotz hohen tagesaktuellen Stellenwertes dieses Thema nicht ausführlicher im Weißbuch zur Zukunft der EU thematisiert werde.
AG Migrationspolitik im Gespräch mit MdL Frank Siekmann, Vertretern der Presse und Gästen
Über die Problematisierung der Zielsetzung der aktuellen Migrationspolitik der EU, die sich vorrangig an der Durchsetzbarkeit, ihrer Effektivität und der Menschenrechtskonformität orientiere, gab die AG grundlegende Bedenken an einer derartigen Konzeption zu verstehen. Da diese drei Ziele gleichberechtigt verfolgt würden, stünde die Maximierung von menschenrechtskonformer Politik im Vordergrund, was der grundsätzlichen Idee der Menschenrechte als nicht verhandelbar widerspreche. Unter Berücksichtigung dieser Maxime untersuchte die Arbeitsgruppe die Rolle des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems der EU und der Grenzschutzagentur FRONTEX. Es wurde dabei deutlich, dass die rechtliche Verantwortlichkeit in einem 'Graubereich' zwischen nationaler und supranationaler Ebene liegt. Dies erschwere trotz bestehender Beschwerdemechanismen die Verfolgung von Menschenrechtsbrüchen.
Fazit
Im Anschluss an die umfassenden Präsentationen und Diskussionen kommentierte MdL Tobias Gotthardt in seiner Funktion als Vorsitzender des Europaausschusses im Bayerischen Landtag die Ergebnisse der studentischen Forschungsgruppe mit Blick auf die bayerische Europapolitik. Er zeigte sich sichtlich begeistert von dem großen Engagement und der hohen Fachexpertise der Forschungsgruppe und lud die Arbeit der Studierenden zum weiteren Austausch in eine der nächsten Sitzungen des Europausschusses ein.
Die Studentische Forschungsgruppe Weißbuch zur Zukunft der EU bei der Zertifikatübergabe
Vor dem Ausklang am Europabüffet - vorbereitet von der Schülerfirma der Mittelschule Moosach - stand die Würdigung der Leistung der studentischen Forschungsgruppe im Vordergrund. Herr Jürgen Gmelch, Prof. Dr. Werner Weidenfeld und Eva Feldmann-Wojtachnia überreichten den Mitgliedern feierlich ihr wohlverdientes Teilnahmezertifikat.
Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld zieht ein strategisches Fazit zur Zukunft der EU
Zum Abschluss der Veranstaltung zog Prof. Dr. Dr. h.c. Werner, Direktor des C·A·P, mit einem analytischen Ausblick zur Zukunft der EU ein strategisches Fazit, wobei er die Teilnehmenden für die gegenwärtigen Herausforderungen der EU sensibilisierte. Neben der Handlungsfähigkeit und der Aushandlung des politischen Rahmens der Wirtschafts- und Währungsunion sei für ihn der gemeinsame Umgang mit Sicherheitsfragen wegweisend. Wichtig sei es, rechtzeitig in einen kritischen und sachgemäßen Austausch zwischen den politischen Akteuren, unterschiedlichen Stakeholdern und der Bevölkerung zu gehen.
Die Initiative der EU Kommission zur Gründung einer studentischen Forschungsgruppe an der LMU, die sich mit aktuellen Fragen der Europapolitik befasst, ist nach einhelliger Meinung aller Beteiligten auf fruchtbaren Boden gefallen. Es zeigte sich erneut, wie wichtig es ist, jungen Menschen Strukturen und Formate anzubieten, die es ihnen ermöglichen, sich auf Augenhöhe in den Dialog mit der Politik zu begeben.
Universitäre Settings und eine entsprechende fachwissenschaftliche Begleitung bieten Studierenden für die qualifizierte Auseinandersetzung mit der Zukunft der EU dabei einen hilfreichen und förderlichen Rahmen.
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