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Ein halbes Jahr EU-Marathon - Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

Was bedeutet das? Antworten auf wichtige Fragen

Von Michael Neubauer, Badische Zeitung vom 15.12.2006

09.01.2007 · Badische Zeitung



FREIBURG. In Berlin herrscht seit Wochen schon EU-Fieber: Vom 1. Januar an übernimmt Deutschland den EU-Ratsvorsitz. Was kommt da eigentlich auf Deutschland zu?

Was bedeutet "EU-Ratsvorsitz"?

Immer zum 1. Januar und zum 1. Juli übernimmt ein anderer EU-Mitgliedsstaat die Rolle des Ratspräsidenten. Das bedeutet zunächst einmal: viel organisieren. Das Land muss in diesem halben Jahr zwei Gipfel der EU-Staats- und Regierungsschefs (Europäischer Rat)und die Treffen der Fachminister (EU-Ministerrat) veranstalten. Wer den Ratsvorsitz hat, vertritt neben der EU-Kommission und dem Europaparlament die EU auf internationaler Ebene.

Welches Programm hat sich die Bundesregierung vorgenommen?

Viele Themen sind ein Muss, weil sie Tagesgeschäft sind und von den Vorgängern übernommen werden. Der Ratsvorsitzende ist „Erster unter Gleichen" und kann neue Themen setzen. Merkel kündigte eine Art Fahrplan an, wie es weitergehen soll mit der EU-Verfassung. In den Mittelpunkt ihrer Präsidentschaft will die Bundesregierung die wirtschafts- und sozialpolitische Zukunft Europas stellen. Wichtig sind der Regierung Forschung und Bildung, die Energiepolitik sowie der Klimaschutz. Höhepunkt in dem halben Jahr soll eine "Berliner Erklärung" werden: Zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge, der Geburtsstunde der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), sollen die gemeinsamen Werte und Ziele der EU neu formuliert werden.

Was kann Deutschland erreichen?

"Wer, wenn nicht ihr?", sagen manche ausländische EU-Politiker in diesen Tagen. Deutschland als Gründungsmitglied, als großes Land und erfahrener EU-Motor soll nach dem Nein zur EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden für einen Ruck sorgen. Aber viele warnen auch: Die Erwartungen sind zu hoch.

Sind sechs Monate nicht zu wenig?

Jein. "Durch eine geschickte Verhandlungsführung und gerade durch Zeit- oder Handlungsdruck lassen sich manchmal Konflikte lösen", sagt Almut Metz vom Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) in München. Doch die Regierung kann nicht durchstarten: Denn Frankreich wählt im April und Mai einen neuen Präsidenten. Auch in andere EU-Staaten finden bis zum Sommer Wahlen statt. In Großbritannien löst Gordon Brown Premier Tony Blair ab. Andererseits probiert die Bundesregierung etwas Neues: Sie bezieht in ihre Planung die nachfolgenden Präsidentschaften Portugals und Sloweniens mit ein – und baut so-mit auf Kontinuität. Natürlich können bestimmte Ereignisse das Programm durcheinander wirbeln – so ging es den Finnen, als der Israel-Libanon-Konflikt begann.

Lähmt eine Ratspräsidentschaft nicht das Regierungsgeschäft?

Viele Themen sind sowieso Dauerbrenner. Die Regierung hat aber in der Tat ein Mammutprogramm vor sich. Schon jetzt gibt es Urlaubssperren in den Ministerien. Über 100 Tagungen gibt es, 150 Arbeitsgruppen auf Beamtenebene wollen sich wöchentlich treffen. Deutschland übernimmt 2007 auch den Vorsitz der G-8-Gruppe der sieben führenden Industriestaaten und Russlands. Kanzlerin und Minister werden die Chance haben, außenpolitisch zu glänzen.

Welche Fehler kann die Kanzlerin machen?

Die Regel für den Vorsitz ist: Vorsichtig moderieren, nicht parteiisch wirken. "Merkel kann punkten, wenn sie es schafft, Mehrheiten unter den dann 27 EU-Mitgliedern zu organisieren, vor allem auch indem sie wieder mehr auf die kleinen EU-Staaten zugeht und diese einbindet bei Entscheidungen", sagt Almut Metz. Das Thema Türkei-EU kann zum Fettnäpfchen werden, weil sich die große Koalition darin uneins ist. Aber: Merkel hat einen Vertrauensvorschuss auf EU-Ebene. Die Kanzlerin hat 2005 bei den schwierigen EU-Finanzverhandlungen geschickt taktiert und Lob eingeheimst.


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