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Auf dem Weg zu einer europäischen Öffentlichkeit

Vortrag und Diskussion mit Joachim Fritz-Vannahme im Rahmen des Forschungskolloquiums am C·A·P

27.04.2007 · C·A·P




Josef Janning, Leiter der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik, und Joachim Fritz-Vannahme, Leiter der Europa-Projekte in der Bertelsmann Stiftung.

Gibt es eine europäische Öffentlichkeit? Diese Frage hatte sich Joachim Fritz-Vannahme, Leiter der Europa-Projekte in der Bertelsmann Stiftung, für seinen Vortrag am Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) gestellt.

Fritz-Vannahme, der acht Jahre lang als Europa-Korrespondent der ZEIT in Brüssel tätig war, kennt die Orte, an denen sich europäische Öffentlichkeit formiert, aus eigener Erfahrung: Die Mittags-Briefings der Europäischen Kommission im "Kino-Saal" mit rund 1.200 Korrespondenten aus ganz Europa seien ein gutes Beispiel. Hier versucht die Europäische Union, sich medial zu präsentieren und über die Medien nach außen in die Lebenssphären der Bürger zu wirken. Die Briefings dienen einerseits als Informationsbörse, in der die Verwaltungsentscheidungen der Kommission im "Midday Express" kommuniziert werden. Politisch bedeutsame Nachrichten, so Fritz-Vannahme, erfahre man hier allerdings nur selten. Gleichzeitig sei der Kino-Saal aber auch Sozialraum. In der "RPS"-Welt ("Rond Point Schumann") treffen sich die Journalisten und tauschen sich über Europa aus. Man hilft sich, teilt Informationen, debattiert und ist damit Teil der europäischen Öffentlichkeit. So spiele sich das tägliche Leben der Korrespondenten in Brüssel zwischen den beiden Extremen Langeweile und Faszination ab.

Bei der Beantwortung seiner Leitfrage kam Fritz-Vannahme zu folgendem Schluss: Europäische Öffentlichkeit befinde sich im Entstehen, auch wenn sie sich bislang erst als "zarte Pflanze" zeige. Ihre Entwicklung sei jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. Aufgrund des Mangels an medientauglichen Bildern und Symbolen könne Brüssel nur schwer vermittelt werden. Zudem funktionierten klassische Konfliktstellungen, die wie in der nationalen Politik eine öffentliche Debatte erzeugen könnten, nicht. Mangelnde Personalisierung und Politisierung seien daher die zentralen Hürden für die Herausbildung einer starken europäischen Öffentlichkeit.

Woran kann europäische Öffentlichkeit dennoch festgemacht werden? Fritz-Vannahme verweist in diesem Zusammenhang auf die Ratifizierung des Vertrages von Maastricht, als das "Nein" der dänischen Bevölkerung eine öffentliche europäische Debatte ausgelöst hatte. Als weitere Beispiele für die Wirkungen einer europäischen Öffentlichkeit nannte er die Cresson-Affäre, den Skandal um den Kommissionskandidaten Rocco Buttiglione, die Bolkestein-Richtlinie, die Referenden über den Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden sowie die hitzige Diskussion um den möglichen EU-Beitritt der Türkei. Fritz-Vannahme verwies jedoch auch auf "unpolitische" europäische Ereignisse wie das Filmfest in Cannes, die Dokumenta, die Champions League, den Eurovision Song Contest oder Formate wie "Deutschland sucht den Superstar". Diese könnten ebenso Bestandteil einer europäischen Öffentlichkeit sein.

Für die zukünftige Entwicklung der europäischen Öffentlichkeit aus medialer Perspektive sieht Fritz-Vannahme den Fokus klar auf der englischen Sprache und dem Internet. Zum Abschluss stellte er die Frage in den Raum, ob die EU überhaupt einer stärker ausgebildeten europäischen Öffentlichkeit bedürfe. Schließlich, so gab er zu bedenken, sei der politische Entscheidungsprozess bereits über das Europäische Parlament und den Rat demokratisch legitimiert.


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