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Südosteuropa auf dem Weg in die EU

Eine gemeinsame Perspektive für alle Balkanstaaten. Konferenz der Bertelsmann Stiftung in Zagreb.

16.06.2005 · Bertelsmann Forschungsgruppe Politik



Betont optimistische Beteuerungen über eine positive EU-Perspektive aber auch kritische Einschätzungen über die neue Lage in der Europäischen Union nach den gescheiterten Verfassungs-Referenden in Frankreich und den Niederlanden bildeten den Tenor der von der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der kroatischen Regierung organisierten Konferenz "Südosteuropa auf dem Weg in die Europäische Union".

Zusätzliche Brisanz erhielt die Konferenz, die Anfang Juni in Zagreb stattfand, weil der Bericht des UNMIK-Beauftragten Sören Jessen-Petersen über die Zukunft des Kosovo die Debatte zur politischen Strategie der EU in dieser Konfliktregion neu entfacht hatte. Überdies hatte wenige Stunden vor Beginn der Konferenz die Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, mit den Regierungen in Belgrad und Zagreb über die Auslieferung untergetauchter mutmaßlicher Kriegsverbrecher gesprochen. Das Haager Tribunal empfindet die Zusammenarbeit bei der Fahndung nach dem kroatischen General Gotovina, sowie dem bosnischen Serbenführer Mladic und dem serbischen Militärführer Karadzic als ungenügend.

Weitgehende Übereinstimmung bei den knapp 100 ranghohen Vertretern aus 18 Ländern der Region und der EU, herrschte über die Notwendigkeit einer kalkulierbaren EU-Perspektive. Die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in den Ländern Südosteuropas seien ohne eine derartige Perspektive nicht durchführbar. Der kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader forderte die EU auf, an der Erweiterung festzuhalten. Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel stellte fest, mit der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft hätten alle Länder des Balkan erstmals eine gemeinsame und friedliche Perspektive. Der kroatische Staatspräsident Stipe Mesic ergänzte, im Grunde sei diese Perspektive die einzige Option für alle Staaten der Region. Schüssel kündigte daher für die Zeit der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs Initiativen seiner Regierung an, um dem Heranführungsprozess der Region neuen Schub zu geben.


Diskussionspanel während der Konferenz.

Eine vorsichtig kritische Einschätzung gab der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Elmar Brok. Er denke nach über eine "zweite Option" anstelle einer Vollmitgliedschaft der Beitrittsaspiranten. Für eine "Zwischenzeit" sollten sie Teil eines Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) werden. Hierdurch könnten einerseits die Reformbemühungen der Region am Leben erhalten werden, gleichzeitig würde die Aufnahmebereitschaft der Union nicht überfordert. Der slowenische Außenminister Dimtrij Rupel sieht in dieser Frage die Europäische Union ebenfalls an einem Wendepunkt angelangt.

Der Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens, Heinrich von Pierer, rief die Politiker der Region dazu auf, nicht allein auf die Beitrittsdynamik zu vertrauen. Sie müssten zuerst ihre "Hausaufgaben" machen und notwendige Reformen selbst einleiten. Der kroatische Staatspräsident Mesic bestätigte diese Einschätzung. "Es ist ein Missverständnis, dass unsere Probleme durch die Mitgliedschaft in der EU automatisch gelöst werden. Probleme müssen zunächst von uns selbst gelöst werden. Wir können sie nicht in die EU exportieren, und die EU wird sie nicht importieren."


Prof. Dr. Werner Weidenfeld, Mirjana Sanader, der kroatische Ministerpräsident, Dr. Ivo Sanader, Liz Mohn, stellv. Vorsitzende des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, und der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Für die wirtschaftspolitische Entwicklung der Region, so forderten insbesondere Wirtschaftsvertreter, seien Rechtssicherheit und stabile Rahmenbedingungen die Priorität für eine erfolgreiche Entwicklung.

Notwendig sei auch eine Lösung des zukünftigen Status des Kosovos und Montenegros. Hier müssten noch in diesem Jahr konkrete politische Lösungen erarbeitet werden, sonst bleibe die Entwicklung der gesamten Region blockiert. Bajram Kosumi, Ministerpräsident des Kosovo, hob hervor, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung des Landes erwarte weiterhin die vollständige Unabhängigkeit und Souveränität. Dabei dürften weder Grenzen verändert werden, noch dürfe es zu einer Föderationen mit den Nachbarstaaten kommen.

In einem der Konferenz zugrundeliegenden Strategiepapier der Bertelsmann Stiftung und des Centrums für angewandte Politikforschung wird die EU aufgefordert, die Initiative für die Aushandlung eines endgültigen Status zu übernehmen und ein semi-souveränes Kosovo unter europäischer Aufsicht zu errichten sowie stärkere Anreize für den Fortbestand der staatlichen Gemeinschaft zwischen Serbien und Montenegro anzubieten. Um die europäische Perspektive für die gesamte Region zu konkretisieren und die noch vorhandene EU-Unterstützung in der Region zu stabilisieren, sollen Albanien, Bosnien, Makedonien, Serbien und Montenegro sowie dem Kosovo ein EU-Beitritt für das Jahr 2014 in Aussicht gestellt werden.


Werner Weidenfeld und der Staatspräsident Kroatiens, Stjepan Mesic.

Angesichts der durch die gescheiterten Referenden ausgelösten Schockwellen wurden mehrfach dringende Appelle geäußert, die Europäische Union den Bürgern zu vermitteln. Die stellvertretende Ministerpräsidentin von Mazedonien, Radmila Sekerinska, gab sich zwar vorsichtig optimistisch über die Zukunft der EU. Stellvertretend für viele hob sie aber hervor: "Hört niemals auf, die Sache gut zu erklären."


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